Patient auf Intensivstation wünscht Sekt

Wenn man die aktuellen Tarifverhandlungen zwischen dem DJV und den Verlegern verfolgt, dann bekommt man einen Eindruck davon, wie schwierig die Lage für viele vor allem unter den Regionalblättern inzwischen geworden ist. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob es nun mehr oder weniger Geld für Journalisten geben soll. Sondern darum, wie man aus einer Situation herauskommt, die man eigentlich nur mit neuen Ansätzen lösen könnte, gleichwohl aber beide Seiten ungerührt so tun, als befänden wir uns mitten in den goldenen 80er Jahren.

Für den Journalistenverband ist die Sache relativ klar. Von Journalisten wird mehr Leistung verlangt, die letzten Gehaltserhöhungen sind schon ein paar Tage her, die Inflation und überhaupt, die Zeiten sind hart, wie soll man also zu einer anderen Forderung als der nach mehr Geld kommen? Zumal es vielen Verlagen ja nun so schrecklich schlecht auch wieder nicht geht, als dass man demnächst mit Elendstrecks hungernder deutscher Verleger rechnen müsse.

Für die Verlage, das ist das Dumme, ist die Sache ebenfalls relativ klar. Erlöse sinken stetig, Auflagen auch, etliches Potential an Anzeigen ist für immer und ewig weggebrochen. Man muss also auf der Kostenseite sparen, wenn man die Einnahmen nicht steigern kann. BWL, erstes Semester. Deshalb: weniger Geld für Journalisten, die tendenziell eh überschätzt und somit auch überbezahlt sind.

Und wer hat nun recht?

Das Dumme ist: Für beide Seiten lassen sich gute Argumente finden, das macht das Ganze so schwierig. Und so bezeichnend dafür, dass die gute alte Tarifverhandlung ein hübsches Ritual von gestern ist, die tatsächliche Problematik speziell bei den Tageszeitungen aber nicht im Ansatz lösen wird. Weil die Sichtweisen, die dahinterstecken, die Sichtweisen längst vergangener ziemlich gut Zeiten sind. Und weil beide Sichtweisen die Blätter noch weiter in die Sackgasse führen werden, egal, wer sich am Ende beim naturgemäß zu erwartenden Kompromiss etwas mehr durchsetzen und das gegenüber seinen Mitgliedern feiern wird.

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Erfahrungen und Eindrücke nach einer einwöchigen Redaktions- und Seminarrundreise, Impressionen aus dem tageszeitungsrealistischen Alltag 2011 (natürlich streng subjektiv, aber es hilft enorm, wenn man einschätzen will, wie die Lage abseits des Kampfgeschreis wirklich ist).

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Die ersten Eindrücke, bei denen man geneigt ist, dem DJV sofort volle Handlungsfreiheit zuzusichern: Erzählungen einer ziemlich hoch qualifizierten jungen Journalistin. Tagessatz bei einer nicht ganz kleinen Tageszeitung von 75 Euro. Arbeit de facto wie eine vollwertige Redakteurin. Eine Begründung für diesen Tagessatz gibt es nicht, außer vielleicht, dass man sparen will und vielleicht sogar muss. Die Kollegin hat studiert und nebenbei noch eine ganze Menge andere Qualifikationen erworben, Qualifikationen, von denen ich behaupten würde, dass sie die allermeisten ihrer festangestellten Kollegen nicht haben. Acht Stunden sind die Regel, manchmal sind es auch zehn. Macht für eine Journalistin mit Studium und Volontariat und anderen Sachen einen Stundenlohn von 7,50 Euro. Man muss dann unwillkürlich lachen, wenn es auf irgendwelchen Kongressen wieder um mehr Qualität im Journalismus geht.
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Nächster Eindruck dieser Woche: Eine ganze Reihe von Volontären aus den unterschiedlichsten Blättern. Große, mittelgroße, kleine. Ich kann mich an keine Volo-Generation erinnern, deren Lebensgefühl von so viel Unsicherheit und Zweifeln geprägt war. Von Zweifeln sehr grundsätzlicher Natur, beispielsweise ob man überhaupt den richtigen Beruf gewählt hat. Ob man aus ökonomischer Sicht überhaupt eine Chance hat und ob es auch aus inhaltlicher Sicht wirklich noch ein Traumjob ist, Journalist bei einer Tageszeitung zu sein. Man kommt sich übrigens stellenweise leicht bescheuert vor, wenn man von den Segnungen der Digitalisierung redet, wenn man merkt, dass man stattdessen eher Berufsberater und Seelentröster spielen müsste. Und was für ein unglaublicher Unterschied zu meinen eigenen Volontärszeiten: Damals wurden all diejenigen, die keinen festen Redakteursvertrag nach dem Volontariat bekamen, eher erstaunt angeschaut und man fragte sich, was der arme Mensch wohl angestellt haben müsste. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden aus meinem Volojahrgang 1987 bei der PNP alle anstandslos übernommen. Nicht mit Zeitverträgen, sondern mit unbefristeten. Journalist bei einer Tageszeitung zu sein, das war damals nicht weit weg vom Beamtentum.

