Die „Berliner Gazette“ hat heute auf einen ebenso interessanten wie beinahe vergessenen Punkt zur Stellung von Zeitungen in Deutschland hingewiesen: Sie seien laut Habermas zuständig für die „Grundversorgung“ mit Kommunikation. Das ist deswegen bemerkenswert, weil fast alle konservativen Betrachtungsweisen davon ausgehen, dass es ein Mediensystem mit einer „Grundversorgung“ geben müsse, an dem dann viele Sachen angedockt sind, die eben nicht mehr Grundversorgung, sondern eine Art Luxus sind. Grundversorgung: Das wären demnach Zeitungen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk und das hatte lange Zeit auch seine Berechtigung. Allerdings: Spätestens, seit über 70 Prozent der Deutschen sich im Netz tummeln, wird es Zeit, diesen Grundversorgergedanken zu überdenken.
Das Netz tickt anders. Das Netz braucht keine Grundversorgung, weil das Netz die neue Grundversorgung ist. In der Praxis hat sich beispielsweise das Verhältnis zwischen Zeitung und Netz innerhalb weniger Jahre faktisch umgekehrt: Noch vor fünf Jahren war fast die Hälfte der Deutschen nicht im Netz. Das Netz war also die Kür, der Zusatz, wenn man so will: der Luxus, den man sich zusätzlich zu Zeitung und Rundfunk noch leistete. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Speziell jüngeres Publikum irgendwo zwischen 15 und 30, komplett mit dem Netz aufgewachsen, würde es als einen absonderlichen Gedanken empfinden, Zeitung und Rundfunk als die Grundversorgung zu verstehen.
Die Grundversorgung ist das Netz — und da geht das eigentliche Problem für die analogen Medien los. Weil das Netz anders genutzt wird. Aus dem Netz holt man sich, was man will, was man gerade braucht, man stellt sich seinen eigenen Konsum zusammen. Zumal das Netz eben auch alles bietet, es ist Zeitung, Radio, Fernseher, Spielekonsole zugleich. Das schließt nicht aus, dass man zusätzlich analoge Medien konsumiert. Nur einen Zwang, wie ihn der Begriff Grundversorgung nahelegt, den gibt es nicht mehr.
Es ist auch zunehmend weniger so, dass sich Menschen mit ihrer Zeitung oder ihrem Sender identifizieren. Wenn das Netz die Loslösung von Plattformen und Kanälen bedeutet, dann ist das gleichbedeutend mit der Loslösung von Identifikation. Zumal im Netz diejenigen, mit denen sich Nutzer inzwischen identifizieren, andere sind. Das sind Google und Apple und Amazon und Ebay, das sind YouTube, Blogs, Netzwerke. Oder aber: kleine, sehr spezifische Projekte. Über Identifikation und Grundversorgung läuft das nicht mehr. Die Zeit der Wundertüten für alle, die sich irgendwo in der Mitte von Nirgendwo bewegen, sind vorbei.
Man wird also andere Gründe für die eigene Weiterexistenz im Netz finden müssen.Von diesen Gründen gäbe es ausreichend, hochwertiger Journalismus beispielsweise wäre so ein Grund. Gute, spannende Geschichten, mehrkanalig, mobil, multimedial, interagierend erzählt, das wäre etwas. Vergesst die Grundversorgung und vergesst die Identifikation.
Aus dem Netz holt sich der Nutzer, was er gerade benötigt, schreiben Sie sinngemäß – aber ist das ein Unterschied zu Verhalten der Tageszeitungs-Abonnenten oder der Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens? Sie selbst, Herr Jakubetz, kennen als einstiger Lokalredakteur die Gewohnheiten einer Lesermehrheit: Bei den Todesanzeigen anfangen, Berichte über jene Vereine lesen, denen man selbst Beiträge überweist und vor allem dann, wenn sie für die Vereinschronik ausgeschnitten werden müssen, den Sport unbedingt. Knapp 3 % der durchschnittlichen Leser schauen sich das Feuilleton an, kaum mehr die Politik- und Regionalseiten: Es stimmt, die Grundversorgung ist mittlerweile durch das Netz gesichert und gegenwärtig schlicht billiger. Zu billig? Darüber müssen sich Verleger und Journalisten Gedanken machen.Tatsache ist, dass Abonnentenabstürze von bis zu 3 % jährlich unübersehbar sind. Fragt sich nur, was machen jene besser, die wie die SZ neue Leser gewinnen, oder sie wie der DONAUKURIER in Ingolstadt halten? Wahr ist aber auch, dass mit dem Verlust der herkömmlichen Identifikation der Leser mit IHRER Zeitung auch jene mit ihrer heimischen Umgebung einhergeht. Das ist ein Parallel-Prozess: Jene Jungen, denen das Netz per se als Grundversorgung dient, verlieren die ihren Eltern noch selbstverständliche Bindung an die Printmedien. Und überdies sorgt die Auflösung der örtlichen Schulen dafür, dass sich auch die Bindungen an die eigene Gemeinde lösen. Die starke Abwanderung zum Beispiel aus den Bayerwaldkreisen beweist das mehr als zur Genüge!