(Die Kollegen der taz haben mich gebeten, in einem Kurzdebattenbeitrag für die Wochenendausgabe zum Zeitungssterben etwas zu sagen. Auf den dafür vorgegebenen 1000 Zeichen bringe ich naturgemäß nur das Nötigste unter, der Rest steht deshalb hier.)
Bevor dann vermutlich ab Mittwoch wieder die großen Debatten um das Sterben oder Nicht-Sterben von gedrucktem Papier beginnt, müsste man das Loch dazwischen nutzen und zwischen den Aufgeregtheitswellen noch ein paar Sachen loswerden, die eher auf persönlichen Erfahrungen denn auf Wissenschaft oder Zahlen basieren. Und auf dem Gefühl, dass das größte Problem bei vielen Blättern nicht mal so sehr der Inhalt ist, sondern eher die Haltung. Um ein ganz banales Beispiel zu nehmen: Ich war für viele in der Branche über ein paar Jahre lang der „Zeitungshasser“. Einer, der einfach eine nicht näher zu begründende Abneigung gegen gedrucktes Papier hat und sich einen enormen Spaß daraus macht, die Kassandra zu spielen. Sieht man davon ab, dass ich mit meiner Zeit besseres anzufangen wüsste, als laute Unkenrufe auszustoßen, habe ich mich eine Zeit lang immer gefragt: Warum wohl sollte ich das machen? Dann wurde mir irgendwann mal klar, dass dieses In- die-Ecke-stellen eigentlich eine ziemlich perfide Sache ist: Man nimmt jemandem sämtliche argumentative Glaubwürdigkeit, indem man ihn per se als Kassandra abstempelt. Hört ihm erst gar nicht zu, heißt das ungefähr, der motzt eh nur rum.
Irgendwann in den letzten Jahren begann sich das zu wandeln. Nachdem ich auf nahezu allen öffentlichen Veranstaltungen zum atomaren Gegenschlag ausgeholt und generell eingangs betont hatte, Zeitungen an sich sehr zu mögen und auch lange Zeit bei solchen gearbeitet zu haben, hörte ich dann irgendwann mal, mein Vortrag/meine Beiträge seien „unterhaltsam“ gewesen. Das fand ich dann wiederum ebenso erstaunlich wie lustig: Ich bin keiner dieser Schreihälse vor dem Herrn und auch keiner der kulturpessimistischen Untergangspropheten, für die der Anblick von Zeitungsleichen einem Orgasmus gleichkommt. Trotzdem bemerkte ich dann irgendwann mal, dass die Bezeichnung „unterhaltsam“ wenigstens genauso perfide ist, wenn man sie gezielt einsetzt: Man macht jemanden dann zum Hofnarren, findet ihn witzig, aber nichtsdestoweniger nicht weiter ernstzunehmen. Davon abgesehen habe ich mir dann immer überlegt, wie ich wohl reagieren würde, wenn mir ein Arzt eine schwere Krankheit diagnostizieren würde. Ob ich dann ihm wohl freudig strahlend die Hand schütteln, mich bei ihm bedanken und ihm sagen würde, dass das jetzt eine der witzigsten Diagnosen meines Lebens gewesen sei? Aber gut, jeder hat ja seine eigenen Vorstellungen von Humor.
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Es ist möglicherweise also eine Frage der Haltung, über die viele Menschen aus dem Printkosmos gestolpert sind und noch stolpern werden (nebenbei bemerkt: damit meine ich keineswegs nur die selbstverständlich immerbösen Verleger, sondern auch viele Journalisten, für deren Beratungsgresistenz man auch erst einmal eine Bezeichnung finden muss). Eine Grundhaltung, die verhindert hat, aktiv zu werden, als noch Zeit dazu war und als es noch weitaus mehr Optionen gegeben hätte als hektische Sparrunden oder Einstellungen ganzer Titel, von denen jetzt ganz viele Menschen ganz furchtbar überrascht sind; ganz so, als hätten sich diese Entwicklungen nicht schon lange abgezeichnet. Ich muss in den letzten Tagen öfter mal an eine öffentliche Wette der geschätzten Kollegen Markus Hündgen und Thomas Knüwer denken; die beiden hatten um ein iPad2 gewettet, wen es dieses Jahr als erstes erwischen würde. Markus Hündgen hatte recht mit seinem Tipp „Frankfurter Rundschau“, aber so betriebsam, wie momentan das Handelsblatt bei allem ein Dementi raushaut, wo auch ansatzweise das Wort „Verluste“ enthalten ist lässt tief blicken. Falls Thomas Knüwer die Wette fürs nächste Jahr nochmal anbietet, würde ich nicht dagegen halten, aber das nur nebenbei.
