Natürlich könnte man jetzt erstmal ein paar Nachrichten aus der zunehmend alberneren Debatte „Print vs Online“aufzählen: Der Zeitungsdesigner Norbert Küpper erregt sich beispielsweise gerade über einen Text von „Cicero Online“, in dem Petra Sorge der Auffassung war, eine ganze Branche verharre im Gestern. Küpper schrieb keinen Kommentar unter Petra Sorges Text, sondern veröffentlichte auf Slideshare eine ganze Präsentation, in dem er Petra Sorges Text, nun ja, auseinander nahm. Küpper moniert u.a., die Autorin halte sich nicht an gängige journalistische Maßstäbe, das werde er nicht tolerieren. Argumentativ stört sich Küpper u.a. daran, dass er von Petra Sorge als „weißhaarig“ bezeichnet wird, was nicht falsch ist, von Küpper aber irgendwie als suggestiv wahrgenommen wird. Der Rest erinnert mich in vielem an das, was ich schon als Volontär beim „Dingolfinger Anzeiger“ gehört habe, wenn irgendjemandem was nicht gepasst hat. Man mault halt rum. U.a. schreibt Küpper, Petra Sorge haben den Satz kreiert, die Zukunft der Medien habe irgendwie mit dem Internet zu tun und dass sie mit diesem Satz zeige, dass sie der Auffassung sei, die Zukunft der Zeitung liege tendenziell eher im Internet (tja…). Ansonsten das übliche Zeug von allen Fronten: Man streitet sich ermüdend lange und irgendwie ergebnislos darum, wie viel Netz es denn jetzt sein darf und ob Paywalls gut oder schlecht sind. Ansonsten aber räumen nahezu alle Menschen und womöglich sogar Norbert Küpper ein, dass Medien und Journalisten irgendwie crossmedial aufgestellt sein müssen. Wer besonders viel auf sich hält, wirft momentan gerne auch den Begriff „Transmedia“ in die Runde, das klingt dann nochmal einen Tick besser.
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Es gibt also momentan eine ganze Reihe von Veranstaltungen, Schulungen und Diskussionen, die im Kern eines beinhalten: die Annahme, man müsste künftig einfach nur crossmedial arbeiten und dann wird alles wieder gut. Man macht also schlichtweg ein bisschen mehr als vorher, bedient noch ein, zwei zusätzliche Kanäle – und das war´s dann wieder. „Stimmt ja auch“, mögen Sie sich jetzt insgeheim denken. Dabei ist es genau andersrum: Vergesst Crossmedia! Das mag jetzt eine etwas merkwürdig wirkende Forderung für jemanden sein, der ein Buch namens „Crossmedia“ geschrieben hat und dauernd Seminare zum Thema „Crossmediales Arbeiten“ gibt. Aber spätestens bei „Universalcode“ hat sich die Richtung bei genauem Lesen schon etwas verändert. Nämlich hin zu: Es geht um neuen Journalismus, neue Ideen eines journalistischen Berufsbildes und die Überlegung, wie man digitalen Journalismus so definieren kann, dass er mehr ist als die Summe seiner Teile. Genau zu dieser fatalen Rechnung verführt allerdings das Buzzword „Crossmedia“: Print plus ein bisschen Online plus ein bisschen Social Media ist gleich guter, neuer, zeitgemäßer Journalismus.
Man denkt dann unweigerlich an die ersten Ausgaben der „Tagesschau“ in der ARD. Die kamen die ersten Jahre immer daher wie die Wochenschauen im Kino. Was vermutlich schlichtweg daran lag, dass man mit diesem komischen neuen Medium Fernsehen noch keine wirklichen Erfahrungen hatte und man deshalb einfach die Darstellungsformen aus dem alten in das neue Medium transferierte. Was ja auch irgendwie nahelag: Beide Male handelte es sich schließlich um Nachrichten in bewegten Bildern, nur dass der TV-Schirm ein bisschen kleiner war. Es hat ziemlich viele Jahre gedauert, bis TV seinen eigenen Stil gefunden hatte. Und irgendwann war auch klar, dass das Medium TV der bessere Platz für Nachrichten ist; man würde jedenfalls vermutlich etwas irritiert schauen, wenn heute vor dem Blockbuster erstmal Nachrichten zur Lage in Afghanistan und über die neuesten Arbeitslosenzahlen kämen.
