Gerade eben wäre der richtige Zeitpunkt für einen ordentlichen Rant. Weil ich aber nicht sonderlich gut ranten kann, bleibt es bei ein paar unsortierten Beobachtungen aus einer Branche, die sich momentan merkwürdig mutlos, verstört und kaum zukunftsfähig zeigt. Eine Woche voll mit Zitaten und Debatten, anhand derer man sich fragt, ob nicht ein beträchtlicher Teil dieser Branche immer noch im Jahr 2001 lebt.
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In Frankfurt war gestern der Media Coffee der dpa-Tochter „News aktuell„. Das passte insofern ganz gut, weil zeitgleich in Köln der Grimme Online Award vergeben wurde. Die Zufälligkeiten des Kalenders wollten es also so, dass in Frankfurt sich vorwiegend die alte Welt traf – der betuliche Name „Coffee“ passt da gerade sehr schön – und in Köln das digitale Klassentreffen stattfand. „News aktuell“ raunt in seiner Pressemitteilung zur Veranstaltung, dass die Kämpfe zwischen den analogen Medien und den digitalen Vordenkern aktuell wieder an Schärfe zunehmen würden, was man wohl so sagen kann angesichts von Klagen gegen Apps und Begrifflichkeiten wie „Potentaten“ auf der einen und „faschistoid“ auf der anderen Seite. In Frankfurt also blieb die alte Welt weitgehend unter sich und fuhr bekannte Namen auf, die allesamt eher für digitale Desorientierung stehen. Als digitales Feigenblättchen hatte man sich Robin Meyer-Lucht geladen, was aber insofern ungefährlich war, weil man sich bei ihm ziemlich sicher sein konnte, dass er niemanden als Potentaten bezeichnen noch sonst irgendwie das kuschelige Beisammensein übertrieben stören würde (was er denn auch nicht tat).
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Glaubt man denn der Frankfurter Runde, ist die Sache ja beinahe schon wieder simpel. Man übt ein bisschen leise Selbstkritik, wie beispielsweise Rainer Maria Gefeller, Chefredakteur der „Frankfurter Neuen Presse“. Man habe sicher auch mal schlechten Journalismus gemacht und sei nicht nahe genug am Leser gewesen, zerknirscht er sich, ist aber dennoch sicher, dass die Rückkehr zu guten Tagen zwar schwierig, aber machbar sei. Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, hat sogar einen atemberaubenden Tipp für die versammelte Kollegenschaft parat: Es würde sicher nicht schaden, wenn man sich mal mit Twitter und Facebook auseinandersetzen würde. Könnte gut sein. Nach allem, was man so hört, soll Facebook inzwischen bei den Mitgliedern die Millionengrenze ansteuern. Klar aber ist, sagt wiederum der Kollege Gefeller, dass sein Leitsatz weiterhin „Print first“ laute.
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Auch die Tipps von Thomas Leif klingen durchaus wegweisend. Interessant gehe heutzutage ja vor relevant, dabei müsse es doch genau umgekehrt sein, wenn wir das hinbekommen wollen, was Leif prophezeit: nicht weniger als „eine Renaissance des klassischen Journalismus“. Vor kurzem schrieb übrigens SZ-Chefredakteur Kurt Kister eine wunderbare Glosse über das Geschwurbel in Journalistentexten. Warum musste ich an Kisters Text denken, als ich Leifs Zitat gelesen habe?
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Mehr an Ratlosigkeit, so viel lässt sich festhalten, geht kaum mehr. Man müsse es nur ein bisschen besser machen als vorher, wieder näher am Leser sein, ein bisschen dieses Twitterdingens anschauen, dann kommt die unvermeidliche Renaissance. Mir fehlte ja nur noch die Feststellung, dass Blogs Journalismus nicht ersetzen können, dann wäre die Phrasensammlung komplett gewesen. Was allerdings offen bleibt: Wenn es denn so einfach wäre, gute Geschichten zu machen und nah am Leser zu sein, warum macht man das nicht schon lange einfach so? Davon abgesehen ist die Grundannahme verkehrt. Man meint immer noch, Journalismus im digitalen Zeitalter bemesse sich ausschließlich daran, die guten Sache zu produzieren, dann kommen die Leute schon. Man meint immer noch, dass die Mitglieder sozialer Netzwerke nur darauf warten, dass Thomas Leif dort den Sendetermin seiner nächsten Großreportage bekannt gibt. Und dass digitales Publizieren bedeutet, dass man den nächsten Mördertext den „Frankfurter Neuen Presse“ auch auf einer App lesen kann. Die ist aber dann wenigstens kostenpflichtig, weil guter Journalismus ja schließlich kostet und und unter überhaupt gar keinen Umständen „verschenkt“ werden darf. Wo kämen wir denn hin, wenn wir mit den Leuten kommunizieren und unsere sauer erarbeiteten Geschichten auch noch verschenken müssen?