Diese Haltung war und ist von Annahmen geprägt, die ebenso irrational wie absurd sind. Und die fatale Auswirkungen haben. Wenn man nämlich meint, es werde schon alles gut gehen, wenn man tatsächlich glaubt, es sei noch nie ein Medium durch ein anderes einfach so ersetzt worden, dann fühlt man sich mehr oder weniger unangreifbar. Das sind zwar so ungefähr die schlechtesten Argumente, die einem zu Ohren kommen können, dennoch werden sie in der aktuellen Debatte immer noch gerne gebraucht. Und wie ein Mantra wird auch ein Satz wiederholt, der in seiner ganzen Unsinnigkeit erst einmal dahin geschrieben werden muss: Zeitungen wird es immer geben. Das ist zwar tatsächlich erst einmal nur so dahin gesagt, ohne jegliche Begründung natürlich, aber man sollte da vorsichtig sein. Es gab auch schon Prophezeiungen, die in einem ebensolchen Brustton der Überzeugung davon ausgingen, kein Mensch brauche mehr als 1 MB Speicherplatz. Oder dass es auf der Welt nur Bedarf für vier oder fünf Computern gebe. Die schönste Prophezeiung hat übrigens jemand in einem Brief gefasst. Da schrieb er einer jungen Nachwuchstalent, die Zeit für ihre Musik sei leider endgültig vorbei. Der Mann wurde später berühmt als der Mann, der den Beatles eine Absage erteilte. Man sollte also durchaus aufpassen mit Prophezeiungen, die sich zwar auf kein einziges Argument, dafür aber auf eine umso intensivere Überzeugung stützen können. Sogar diejenigen, die in der vergangenen Woche mittelbar oder unmittelbar vor der Insolvenz der Frankfurter Rundschau betroffen waren, hielten an dieser Überzeugung fest.
Zeitungen wird es immer geben.
Zeitungen wird es immer geben.
Zeitungen wird es immer geben.
Und was – wenn nicht?
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Diese Haltungen beinhalten auch zwei andere interessante Komponenten. Die eine Haltungskomponente lautet: Ja, ich sehe, dass alle anderen in der Krise sind. Wir allerdings nicht. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
Die andere lautet: Ja, Sie haben recht. Wir müssen dringend unsere Hausaufgaben machen. Wir melden uns umgehend bei Ihnen. Unnötig zu sagen, dass sich natürlich nie wieder jemand meldet. Weil man anscheinend doch festgestellt hat, dass die Hausaufgaben ganz gut erledigt sind. Oder noch Zeit haben. Oder aber einfach zu viel Geld kosten.
Beides ist mir im vergangenen Jahr mehrfach passiert, und es waren keineswegs die kleinsten oder die dümmsten Köpfe, die so etwas gesagt haben. Ein durchaus sehr prominenter Journalist hat mir im vergangenen Jahr von seiner Zeitung erzählt, jaja, die anderen, das sei schon so eine Sache. Man müsste sich ja wirklich Sorgen machen wie das weitergehen werde mit der Tageszeitung in Deutschland, meinte er. Seine Prognose für die meisten seiner eher nicht so rosig. Das eigene Blatt nahm er selbstverständlich von dieser Prognose aus. Seitdem verfolge ich mit besonderem Interesse die Auflagenentwicklung dieser Zeitung. Und auch ihre digitalen Aktivitäten, ebenso wie alles andere. Jeden Tag frage ich mich deshalb mehr, wie dieser Mensch wohl auf diese Einschätzung gekommen ist, seine Zeitung sei von solchen Entwicklungen nicht weiter betroffen.
Bei einer Zeitung habe ich mir zwei Tage lang den Mund tatsächlich fusselig geredet. Am Ende hatte ich eine Reihe von betroffenen Mienen dort sitzen. Und einen Chefredakteur, der coram publico ankündigte, man noch eher heute als morgen anfangen gegenzusteuern. Er müsse nur noch mit der Geschäftsführung sprechen, das sollte allerdings kein Problem werden. Man wisse ja, wie diese Geschäftsführer seien. Immer nur die Rendite im Kopf und kein Verständnis für journalistische Probleme. Ich weiß nicht, ob der Chefredakteur später tatsächlich am Geschäftsführer zerschellt ist oder ob er sich einfach nur unter den Druck seiner Ressortleiter gesetzt fühlte. Faktisch passiert ist jedenfalls bis zum heutigen Tage ungefähr gar nichts.
Das ist es, was mich immer wieder so erstaunt an Tageszeitungen. Ich meine, seit Jahren warnen nunmehr unglaublich viele Menschen vor Gefahren, die den Zeitungen drohen. Die so genannten neuen Medien sind so „neu“, dass man sich schon überhaupt nicht mehr traut, den Begriff überhaupt in den Mund zu nehmen. Und trotzdem sind jetzt alle ganz erstaunt und betrauern das Ende beispielsweise der „Frankfurter Rundschau“. Vermutlich wird man dasselbe Spektakel erleben, wenn dann irgendwann doch mal die „Financial Times Deutschland“ vor die Hunde geht (und das wird, um weiteren Überraschungen vorzubeugen, passieren; wenn nicht jetzt, dann demnächst).
Trotzdem ist die einzige Reaktion bisher: Das sind Einzelfälle. Kann uns nicht passieren. Im Gegenteil, wir sind die künftigen Sieger der Digitalisierung (das ist keine Überspitzung, das habe ich wirklich mal in einem offiziellen Statement gelesen). Ohne uns geht es nicht. Irgendwann, wenn dieser Rausch mit diesem Internet mal vorbei ist, werdet ihr das auch mal kapieren.
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Irgendwann? Irgendwann mal wird es heißen, dass die Zeitungen nicht nur an ihrer veralteten Technik kaputt gegangen sind. Sondern auch an Dünkeln, Arroganz, und einem viel zu späten Erkennen der Zeichen der Zeit.
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