Ein Buch-das Update (44): Frau Langer spricht, Gutjahr bilanziert

Gerade gemerkt beim betrachten der bisherigen Videos: eine etwas arg männerlastige Runde. Deswegen heute mal eine Frau — Ulrike Langer erzählt im Video, was sie zum „Universalcode“ beigetragen hat. Und für die Surffreunde unter Ihnen (also: echtes Surfen, nicht im Netz) gibt es auch noch etwas Anschauungsmaterial.

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Richard Gutjahr war in den letztenMonaten u.a. folgendes: viel beschäftigt, viel unterwegs, viel gefragt. Dass er sein Schlusswort zum „Universalcode“ jetzt erst abgeliefert hat, hatte allerdings nichts oder nur sehr wenig damit zu tun. Das war vielmehr der Plan. Es macht ja nur eingeschränkt Sinn, wenn man ein Schlusswort schreibt, ohne die Texte der anderen Autoren zu kennen. Ich erzähle Ihnen das deshalb, weil es auch noch etwas anderes aussagt: Wenn also Richard jetzt alle Texte gelesen und sein Schlusswort geschrieben hat, dann bedeutet das auch, dass wir uns stark dem Finale nähern. Und weil Richards Schlusswort gewohnt gut geworden ist und weil seine unfassbar vielen Fans ja auch gerne was Neues von ihm lesen — hier also schon mal der Anfang vom Ende, die ersten Passagen des Schlussworts, das Finale des „Universalcodes“. Den vollen Text gibt´s dann im Buch.  (ich kann´s selbst noch kaum glauben, dass ich das gerade hingeschrieben habe)…

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„Grab onto my arm now. Hold tight. We are going into a number of dark places, but I think I know the way.“

Stephen King

Sie haben dieses Buch bis hierher gelesen, oder zumindest quergelesen? Sie haben gelernt, wie man mit einem Smartphone Videos macht, wie man mit Daten Geschichten erzählt und wie man sich in den Sozialen Netzwerken bewegt? Herzlichen Glückwunsch. Und jetzt tun Sie mir einen Gefallen: Vergessen Sie das alles wieder! Community-Management, Crowdsourcing, Data-Mining, wer will sich denn das bitte alles merken? Kein Mensch kann parallel bloggen, twittern, filmen und ganz nebenbei auch noch einen geschliffenen Aufmacher für die Zeitung schreiben. Glauben Sie mir, ich hab’s versucht.

Wie Christian Jakubetz eingangs im Kapitel Crossmedia erwähnt hat, es geht nicht darum, dass Sie alles machen oder können müssen. So wichtig es ist, über Blogs, Soziale Netzwerke und technische Hilfsmittel Bescheid zu wissen; am Ende geht es nicht um Twitter oder Facebook, um iPhone oder iPad. Wer glaubt, dass ein Tablet-Computer die Verlagswelt retten wird, der tut mir leid.

Was wir mit dem Universal Code vermitteln wollen, ist nicht die Liebe zur Technik um ihrer selbst willen. Es geht auch nicht um den in der Web-Szene so beliebten Wettlauf um die trendigste, neueste Anwendung, das „next big thing“, das hinter jeder Ecke lauert. Es geht um die Bereitschaft, immer wieder neue Recherchemöglichkeiten und Erzählformen auszuprobieren und in seinen Workflow zu integrieren. Wer diesen Weg für sich wählt, wird schnell feststellen, dass der neu gewonnene Spaß an der Arbeit die zusätzliche Belastung, die hier auch gar nicht verschwiegen werden soll, nicht nur aufwiegt, sondern in den meisten Fällen sogar übertrifft.

Seit über zehn Jahren arbeite ich hauptberuflich als Journalist. Ich habe die Bergungsarbeiten am Ground Zero in New York mit einem Kamerateam begleitet. Ich habe eine Papstwahl, einen Gazakrieg, diverse Bundestagswahlen live gecovert. Aber noch nie zuvor habe ich mich mehr als Journalist gefühlt, als seit dem Zeitpunkt, als ich damit begonnen habe, zu bloggen und zu twittern. Wenn man wie ich jüngst beim Ausbruch einer Revolution in Kairo gewesen ist und feststellt, dass ein Smartphone genügt, um nahezu in Echtzeit, berichten und auf die Fragen seiner Leser reagieren zu können, dann möchte man nie wieder zurück ins analoge Zeitalter.