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Aber vielleicht ist auch genau das der Grund, warum man heute feststellen muss: Es ist ein bisschen zu einfach, nur über die bösen Verlage zu maulen, die wie Manchester-Kapitalisten auch noch den letzten Cent aus ihren Belegschaften pressen wollen. Dass die Rahmenbedingungen und die ökonomischen Kennzahlen für Zeitungen wesentlich schlechter sind als noch vor zehn Jahren, würde vermutlich nicht mal der eingefleischteste Gewerkschafter bestreiten wollen. Und wenn mal versucht, abseits des jeweiligen lagerüblichen Getrommels ehrlich zu sein, dann muss man ja auch feststellen, dass nicht wenige der Redaktionen in Regionalzeitungen des Esprit einer Finanzbeamtenstube mitbringen. Das liegt – vielleicht – auch an dem, was eben vor 25 Jahren noch anders war als heute. Nämlich daran, dass man Journalisten nach einem Volontariat mit Vollkaskoverträgen ausgestattet hat. In den Redaktionen, in der ich in den ersten zehn Jahren meines Berufslebens gearbeitet habe, sitzen heute noch viele von denen, denen man damals einen Sorglos-Vertrag mitgegeben hat. Es ist kein ausschließliches Journalisten-Phänomen, sondern vermutlich zutiefst menschlich: Nach 15, 20 oder 25 Jahren im gleichen (oder ähnlichen) Job ist niemand mehr mit dem Engagement dabei, das er vielleicht als Jungredakteur noch mitgebracht hat. Niemand steht mehr morgens beflügelt auf, wenn er weiß, dass er heute die 237. Stadtratssitzung seines Lebens absolvieren darf. Und eine Ehrung für 25jährige Betriebszugehörigkeit ist ja auch ein eher zweischneidiges Schwert. Kurz gesagt, viele Redaktionen sind heute erstarrte Gebilde, bei denen die Tarifdebatte zwar irgendwie sein muss, das eigentliche Problem nicht lösen wird. Ob jetzt 1,5 Prozent mehr Gehalt oder nicht, einen strukturellen Schub wird das nicht auslösen.

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Und dann war da noch die Redaktion, die sich auf einem meiner Seminare mal umhören sollte, was es denn an Neuigkeiten und Entwicklungen auf diesem digitalen Markt so alles gebe und was man insbesondere im Bereich Video machen könne. Ehrlicherweise hätte ich antworten müssen: In eurem Fall nichts, so lange ihr noch auf knapp zehn Jahre alten XP-Rechnern arbeitet. Die Schere zwischen dem, was heute eigentlich technischer und journalistischer Standard sein müsste und dem, was im Redaktionsalltag gemacht wird, geht nach meiner Beobachtung immer weiter auf. Und auch in einem solchen Fall fragt man sich als ein vom Tarifwerk nicht Betroffener, ob die eigentlich nicht alle was wichtigeres zu tun hätten als um Prozentpunkte zu feilschen.

