Warum „everybody“ doch nicht kommt

Vielleicht muss man das am Ende eines Jahres mal so deutlich sagen: In den vergangenen Jahren ist in Sachen Medienzukunft viel Wahres, aber leider auch einigermaßen viel Quatsch erzählt worden. Gerne und bevorzugt übrigens auch von mir. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder mal Dinge als gottgegeben prophezeit und als unumstößliche Wahrheiten postuliert, von denen wir heute feststellen müssen: Ganz so ist es dann doch nicht gekommen, sorry for that. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren den endgültigen Triumph der Blogs über den konventionellen Journalismus prophezeit, den Siegeszug der freien, überall erhältlichen und natürlich kostenlosen wie kollaborativen Nachrichten und den Beginn der aufgeklärten, kritischen und teilhabenden  Mediengesellschaft. Und, ach ja, erinnert sich noch jemand an den Bürgerjournalismus, der die professionellen Journalisten ablöst? Bürger- und Hobbyreporter, die den ganzen Tag mit ihren digitalen Prosumergeräten stehen und lauern und nichts anderes im Kopf haben, als die Ergebnisse ihrer Arbeit sofort irgendwo hochzuladen und zu publizieren? Für mich war dieses Thema erledigt, als vor einigen Jahren „Bild“ das Leserreporter-Foto des Jahres prämieren wollte und es dann doch nur ein Schnappschuss des im Papamobil vorbeifahrenden Papstes wurde. Seitdem kann ich mich zwar an ein paar gelungene Interaktionen und Einbindungen zwischen Redaktionen und Nutzern erinnern, aber das alles überragende bürgerjournalistische Projekt in Deutschland habe ich nicht gefunden (und ich glaube auch nicht daran, dass es noch kommen wird). Der Erzähler, die Person kann ein interessanter Nebenaspekt in einer Geschichte sein, wenn die Geschickte gut ist. Oder beides zusammenkommt. Aber, sorry Mr. Jarvis: Nie, wirklich nie dreht sich Geschichtenerzählen um irgendwas anderes als die Öffentlichkeit.

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Vielleicht ist ja auch das Jahresende einfach ein guter Zeitpunkt, um ein wenig Selbstkasteiung zu betreiben. In jedem Fall aber ist es ein Text des US-Journalisten Dean Starkman mit dem schönen Titel „Der Schwindel“ (hier in der deutschen Übersetzung). Starkman geht ziemlich unfreundlich mit einer „Clique“ um Menschen wie Jeff Jarvis, Jay Rosen oder Clay Shirky um, von denen er schreibt, dass sie im öffentlichen Diskurs momentan die Oberhand habe. Das ist vornehm ausgedrückt, mir drängte sich in den vergangenen Jahren der Eindruck auf, dass es beispielsweise bei Jarvis genügte, wenn er IRGENDWAS sagte, um sofort geretweetet, gepostet und gesonstirgednwast zu werden. Dabei war mir vieles von dem, was irgendwann in die öffentliche digitale Meinung einfloss, wahlweise zu idealistisch, naiv, weltfremd. Und, ja, auch das: zu platt. Mit Thesen wie „What would Google do?“ kann ich nicht sehr viel anfangen, weil das tendenziell schnell auf dem Niveau von Erfolgsberatern und Motivationstrainers ist: Schau dir an, wie es XY macht und mach es dann genau so. Und auch an die anderen Thesen habe ich immer nur sehr eingeschränkt geglaubt. Inzwischen zeigt sich, wie unsinnig manches davon ist.