Warum dieser Vergleich? Weil vielerorts immer noch das passiert, was im Fernsehen der 50er und 60er Jahre zu beobachten war: Man versucht, alte Medien im neuen Gewand zu machen. Kein Problem der Verlage allein, ganz sicher nicht. Radiosendern fällt häufig noch nicht sehr viel Originelleres ein, als gesendete Beiträge oder Formate auch zum Download anzubieten und das Ganze dann „Podcast“ zu nennen. Wenn TV-Sender ins Netz gehen, dann entsteht dort nur in den seltensten Fällen etwas anderes, als ein TV-Beitrag, der dann halt einfach im Netz zu sehen ist. Und dass viele Tageszeitungen immer noch meinen, das Netz sein prima Kanal, um dort eine bildschirmlesbare Zeitung ins Netz zu stellen, ist ja seit etlichen Jahre eine etwas beklagenswerte Tatsache. Diese Geschichten könnte man noch ziemlich lange weiter erzählen; auch im sozialen Netz lesen sich viele Medienaccounts wie eine elektronische Programmzeitschrift mit Kommentar- und Teilfunktion. Tatsächlich Neues und dem Kanal Angemessenes – meistens Fehlanzeige, weil man es im Jahr 2013 bei vielen Redaktionen immer noch als Fortschritt werten muss, wenn es einen Facebook-Account gibt. Wer dann noch twittert, gilt beinahe schon als König, selbst dann, wenn Sendungen, die im linearen Programm regelmäßig mehrere Millionen Zuschauer schaffen, im Netz bei ein paar Hundert Fans und Followern hängenbleiben. Daran ist übrigens und nur am Rande bemerkt natürlich das Netz schuld, nicht derjenige, der seine Unlust zur Kommunikation öffentlich zur Schau stellt.
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Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Crossmedia“ ist also alles andere als ein Segen. Er stand mal, ganz am Anfang, für eine gute Idee, eine Richtung, die man einschlagen müsste, wenn man was geschafft bekommen will. Inzwischen behauptet jeder Manager (mittlerer Ebene), der mit seinem Haus auf mehr als einem Kanal vertreten ist (und wer ist das nicht mehr?), er habe eine crossmediale Strategie. Bevor sich jetzt alle Journalisten die Hände reiben und mit dem Finger auf die Kollegen aus den Geschäftsführungen zeigen: Leider gibt es auch ausreichend viele Journalisten, die sich selbst eine anständige crossmediale Expertise bescheinigen würden, nur weil sie schon mal mit dem Smartphone Videobilder gedreht oder einen Tweet abgesetzt haben. Aber das sind rein technische Vorgänge, alle erlernbar, sie haben nichts mit dem Paradigmenwechsel zu tun, den man als Journalist vollziehen müsste, wenn man sich in seine neue Rolle in der Gesellschaft einfügen will. Diese Rolle ist zunehmend weniger die des Informationsbeschaffers. Information als Rohstoff gibt es inzwischen mehr als genug, wir brauchen nicht noch mehr Leute, die sie besorgen. Was an dieser Informationen ist real, wie zu gewichten, wie einzuordnen? Wenn Journalisten ihren Job ernst nehmen wollen, dann konzentrieren sich auf die Rolle als Kurator, Moderator und Analyst.
Dabei – um das jetzt auch irgendwie endlich mal loszuwerden – spielt es nur eine sehr untergeordnete Rolle, auf welchem Kanal man das macht. Die immer noch geführte und immer noch sehr leidvolle Debatte „Print vs. Online“ ist dabei so irreführend wie die Dauerverwendung des Schlagworts Crossmedia. Ob jemand guten Journalismus gedruckt oder online oder mobil verbreitet, ist mir persönlich so egal wie der VfL Wolfsburg. Die entscheidende Frage der nächsten Jahre ist also vielmehr, wie Journalisten und Redaktionen künftig mit den Inhalten umgehen wollen und ob sie endlich verstehen, dass weder crossmediales Arbeiten noch die Präsenz in sozialen Netzwerken ein Selbstzweck sind, den man erfüllt, weil man dass jetzt eben so hat. Beides keine Frage der Quantität, sondern eine Frage, welche Haltung und wie viel Idee dahinter steckt. Konkret: Wenn ich ein crossmedial angelegtes Projekt entdecke, dann finde ich es nur spannend, wenn jeder Kanal so genutzt ist, wie es seinen Möglichkeiten entspricht. Wenn jemand zu irgendeiner Geschichte irgendein Video dreht, dann ist das nicht Crossmedia, sondern erst mal nur eine Geschichte und ein Video. Wenn jemand bei Twitter oder Facebook einfach nur seine Links absetzt, ist das nicht sozial (im Sinne von: gemeinsam), sondern einfach nur noch ein Verbreitungskanal. Genauso wenig, wie es etwas mit „Social TV“ zu tun hat, wenn jetzt regelmäßig Tweets eingeblendet oder (beinahe noch öder) von der obligatorischen Twitter-Tussi on air vorgelesen werden. Sozial heißt gemeinsam, soziale Medien sind demnach solche, deren Weg und Entstehung gemeinsam gegangen wird.
