(Vorwarnung: Der folgende Beitrag weist nur selten Fakten auf. Es geht eher um gefühlte Dinge. Aber möglicherweise haben Sie ja ähnliche Eindrücke, wenn Sie das konsumieren, was der Berliner Politikjournalistenbetrieb regelmäßig absondert.)
Für einen Toten ist Phillip Rösler ganz schön munter.
Eigentlich dürfte Rösler seit diesem Wochenende nicht mehr FDP-Chef sein. Zumindest dann nicht, wenn man regelmäßig gelesen hat, was Deutschlands Politikjournalisten oft und gerne über ihn geschrieben haben. Spätestens zu einem bestimmten Termin, allerspätestens aber nach einer verlorenen Niedersachsen-Wahl werde sich die Partei ihres ungeliebten Chefs entledigen, hieß es. Dass die Niedersachsen-Wahl ein Desaster werden würde, stand dabei gar nicht zur Debatte, weil über Rösler ja schon lange der Journalisten-Daumen gesenkt wurde: Der kann es nicht, hieß es, zu nett, zu jung, zu unerfahren, ausgeliefert einer Meute erfahrener Politprofis, die in ihrer liberalen Schlangengrube dem Jungspund zeigen würden, wie echte Machtpolitik geht. Die Textbausteine gingen dann in etwa so weiter: Nachfolger laufen sich bereits warm/Kubicki sägt schon/Brüderle schon jetzt heimlicher Chef/Spätestens beim Parteitag im März. Die echten FDP-Defätisten, beispielsweise bei der SZ, wiesen dann auch gerne noch darauf hin, dass die Personaldecke der FDP dünn geworden sei, das sehe man spätestens jetzt, wo sich so richtig eigentlich niemand für die Nachfolge Röslers aufdrängen würde.
Das ist übrigens ein ganz besonders beliebter Politikjournalisten-Textbaustein: Partei ausgeblutet, nachdem Kohl/Schröder/Merkel/Westerwelle ihre jeweilige Partei ganz auf sich ausgerichtet hatten und niemand anderen neben sich duldeten. Bitte denken Sie aber daran, dass Sie bei der Verwendung dieses Textbausteins grundsätzlich irgendwo noch die Formulierung „Jetzt rächt sich…“ verwenden müssen. Sie kann gerne beliebig oft mit der Variante „Jetzt zeigt sich, dass die Partei ausgeblutet ist“ verwendet werden. Bei soviel ausgebluteten Parteien und Kanzlerwahlvereinen fange ich in meinem hohen Alter allmählich an mich zu wundern, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die im Bundestag, in Parteitagen oder womöglich sogar auf Regierungsbänken sitzen. Weil schließlich in solchen Argumentationszwecken gerne der an den Schluss gesetzte Formulierungsbaustein kommt, dass es mit dem Nachwuchs der Partei irgendwie auch nicht weit her ist. Verwenden Sie bitte hierzu den Argumentationsbaustein, dass der/die Vorsitzende der JU/Jusos/Julis unlängst kritische Worte über den Parteichef verloren hat, dabei aber schnell abgebügelt wurde.
Komisch also, wenn man dann über das Wochenende mitverfolgt, was Berlins Politikbetrieb über die FDP und Rösler zu schreiben hatte: dass er schon ein cleveres Kerlchen sei, der Herr Vizekanzler, dass die FDP erstaunlich vital gewirkt habe (weil die Delegierten die eine oder andere überraschende Personalentscheidung getroffen haben) und dass, ja, was eigentlich? War da mal was? Stand heute ist also: Rösler sitzt fest im Sattel und der FDP geht´s gar nicht so schlecht, wie man annehmen hätte müssen, wenn man die letzten 12 Monate politische Berichterstattung in Deutschland gelesen hätte.
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Aber es ist ja nicht so, dass Deutschlands Politikjournalistenbetrieb nicht enorm wendelernfähig wäre. An dieses zauberhafte Pärchen erinnern wir uns ja alle noch, sofern wir keine Journalisten waren, die die fabelhaften Guttenbergs als Retter der imagemäßig darbenden Branche gesehen haben (und nein, da war der „Spiegel“ keineswegs alleine). Heute will´s keiner gewesen sein, Guttenberg ist verbrannt, egal bei welcher Äußerung, die er tut und auf absehbare Zeit tun wird, er wird niedergeschrieben von denen, die in ihm vor gar nicht allzu langer Zeit noch den künftigen Kanzler sahen. Das klingt so ein bisschen wie verletzte Eitelkeit, dass es nun doch nicht so kam, wie man prophezeit hatte. Und die Tendenz mal eben schnell umdrehen, wie jetzt bei Rösler, das ging nicht, weil alle sahen, was zu offensichtlich war.
Aber das ist, zugegeben, nur ein besonders schrilles Beispiel aus der politischen Berichterstattung, die mir immer öfter vorkommt wie ein Wetterbericht: kann so kommen, muss aber nicht. Kohl war vom ersten Tag an nur ein Übergangskanzler, Schröder in der ewigen Krise, Merkel nur ein Strohfeuer, wenn ich das alles richtig in Erinnerung habe. Dafür haben die drei (und viele andere) es ganz schön lange gemacht, so wie im Übrigen auch unser bayerischer Übergangsministerpräsident Seehofer, der sich in den letzten Jahren laut Politikjournalisten schon auf seinen Abgang vorbereitete, mittlerweile aber wie selbstverständlich wieder in die Nähe der absoluten Mehrheit geschrieben wird.
Ich habe mich in letzter Zeit öfter gefragt, warum ich immer seltener diese klassische politische Berichterstattung in Zeitungen, Fernsehen, Radio und Netz verfolge. Seit ich diese lustige Volte um den fröhlichen Vizekanzler mitbekommen habe, seit ich mit gewissem Amüsement lese, wie es noch nicht lange her ist, dass der „Spiegel“ über einen ersten grünen Kanzler und viele andere über die unfassbar verändernde Wirkung eines Häufleins namens „Piraten“ fabuliert haben, seitdem fällt es mir immer schwerer, mich für politische Berichterstattung zu interessieren. Höchstens aus anderem Blickwinkel: Wie lange wird es wohl dauern, dass die SPD ausgeblutet ist, Gabriel stürzen wird? Und die Union sich der Kanzlerin entledigen will, sich aber, das rächt sich jetzt, in einem Kanzlerwahlverein kein geeignetes Personal mehr findet?
Dann muss es Rösler machen, gemeinsam mit Vizekanzler Guttenberg, in der ersten FDP-Koalition mit Grünen und Piraten!
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