In den letzten Tagen ist wieder mal viel geschrieben worden über die Zukunft, die wir alle jetzt haben oder vielleicht auch nicht. Im Gegensatz zu den zurückliegenden Gauck-Wulff-Debatten aber nicht in den gewohnten schwarzweißen Schattierungen — doofe Verlage, gutes Netz oder umgekehrt.
Einer der Aspekte in den Debatten blieb mir besonders im Kopf. Es ging um die Zunft von Zeitungen und die Frage, was zu tun sei. Natürlich kamen wieder die tausendfach gehörten Argumente, dass man mehr im Netz machen müsste und all diese Geschichten. Aber daneben ging es auch um die Frage, was in einem (Verlags-)Haus passieren müsste, will man irgendwie in die Zukunft kommen. Einer dieser Punkte war: das Haus reorganisieren, komplett neu aufstellen. Nicht im Sinne von: ein paar Leute mehr in die Online-Redaktion stecken, ein paar ansehnlichere Webseiten bauen. Sondern tatsächlich: eine komplette Reorganisation.
Das ist tatsächlich der entscheidende Punkt — und auch der, an dem viele scheitern werden. Dass momentan anscheinend viele Webangebote an den Erwartungen der Nutzer vorbei gehen, geschenkt. Das ist eher ein aktuelles Symptom als die Ursache. Dass beispielsweise in den USA die Umsätze der Tageszeitungen innerhalb von 11 Jahren wieder auf das Niveau der 50er Jahre zurückgegangen sind, auch das sollte niemanden wundern, vergleichbare Entwicklungen werden wir über kurz oder lang auch in Deutschland bekommen. Und ob die eigentliche Gefahr für den Journalismus gar nicht im Netz liegt, sondern eher der Feind von innen kommt, wie die NZZ schreibt — auch das sei dahingestellt.
Die Frage ist also vielmehr: Können sich Unternehmen , die über etliche Jahre hinweg als schwere Tanker durch eher leichte See geschippert sind, nochmal komplett umstellen?
Es klingt zunächst einfach: baut um, stellt euch neu auf, fangt an zu denken wie Start-Ups, werdet so schnell und flexibel wie das Netz. Könnte man machen, wenn es nicht an so vielen Ecken und Enden knirschen würde. Ein Medienunternehmen besteht ja nicht nur aus einer Redaktion, die sich mal eben den Kopf waschen lässt und dann ist alles wieder gut. Dazu kommen möglicherweise: eine Geschäftsführung, die das Thema nicht versteht und letztlich zu einer kompletten Umstrukturierung nicht willens ist. Eine Anzeigenabteilung, die angesichts der zu erwartenden geringeren Onlineumsätze wenig Interesse daran hat, Onlinewerbung zu verkaufen. Und Kollegen, die seit vielen Jahren Spots und gedruckte Anzeigen verkauft haben und nicht wissen, dass es auch ein Leben nach dem Banner gibt.
Die größte Gefahr für Medienunternehmen ist nicht, dass sie neue (steht das jetzt wirklich da: neue? ) Medien nicht begreifen. Ihr Problem ist häufig eher systemimmanent: Sie sind etabliert, gefestigt — und gleichzeitig starr und inflexibel. Das ist schwierig in Zeiten, in denen sich gerade ungefähr alles verändert, was man sich nur denken kann. Echten digital natives empfehle ich sehr, ab und an einen kleinen Ausflug in die durchschnittliche Welt des analogen Medienunternehmens zu machen. An vielen Stellen meint man dann, auf einer Zeitreise in die Anfänge des Webs in seiner Zwonull-Version zu sein.
Es müsste jetzt schnell gehen mit den Veränderungen, sehr schnell. Man bräuchte dazu Zeit, die man schon nicht mehr hat. Gar nicht mal so sehr wegen des Auflagenthemas. Das Sinken der Auflage wird sich vermutlich auch in diesem Jahr in einem gemächlichen Tempo fortsetzen, an das sich viele schon gewohnt haben und dabei übrigens ganz erstaunliche neue Maßstäbe entwickelt haben: „Wir verlieren nicht so viel wie die anderen“, gilt inzwischen mancherorts schon als Beleg dafür, wie sehr man Dinge richtig macht. Schmerzhafter dürfte es bei einem Thema werden, bei dem es sehr viel schneller ans Eingemachte geht als beim Verlust von ein paar Abos und ein bisschen Auflage: Anzeigenumsätze. Dass sie in den USA in den letzten zehn Jahren auf das Niveau der Nachkriegszeit gesunken sind, war hier schon erwähnt. In Deutschland steht uns dieser Einbruch bevor — und nach allem, was ich so mitbekomme, dürfte 2012 das erste Jahr werden, in dem sich dieser Trend richtig bemerkbar macht. Nach den Rubrikenmärkten brechen zunehmend auch die weg, die richtig Geld bringen: Discounter, Baumärkte, Unternehmen, die mal eben in der Woche zwei Seiten Farbanzeigen schalten. Bisher haben solche Unternehmen in Zeitungen inseriert, weil sie dort ihre Klientel wähnten. Im vergangenen Jahr häuften sich dann die Meldungen über die Versuche, es doch einfach mal ohne Zeitung zu probieren. Das wenig überraschende Ergebnis, dass es ja auch ganz gut ohne geht, hat eine ganze Reihe von solchen big spendern dazu bewogen, ihr Geld dann eben mal anders auszugeben. Das tut weh, richtig weh: Momentan sehe ich mir bei vielen Zeitungen die früher prallgefüllten Wochenendausgaben an und stolpere immer öfter über anzeigenfreie Seiten und Anzeigenteile, die nur noch ein Bruchteil dessen sind, was sie früher einmal waren.
Die Verlagshäuser vor allem also müssten dringend aufhören, an den Symptomen zu kurieren. Überleben können etablierte Unternehmen nur noch, wenn sie sich nicht mehr wie etablierte Unternehmen benehmen. Das gilt im weitesten Sinne für alle Medienunternehmen: Brauchen wir noch diejenigen, die letztendlich Dinge nur vertreiben (und sich dabei interessanterweise immer als Urheber behandeln lassen wollen?). Braucht jemand mit einer guten Geschichte noch einen Verlag, der sein Buch verlegt? Muss ich Fernsehen machen, wenn ich Millionen Zuseher erreichen will? Kurz gefragt: Wie groß ist in einem Zeitalter der Teilöffentlichkeiten der Bedarf an Medien, die eine komplette Öffentlichkeit bedienen wollen? Und welche Existenzberechtigung hat ein Vertriebsweg, der aufwendig, teuer und kompliziert ist, wenn es auch einfach, kostengünstig und ziemlich simpel geht?
Kein Zweifel: In den kommenden Jahren werden wir zunehmend mehr Projekte sehen, die das machen, was heute noch den klassischen Medienunternehmen vorbehalten ist. Autoren, die ihre eigenen Bücher und Geschichten machen, Johnny Häuslers Projekt war aus meiner Sicht nur ein Anfang. Reporter/Journalisten, die auf eigene Faust unterwegs sind und berichten (auch da gilt: Gutjahr in New York und Ägypten war nur ein Anfang). Semi- und meinetwegen auch vollprofessionelle Filmer, die sich Portale wie Youtube zu nutze machen werden. Jedes auf diese Art publizierte Buch, jeder Film, jede lokale Webseite kratzt an unserem bisherigen Mediensystem.
Bleibt also eine eher simple Erkenntnis: Das System ändert sich. Die Frage ist nicht die gern gestellte nach print oder online, digital oder analog? Es ist — eine Frage des Systems.
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