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Man sollte also eher besser weghören, wenn es demnächst auf Schulungen und Seminaren und anderem Kram um Crossmedia oder Social Media geht. Das sind intellektuelle Placebos, die man jemandem verabreicht, damit er wenigstens für eine kurze Zeit meinen kann, dass es wirkt. An der tiefergehenden Analyse, an der Suche nach einem neuen journalistischen Selbstverständnis, kommt man deswegen trotzdem nicht vorbei. Einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt entkommt man schließlich auch nicht, nur weil man jetzt öfter die Zähne putzt.
Lieber Christian Jakubetz,
Sie überraschen mich immer wieder neu, zum Beispiel mit folgender Feststellung: „Wenn Journalisten ihren Job ernst nehmen wollen, dann konzentrieren sie sich auf die Rolle als Kurator, Moderator und Analyst.“ (Schlusssatz fünfter Absatz)
Zwar sind die Termini Kurator und Analyst mehrdeutig, aber ich übersetze mal Kurator mit „Kümmerer“ und Analyst mit „Erklärer“ – und siehe da, wir haben die gemeinsame Erfolgsformel, die ich als Ergebnis meiner häufigeren, früheren Diskussionsbeiträge immer bei Ihnen platzieren wollte, wenngleich mit durchaus anderen Formulierungen – und letztlich nicht sehr erfolgreich.
Um diese Formel geht es, ob analog, digital, crossmedial oder auf welche Art auch immer.
Allerbesten Dank!
Aber warum denn das Kind mit dem Bade ausschütten? Natürlich reißen sich Marketer und Consultants ständig irgendwelche Buzzwords unter den Nagel. Aber darum ist nicht gleich jedes Konzept, das als Sau durchs Beraterdorf getrieben wird, gleich sinnlos.
Gerade crossmedialität wäre tatsächlich ein echter Mehrwert, den gut ausgebildete Leute bieten können. Natürlich nur, so lange sie auch wissen, dass es nicht darum geht, auf verschiedenen Kanälen präsent zu sein, sondern die Inhalte medienadäquat aufzubereiten und anzupassen.
Dass diese Kompetenz, Medienkompetenz nämlich, zu wissen, wie und wo Inhalte unterschiedlich anschlussfähig sind, eine journalistische Kompetenz sein sollte, hätte ich schon gedacht. Für die Weiterbildung in Fachbereichen muss man sich halt an Spezialisten wenden, statt an Allerweltsalleskönner, die jedes aktuelle Buzzword für ihre Trainings auf der Pfanne haben.
Na das sind ja mal bahnbrechende Neuigkeiten. Crossmedia ist also gar nicht um seiner selbst Willen gut? Man muss auch wissen, wie man die verschiedenen Kanäle richtig bespielt? Na sowas. Das hätte ich ja nicht gedacht. Was genau ist an dieser Erkenntnis revolutionär?
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Ein schönes Beispiel wie Crossmedia _nicht_ geht liefert übrigens die Zeitung meiner alten Universitätsstadt Passau, die PNP:
Aus einer eigentlich guten Idee (einem von oben aufgenommenen Film des Passauer Hochwassers) ist durch den darübergelegten Kommentar etwas Gruseliges geworden – der Sprecher liest mit monotoner Stimme Sätze ab die selbst gedruckt hölzern wirken würden, er verspricht sich, man hört ihn atmen, man hört ihn schmatzen (anscheinend ist sein Mund trocken), dazu macht er permanent „Kunstpausen“ in denen nur das Motorengeräusch zu hören ist, das aus wer weiß welchem Grund nicht aus dem Video weggenommen wurde.
Beiträge wie dieser werden von Zeitungsleuten immer wieder als Beleg „gelebter Crossmedialität“ hervorgehoben, wobei dann eines übersehen wird: einfach nur machen reicht nicht, bei derartig offensichtlichem Dilletantismus (auf den die PNP übrigens kein Monopol hat) beweist man keine Fortschrittlichkeit sondern man beschädigt die eigene Marke.
Ach ja, der Link: http://www.pnp.de/822030