2012 – oder: Bleibt alles anders

2011 ist man mit ein bisschen Glück einer ganzen Reihe von ehemals halbanalogen Menschen aus der Branche begegnet, die ziemlich stolz auf sich und zufrieden mit der Medienwelt waren. Das waren sie in erster Linie, weil sie sich angekommen glaubten im digitalen Wunderland. Man sei bei Facebook und bei Twitter, manche haben jetzt auch Blogs, und, achja, natürlich sei man auch im Internet, manchmal sogar mit Videos. Das ist — bei aller Überspitztheit —  sehr häufig die Lage am Markt. Das war schon mal schlimmer, könnte man jetzt denken. Schließlich sind die Zeiten noch nicht so lange zurück, in denen die Notwendigkeit von digitaler Veränderung schlichtweg negiert wurde. Das also ist vorbei. Und trotzdem: 2012 dürfte sich so viel verändern, dass das vermeintliche Aufholen eines Rückstands dann schon wieder einem Hinterherlaufen gleichen wird. Oder anders gesagt: Ich glaube sehr fest daran, dass am Ende des nächsten Jahres sich der Journalismus und seine Rahmenbedingungen so stark verändert haben werden, dass man irgendwann davon sprechen wird, wie alles anfing, damals, 2012…

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Es war in diesem Jahr sehr viel von Richard Gutjahr die Rede, auch hier auf dieser Seite. Gutjahr verstand es großartig, sich selbst und seine Projekte in Szene zu setzen. Mal kabbelte er sich ein bisschen mit der ARD-Vorsitzenden auf einem Podium, dann berichtete er live und multimedial aus Ägypten. Das verleitete eine ganze Menge so genannter Experten, Gutjahr vor allem als das Paradebeispiel einer gelungenen Selbstvermarktung zu benennen. Der Journalist als Marke, dieser ganze Kram, Sie wissen schon. Das allerdings dürfte der größte Trugschluss des vergangenen Jahres sein. Und er führt andere in die falsche Richtung. Weil sie meinen, es würde reichen, ein bisschen zu trommeln und ab und an einen Link bei Facebook zu setzen, welch atemberaubende Geschichte man jetzt gerade wieder irgendwo veröffentlicht hat. Ich habe rührend-naive Versuche in dieser Richtung gesehen,  u.a. den einer mäßig bekannten Journalistin, die einfach mal bei Facebook eine „Fan-Seite“ eingerichtet hat. Die Fan-Zahlen blieben in einem sehr überschaubaren Bereich, was nichts gegen die Dame heißen soll. Sondern einfach nur: Es ist absurd zu glauben, dass ein Journalist irgendetwas erreicht, weil er auf Facebook vertreten ist und ab und an einen Tweet absetzt. Natürlich war das auch bei Gutjahr nicht so. Andersrum wird eher ein Schuh draus: Man (Achtung, FDP-Deutsch) liefert erst einmal. Man geht als Journalist in Vorleistung, wenn man schon unbedingt den Marketing-Gedanken bemühen will: Man präsentiert sich mit seinem Können, seiner Arbeit. Erst einmal sind Blogs, Facebook und Twitter nichts anderes als eine Art Schaufenster. Und natürlich müsste in diesen Schaufenster schon auch was drin liegen.

Bloß was? Blogger und Journalisten haben in den letzten Jahren von wenigen Ausnahmen abgesehen eher reagiert statt agiert. Sie haben, wie Wissenschaftler das gerne so nennen, für „Anschlusskommunikation“ gesorgt. Was sie nicht getan haben: das, was Journalisten an sich so tun. Nämlich Themen zu setzen, sie selber zu recherchieren, schlichtweg selbst zum Medium zu werden. Bisher haben sich Journalisten bei ihren Netzaktivitäten eher darauf beschränkt, Dinge zu kommentieren. Kann man machen, man kann so eine Art Universalkommentator für alles und jeden werden.  Oder aber eben den anderen Weg gehen: eigene Geschichten machen, Journalismus nicht mehr als Privileg von irgendwo verorteten Redaktionen begreifen. Weil Richard Gutjahr von solchen Geschichten in den letzten 12 Monaten eine ganze Menge gemacht hat, ist er bekannt geworden. Nicht, weil er sich mit Monika Piel gerauft hat oder andere lustige Dinge tut. Das ist eher Nebensache.

