Vermutlich gibt es über kein einziges Bundesland derart viele Ansichten gegenüber Bayern. Von denen wiederum sind so viele so strunzblöd, dass es sich nicht lohnt, auf sie näher einzugehen. Bei „Spiegel Online“ beispielsweise sabberte eine Autorin unlängst darüber, die Bayern, mit ihren Seppelhüten und anderen merkwürdigen Kleidungsstücken, seien eine politische und ästhetische Zumutung. So kann man das natürlich sehen und wenn man dieses Land nur aus der Ferne und bar jeder Sachkenntnis betrachtet, dann ist das möglicherweise sogar eine Einschätzung, zu der man nahezu zwangsläufig kommt.
Aber es gibt natürlich auch ein anderes Bayern. Keine Sorge, jetzt kommt nicht in der Hinweis darauf, dass seit der letzten Landtagswahl sogar hier die Zeiten der absoluten Mehrheit vorbei sind. Sondern darauf, dass es längst eine andere Lebensweise gibt, die allerdings, das muss man dazu wissen, weder mit der SPD noch den Grünen oder sonstigen Oppositionsparteien zu tun hat. Nennen wir es einfach einen bayerischen Lebensstil. Wenn man wissen möchte, wie ein solcher Lebensstil aussieht, dann empfiehlt sich sehr ein relativ junges und neues Magazin. Es heißt „Muh“ und ist nicht nur eine regelmäßige lesenswerte Zustandsbeschreibung des Lebens im viel geschmähten Freistaat, sondern auch ein schöner Beleg dafür, wie man den Journalismus möglicherweise doch am Leben erhalten könnte.
Zum einen: „Muh“ bedient eine ganz klar definierte Zielgruppe, wenn man erstmal so betriebswirtschaftlich nüchtern sagen darf. Vermutlich wird sich in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen kein Mensch für dieses Heft interessieren. Und wahrscheinlich gibt es auch im Freistaat selber genügend Menschen, die dieses Heft nicht mögen werden. Aber für diejenigen, für die Bayern eben nicht nur Laptop und Lederhose ist, für die ist dieses Heft eine Art gedrucktes Lebensgefühl. Da finden sich dann seitenlange Reportagen über Wanderungen im bayerischen Wald. Ohne falsche Heimattümelei und auch ohne diesen nervenden Duktus, den viele Reisereportagen so an sich haben. Man findet ein über viele Seiten gehendes Interview mit der großartigen Gisela Schneeberger (für die, die sie nicht kennen: siehe Video), Geschichten über den Versuch, eine neue „Biermösl Blosn“ zu etablieren und Geschichten über typisch bayerische Musik aus diesem alternativen Lebensgefühl, die inzwischen wieder vergessen ist (im aktuellen Heft geht es um eine Platte von „Guglhupfa“).
Zweitens: „Muh“ erzählt einfach lange, gute Geschichten. Solche, die es sonst nirgends gibt. „Muh“ leistet sich schlichtweg viele Dinge, die in Zeiten der Medienkrise gerne als nicht mehr machbar bezeichnet werden. „Muh“ lässt auf sechs Seiten Fotografen Geschichten aus der bayerischen Provinz erzählen. „Muh“ Gibt seinen Autoren Platz, gibt seinen Autoren Zeit, und gibt ihnen (das hoffe ich zumindest) auch Geld. Man versucht also nicht, eine bunte Wundertüte zu sein, in der für jeden etwas drin ist. Was mir ganz persönlich in diesem Zusammenhang auffällt: Ich habe meine „Muh“ und meine „Brand eins“ und noch eine ganze Menge anderer, denen ich bei bestimmten Themen die höchste Glaubwürdigkeit und den größten Charme zubillige. Fast alle von denen, die ich in meinem persönlichen Portfolio habe, wollen nicht mehr in diesem solistischen Universal-Anspruch erfüllen: Alles zu wissen, alles zu können, zu allem eine Meinung zu haben. Nette Pointe übrigens: Herausgeber (und Autor) ist Stefan Dettl, Kopf von „LaBrass Band“. Kein Journalist, kein Verlagsmanager, kein wie auch immer gearteter Experte. Sondern jemand, der weiß, wie das andere Bayern tickt. Und die Leute, die dort leben.
Vielleicht braucht es manchmal gar nicht mehr.