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Nein, halt: Es geht natürlich nicht um Prozentpunkte, weil zumindest das, was die Verlage momentan fordern, über das, was in solchen Gehaltspokern üblich ist, weit hinaus geht. Es dreht sich ja diesmal nicht einfach darum, dass Verlage gerne etwas weniger bezahlen würden als die Gewerkschaften fordern (und man ohnedies weiß, dass man sich dann irgendwann ziemlich genau in der Mitte treffen wird). Es geht also nicht einfach um die Frage, wie hoch genau die anstehende Gehaltserhöhung ausfallen wird. Die Verlage wollen das Einkommensniveau der Journalisten tatsächlich massiv runterschrauben und das ist diesmal wirklich nicht einfach nur gewerkschaftliche Kampfrhetorik. Zur Debatte steht nicht weniger als die Frage, ob es in Zukunft überhaupt noch halbwegs lukrativ sein wird, Journalist zu werden. Wie alles im Leben sind natürlich auch Gehälter relativ, aber zumindest so viel ist sicher: Würde sich die Idee der Verlage durchsetzen, könnte man wirklich nicht mehr davon reden, dass Journalismus bei Tageszeitungen ein gut dotierter Beruf ist. Zumindest dann nicht, wenn man als ganz normaler Redakteur einen Tarifvertrag hat. Man kann sich also leicht ausrechnen, dass ein begabter junger Mensch möglicherweise sich künftig für einen anderen Beruf als den des Journalisten entscheidet, wenn er vor der Wahl steht. Im Vergleich zur PR sind Redakteure jedenfalls inzwischen bescheiden bezahlt und es ja auch auch nicht ganz umsonst so, dass es in Deutschland inzwischen mehr PR-Leute als Journalisten gibt. Davon abgesehen ist das ja auch nicht nur eine Frage der Masse, sondern auch der Qualität. Dass man, um gute Köpfe zu bekommen, auch entsprechend Geld ausgeben muss, steht ja außer Frage. In keiner Branche würde man das bestreiten. Nur ausgerechnet im Journalismus darf´s dann auch gerne etwas weniger sein.

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Das eigentlich Schlimme ist ja: Immer, wenn ich dann auf Seminaren et al gefragt werde, wie eigentlich eine Lösung für die ganzen immensen Probleme aussehen könnte, vor denen speziell Regionalzeitungen stehen, fallen mir erst einmal viele sehr schöne theoretische Konstrukte ein. Immer, wenn ich sie dann einem Praxistest unterziehe und abgleiche, wie das in den jetzigen Konstellationen funktionieren soll, stelle ich dann fest, dass das nicht geht. Weil sie immer noch über Dinge reden, die zeigen, dass sie alle zusammen die wirkliche Problematik noch nicht verstanden haben und sich stattdessen in lustigen 80er-Ritualen verheddern. Der Patient auf der Intensivstation überlegt, ob er sich zum Mittagessen eher Sekt oder Champagner bestellen soll.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Heinz Müller

    Es ist schon atemberaubend zu lesen, wie man als selbst ernannter Szene-Kenner Journalisten als „tendenziell überschätzt und somit auch überbezahlt“ einstufen kann. Einmal abgesehen davon, dass die Presse in unserem Land bekantlich Verfassungsrang genießt und einen funktionalen und elementaren Beitrag zu unserem Staatssystem leistet, sind dreizehn Jahre Schule, fünf Jahre Uni, ein Jahr Volontariat, unzählige um die Ohren geschlagene Wochenenden in der Redaktion, Nachtarbeit auf Abendterminen bis nach 23 Uhr, Weiterbildung in digitaler Bildbearbeitung, elektronischem Layout etc. kein Grund, eine angemessene Bezahlung zu fordern ? Solange Verleger in 100 000-Euro Karossen vorgefahren kommen und Wasser predigen, selbst aber vom feinsten Tröpfchen reichlich trinken, wollen wir unseren Anteil – und zwar in Form von Sekt – ob auf der Intensivstation oder nicht ist dabei völlig unerheblich.

  2. cjakubetz

    Dass Journalisten überschätzt und überbezahlt seien, war Ironie, lieber Kollege Müller. Ansonsten – um ehrlich zu sein – spiegelt mir Ihr Kommentar das Problem präzise wieder: das ist mir eine Nummer zu standesbeseelt und an der Wirklichkeit vorbeigedacht.

  3. Tom

    Immer wieder die schöne alte Frage: Was ist Arbeit eigentlich wert? Wenn man seine Arbeit viele Jahre erlernt hat und sich dann auch noch richtig reingehängt hat, möchte man verständlicherweise eine entsprechende Entlohnung. Aber der Wert bemisst sich eben immer daran, was der Markt bereit ist, dafür zu zahlen und eben *nicht* daran, wieviel Aufwand man hatte. Überspitztes Beispiel: Eine handgeschriebene Zeitung ist enorm aufwändig in Stückzahlen zu produzieren, aber deswegen wird der Preis, den ein Leser bereit ist dafür zu zahlen, nicht unbedingt extrem hoch sein.
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    Angebot und Nachfrage bestimmen letztlich den Preis. Hört sich hart an, ist aber so. Und wenn die Nachfrage zu Wünschen übrig lässt, hat man vielleicht das falsche Angebot…

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