Eine Massenbewegung ist aus diesen storyerzählenden Journalisten natürlich noch nicht geworden, aber so ganz alleine ist Richard Gutjahr dann auch nicht mehr (er ist vermutlich nur der einzige mit einer derart hohen Konstanz und Themenbreite). Ich stoße in letzter Zeit immer öfter auf gute Geschichten bloggender Journalisten, von denen ich mir denke, sie hätte jeder „professionellen“ Redaktion sehr gut getan. Der ZDF-Volontär Martin Giesler beispielsweise hat eine Serie gestartet, in der er erfahrene Journalisten (Hinweis: Ich bin auch dabei) fragt, wie sie täten, stünden sie heute am Ende ihres Volontariats. Gießler hat es mit dieser Geschichte inzwischen auch auf die Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung gebracht –– und ich denke mir bei solchen Fällen immer: Hey, Medienmagazine, warum habt ihr sowas nicht? Oder anders: Es gibt keinen Unterschied mehr, ob ich eine solche Sache im Netz bei einem ZDF-Volo oder in irgendeinem Fachmagazin bekomme.

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Das ganze wird natürlich unübersichtlicher und schwieriger für Journalisten und Nutzer. Einen derart fragmentierten Markt noch im Blick zu behalten, fällt sogar Profis schwer. Es wäre also kein großes Wunder, wenn Aggregatoren 2012  erheblich an Bedeutung gewinnen würden. Aggregieren und kuratieren, zwei Aufgaben, die nicht nur streng genommen zu den Aufgaben von Journalisten gehören, trotzdem bisher aber kaum wahrgenommen werden (eine Übersicht einiger Aggregaotoren findet sich hier). Es passt in diesem Zusammenhang übrigens gut, dass die Neuauflage von Rivva nicht etwa von einem Medienunternehmen unterstützt wurde. Sondern von, kurios genug, BMW. Soll heißen: Es wäre für jede Redaktion eine gute Idee, sich auch über das Aggregieren von Inhalten Gedanken zu machen. Was erstaunlich ist: Im Lokalen gibt es so gut wie keine Überlegung, dieses Thema anzugehen. Dabei wäre ein regionales Inforportal, basierend auf einem klugen Algorhytmus, ein Projekt, das man wirklich mal gerne sehen würde. Aber davon abgesehen wird ein Trend ganz sicher sein, dass Journalisten und Redaktionen den Gedanken vergessen müssen, jede Information komplett selber zu erstellen. Das geht nicht mehr, das muss auch nicht sein — und ja, letztendlich ist es auch eine Form von Information, einem Nutzer zu sagen, wo er was findet. Hatten wir nicht schon vor 20 Jahren gelernt, dass man dem Leser Orientierung geben muss?

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Weil wir gerade beim Thema Orientierung sind: Vermutlich werden wir uns beim Thema Social Media 2012 wieder mal neu orientieren müssen. Bei Dingen wie Facebook ist das, was wir im Beraterdeutsch so schön „kritische Masse“  nennen, schon lange überschritten, eigentlich ist sie sogar –überzogen. Man muss sich als kommunizierendes Etwas schon seine Gedanken machen,  wie sinnvoll es ist, in einem restlos überlaufenen Raum mit seinem hunderten Millionen Nutzern auch noch dazwischenreden zu wollen. Welchen Sinn macht es, irgendwas bei Facebook zu machen, nur weil irgendwie alle da sind und fröhlichen Quatsch posten? Man wird also nachdenken, nachdenken müssen. Wo erwischen wir die Leute, wo ist wer, wo können wir uns mit ihnen unterhalten, sie informieren, wo haben sie überhaupt Lust auf uns? 2012 wird das Jahr, in dem die Losung „Wir machen da mal was bei Facebook“ nicht mehr ausreichen wird.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Bernhard Lill

    Lieber Christan Jakubetz, große Bewunderung dafür, dass Sie auch einen Tag vor Weihnachten noch bloggen (während bei mir halb metaphorisch) der Weihnachtsbaum abbrennt. Schöne Jahresendzeitgedanken. Ein entspanntest Fest wünscht Bernhard Lill

  2. Daniel Lücking

    Den Anspruch an Blogger, Themen selbst aufzuwerfen halte ich für überzogen, weil es vielen schlichtweg nicht möglich ist, neben dem „Broterwerb“ umfassend zu Recherchieren.

    Wenn man sich keine Gedanken darum machen muss, ob Miete & Internet bezahlt sind und auch der Kühlschrank genug her gibt, dann kann man auch in die Tiefe gehen.

    Vielen bleibt schlichtweg nur „dran hängen“ – aber damit leisten sie immer noch mehr, als eine breite, politisch wenig interessierte Masse.

  3. jsachse

    Zu späterer Stunde: Volle Zustimmung, vielen Dank für den Text, den ich zu großen Teilen unterschreiben würde.

    Viel zu viele Journalisten beschränken sich auf das Verlinken von Artikel, als eigenständig neue Themen zu setzen. Ein eigener Blog ist gut und kann helfen das Profil zu schärfen. Nur wird er nicht über eine Sekundärfunktion hinauskommen.

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