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Ja, wohin eigentlich? Ich komme ohnehin kaum mehr nach mit dem, was ich im Netz so konsumieren möchte, wobei es nicht so wichtig ist, ob es was kostet oder nicht. Tatsächlich gibt es jeden Tag ein derart riesiges Angebot von spannenden, lesens-, hörens- und sehenswerten Dingen im Netz, dass ich, die Herren mögen es mir nachsehen, gar nicht so versessen bin auf die Frankfurter Neue Presse oder die neuesten Bilder von Herrn Leif. Anders gesagt: Ich würde nur ungern warten auf die lange und immer wieder angekündigte Journalismus-Renaissance, weil ich mit dem, was es jetzt schon gibt, mehr als ausgelastet bin. Direkt unterversorgt komme ich mir eigentlich nicht vor.
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Deswegen denke ich auch, dass natürlich jeder klagen darf wie er will, die Klage von acht deutschen Verlagen gegen die Tagesschau-App an der eigentlichen Sache komplett vorbeigeht. Angenommen, die Klage ginge durch, die App würde aus dem Verkehr gezogen – die deutschen Zeitungen würden dennoch nicht ein Exemplar mehr verkaufen. Und nicht einen Euro mehr erlösen. Glaubt man dort wirklich, dass jemand, der die Tagesschau nicht mehr nutzen könnte, automatisch zur SZ wechseln würde? Weil dort ja gerade die Renaissance einsetzt? Wer so denkt, hat sich vermutlich noch nie wirklich mit dem Netz auseinandergesetzt. Darauf (und darauf, das Wesen des Netzes nicht erfasst zu haben) deutet auch ein anderer Teil in der Argumentation der Klage hin. Begründet wird die Klage nämlich ausdrücklich mit der „Textlastigkeit“ der App. Wie würden Verlage eigentlich reagieren, zöge man wegen der „Videolastigkeit“ ihrer Angebote zu Felde?
Lieber Herr Jakubetz,
besten Dank für die ausführliche Würdigung unseres media coffees in Frankfurt. Sicher haben Sie mit Ihrem Fazit recht: Niemand weiss heute wirklich wie man mal eben in ein paar Jahren 100%ig steigende Umsätz, steigende Leserschaft und steigende Qualität gleichzeitig hinbekommt. Das hat auch keiner unserer Diskutanten für sich in Anspruch genommen.
Aber wie wäre es denn, Sie gehen erstmal mit gutem Beispiel voran und verlinken auf die Informationsquellen, die Sie verwendet haben, damit sich der mündige Leser sein eigenes Bild machen kann? Das wird von den „ahnungslosen“ Journalisten doch auch immer gefordert … 😉
Video mit den Diskutanten:
http://www.presseportal.de/video/189303
media coffee-Blog:
http://www.mediacoffee.de/node/7905
Beste Grüße aus Hamburg, Ihr Jens Petersen
Sie haben natürlich recht, mea culpa. Hab’s nachgeholt.
Lieber Christian Jakubetz,
ich will anerkennen, dass Ihre Mahn- und Bußpredigten (seit Jahren) an die Printmedien bester Absicht entstammen. Aber Sie finden sich doch schon in der Rolle des Girolamo Savonarola wieder, der die irdischen Institutionen der Kirche einreißen (und neu aufbauen) wollte. Er hat es ebenso wenig geschafft wie wenig später Luther. Es scheint mir, dass Sie die Rolle der Printmedien, denen Sie doch entstammen, nie verinnerlicht, geschweige denn, verstanden haben. Nachdem Sie ins digitale Fach abgewandert sind, natürlich erst recht nicht .
Übrigens: Savonarola, der den nahen Untergang der christlichen Kirche in vielen, vielen Tiradden vorhergesagt und beschworen hatte, endete bald am Galgen. Die Kirche existiert immer noch…
Und das Echo verhallt im Wind…
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