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Starkman hat einige sehr schöne Zitate der US-Gurus rausgekramt. Und ich finde, man kann sie mit einigem Recht inzwischen daran messen. „Narrativer Journalismus dreht sich um den Erzähler und nicht die Öffentlichkeit“, hat beispielsweise Jarvis mal geschrieben Das könnte man als Bagatelle abtun, wäre es nicht so fatal kennzeichnend für die Haltung, die in Digitalen inzwischen oft genug  leider unreflektiert eingenommen wird. Ein Journalismus, selbst ein narrativer, der sich vornehmlich um den Erzähler dreht: Was wäre das noch außer Selbstbespiegelung, Eitelkeit, medialer Elfenbeinturm? Und was ist es für ein überaus merkwürdiges Selbstverständnis zu glauben, es würde irgendjemanden interessieren, wenn ein Journalist in narrativen Erzählungen sich um selbst dreht. Das ist im Übrigen auch immer der Grund, warum ich an manchen Selbstvermarktungsstrategien für (freie) Journalisten große Zweifel habe: Es ist der Inhalt, um den sich alles dreht, sogar bei Twitter, bei Facebook und all den anderen. Niemand will wissen, wie sich der Journalist gerade fühlt und wo er sich gerade rumtreibt, wenn es nicht irgendeinen inhaltlichen Kontext gibt, eine Information, einen Mehrwert. Wir können in unserem Beruf gut sein, konsequent, zielstrebig, kommunikativ – aber wir sind im Regelfall keine Stars, von denen persönlich man sehr viel wissen will. Einen Journalismus, der ein anderes Selbstverständnis hat, als irgendwie für die Öffentlichkeit da zu sein, möchte man sich lieber erst gar nicht vorstellen. Selbst dann nicht, wenn er plötzlich digital-narrativ ist.

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Man möchte ihn aber auf der anderen Seite auch nur ungern so gebeugt erleben, wie ihn andere aus der US-Szene beschreiben. John Paton schreibt davon, dass unser Marktwert (und vulgo damit auch unsere Leistung) „gleich null“ sei. Clay Shirky meint sinngemäß, Nutzer könnten Nachrichten inzwischen auch selbst verbreiten und würden dadurch bedingt lernen, dass es nichts Besonderes mehr sei, sie zu produzieren (weswegen eben auch unser Marktwert sinkt). Dan Gilmore fühlt sich „befreit“ durch das Wissen darüber, dass seine Leser zusammen sehr viel mehr wüssten als er. Das alles beschreibt richtige Tendenzen und zieht doch die falschen Schlüsse. Ja, natürlich wissen 15 Menschen im Regelfall mehr als einer. Ja, der Stellenwert der Nachricht hat sich verändert und ja, man kann sie inzwischen auch als Nutzer weiter verbreiten, wiewohl man sie immer noch im seltensten Falle selbst erzeugen kann. Aber genau das ist der Punkt: Der Vertriebsweg ändert sich, die Kommunikation ändert sich. Was sich nicht ändert: der Job des Journalisten, Nachrichten und gute Geschichten zu recherchieren und zu veröffentlichen. Den Stoff für eine Anschlusskommunikation zu liefern oder eben auch für die ganzen wunderbaren sozialen Plattformen. Ohne Nachricht, ohne Geschichte gibt´s auch nichts, was man teilen könnte.

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Sieht man davon ab, dass es schon ganz gute Gründe darf gibt, warum man den Journlistenberuf tatsächlich lernen kann und auch soll, gehen die „Wir haben keinen Wert mehr, weil´s jeder kann“-Propheten auch von einer elementar falschen Grundvoraussetzung aus. Nur weil es technisch künftig jeder kann, kann es noch nicht jeder handwerklich. Mindestens genauso wichtig: Vielleicht wollen es viele ja auch gar nicht. Hört man Shirky et al zu, könnte man glauben, die Menschheit habe nur darauf gewartet, endlich selbst publizieren zu können. Was aber, wenn dem gar nicht so ist? Was, wenn unser Publikum es tatsächlich als eine ganz kommode Lage empfindet, uns mal machen zu lassen? Wenn es uns gerne liest und sieht und manchmal auch völlig zu recht kritisiert — ohne aber deswegen auf den Gedanken zu kommen, die ganze Sache jetzt mal selbst in die Hand zu nehmen? Kaum vorstellbar. Und auch nicht verwunderlich. Das Verhältnis zwischen denen, die publizieren und denen, die konsumieren, ist seit jeher ungleich. Daran wird sich nichts ändern, man darf kopieren/weitergeben eben nicht mit produzieren verwechseln. Here comes everbybody? No way, weil everybody gar nicht will. Die Gedanken der digitalen Avantgarde sind deswegen nicht massentauglich, weil es eben die Gedanken einer Avantgarde sind (gerne zugegeben sei allerdings an dieser Stelle, dass ich mich mit manchem, was ich hier in den vergangenen Jahre geschrieben habe, auch getäuscht habe).

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Könnte also gut sein, dass es uns so schlecht gar nicht geht mit dem Journalismus. Dass es bei aller inhaltlichen Alltagskritik und allen digitalen Wandlungen immer noch ein Grundbedürfnis nach solide recherchierter Information und guten Geschichten gibt. Dass man der Seite 3 der „SZ“ möglicherweise doch noch mehr glaubt als einem Blogger, wobei gerade dieses Bild sinnbildlich stehen kann für die Veränderung: Ganz früher hätte es den Blogger erst gar nicht gegeben, dann hätte man ihn pauschal gar nicht als Alternative in Erwägung gezogen, inzwischen kann unter Umständen der Blogger auch mal besser oder zumindest ergänzend zur Seite 3 sein.

 

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Hardy Prothmann

    Lieber Christian,

    wie so oft gerne gelesen, aber ich widerspreche Dir.

    Vielleicht haben manche mit den Zeitachsen übertrieben. Aber die Veränderung ist voll im Gange.

    Du vergleichst einen Journalismus aus dem vergangenen Jahrtausend mit einer sehr rasanten Entwicklung, die gerade erst vor vielleicht fünf Jahren tatsächlich begonnen hat.

    Schau Dir das Zeitungssterben in den USA an und wie viele „Kollegen“ hier in den vergangenen Jahren ihren Job verloren haben.

    Das passiert, weil die Auflagen zurückgehen und die SZ ist fraglos eine gute Zeitung, aber gerade die SZ ist in enorm wirtschaftlichen Schwierigkeiten (gewesen?).

    Und wenn Du nicht versuchst, Dich an einzelnen guten Zeitungen festzuhalten, dann stellst Du fest, dass die meisten Mantelausgaben von Lokal- und Regionalzeitungen genauso C&P-generierten „Content“ vervielfältigen, wie die Hörfunk- und Fernsehsender zugeliefertes Material versenden und nicht-Journalisten per C&P dieses Material weiterverbreiten. Any differences?

    Ich gebe Dir natürlich recht: Es gibt immer noch sehr viel gutes Handwerk und herausragenden Journalismus. Aber leider nicht genug.

    Wenn Du Dir dann anschaust, wie viel Zeit die Menschen nicht mehr mit dem Konsum klassischer Medien verbringen, sondern in Social Networks, Foren und anderen Internetanwendungen und Dir dazu anschaust, wie viel Content – und zwar auch originären – die dort produzieren, dann hat der Journalismus eine ernsthafte Aufmerksamkeitskonkurrenz bekommen, die dazu noch rasant wächst.

    Es ist wie immer: Als die arabischen Nachrichtensender an den Start gingen, hat ihnen niemand eine Chance gegeben, heute sind es oft diese Sender, die echte News aus deren Berichtsgebieten produzieren.

    Doch auch das war ein altes System: Fernsehen.

    Journalismus, ob gut oder schlecht, hat früher in der Öffentlichkeit mit Journalismus konkurriert – das ist heute längst nicht mehr so.

    Schau Dir Stuttgart 21 an: Ohne Handy, SMS und Internet wäre das ebensowenig vorstellbar gewesen wie die arabische Revolution. Und beide haben trotz des bestehenden Mediensystems ihren Schwung erhalten.

    Ich sehe es genau wie Du, aber anders: Ich bin überzeugt davon, dass herausragender Journalismus eine gute Zukunft hat. Aber nur noch bedingt in den alten Systemen.

    Noch funktioniert das Gate-Keeping im Alltagsgeschäft. Bei speziellen Themen oder aktuellen Lagen haben die Menschen mit ihren Produktionsgeräten den Journalismus längst an Aktualität überholt. Und es sind schon längst nicht mehr die Journalisten, von denen sich die Menschen die Welt erklären lassen.

    Meine Perspektive ist: Ich sehe meine Arbeit als Teil von Öffentlichkeit und mit dieser bescheidenen Haltung fahre ich besser als mit dem Hochmut, den andere immer noch empfinden.

    Meine Meinung.

    Guten Rutsch

    Hardy Prothmann

  2. Stefan

    @Hardy Prothmann
    Hochmut ist aber auch, mit seinem Loaklzeitungsblog vom 24.12 bis 8.1. Betriebsurlaub ohne einem einzigen(!) aktuellem Artikel (nicht einmal ein Bild des Tages) zu machen, und anderen erzählen wer und vor allem was sie alles falsch machen.

    Weiter so mit dem Sachverstand.

    Frohes Neues Jahr und darin gute Besserung 🙂

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