Als ich auf dem Tahrir-Platz stand und die Menschenmassen um mich herum beobachtete, fühlte ich mich unweigerlich zurück erinnert an den November 1989. Ich war damals Austauschschüler, saß in der Einöde von Wyoming und verfolgte von dort aus den Fall der Mauer live im Fernsehen. Peter Jennings und Tom Brokaw wurden rund um die Uhr aus Berlin geschaltet. Das war der Moment, als der Entschluss in mir reifte, Journalist werden zu wollen. Eines Tages mal für andere Menschen dort zu sein, wo etwas passiert, ihnen sprichwörtlich meine Augen und Ohren zu leihen, Eindrücke zu teilen. Konnte es eine größere Profession geben, eine größere Bestimmung?

Journalisten, das waren für mich Helden; Kontrolleure der Macht, Verteidiger der Wahrheit, Kämpfer für das Gute. Heute sehe ich das nüchterner. Nicht zuletzt im Umgang mit der digitalen Technik habe ich viele Journalistenkollegen von einer äußerst fragwürdigen Seite kennengelernt: unbeweglich, träge, saturiert. Stell Dir vor es ist Medienrevolution und keiner geht hin. Endlich gibt es ihn, den so oft herbeigeredeten Rückkanal, eine Möglichkeit, auf das Publikum zuzugehen, mit unserem Publikum ins Gespräch zu kommen – und wir schauen weg! Woher rührt diese Abwehrreaktion, die ich in vielen Medienhäusern beobachtet habe, im besten Falle Ignoranz?

Wir Journalisten genießen allerhand Privilegien. Oft werden wir hofiert, zu Pressekonferenzen und Empfängen eingeladen, kassieren, wenn wir es geschickt anstellen, auch gerne mal üppige Gagen für allmögliche Nebentätigkeiten. Warum daran etwas ändern? „Verglichen mit anderen Berufsgruppen ging es Journalisten über Jahrzehnte hinweg verhältnismäßig gut“, so Sree Sreenivasan, Dozent für Digitalen Journalismus an der Columbia Journalism School in New York. „Der Druck in der Medienbranche, neue Dinge auszuprobieren, war daher nie besonders groß.“

Noch deutlicher wird diese Grundhaltung, wenn wir in die Führungsetagen schauen. „Dort haben wir es heute überwiegend mit Managern zu tun, nicht mit Unternehmern“, so der internationale Medienberater Jeff Mignon. „Sie verlangen von diesen Managern, ein Risiko einzugehen, weniger Gewinn zu machen, sich in eine Welt hinab zu begeben, die ihnen fremd ist und die, nach ihrem Empfinden, nicht so hochwertig ist, wie bedrucktes Papier? Warum sollten sie das tun?“

Neben den ökonomischen Aspekten, spielt mit Sicherheit auch noch ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor eine Rolle für die ablehnende Haltung in den Redaktionsstuben: die Eitelkeit. Leser-Kommentare unter unserem zur Perfektion geschliffenen Leitartikel? Jetzt geht’s aber los! Zuschauer, die sich offen darüber beklagen, wenn wir schlampig recherchiert haben? Da könnte ja jeder kommen! Mal Hand aufs Herz, werte Kollegen, wir lieben es zu kritisieren, können es aber gar nicht abhaben, selbst kritisiert zu werden.

Bei der New York Times ist man da schon weiter: „Unsere Leser geben uns unmittelbares Feedback, sie haben tolle Ideen, stellen großartige Fragen und lotsen uns in Richtungen, auf die wir hier in der Redaktion so nicht gekommen wären“, so Patrick LaForge, der für den City Room bloggt. „Das macht den Journalismus am Ende wirklich besser.“ Diese Einschätzung teilt man auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in London: „Dieser neue Input von den Zuschauern reißt uns konsequent aus unserem Elfenbeinturm raus“ so Tim Weber von der BBC, „das ist sehr wichtig“.

Die Sozialen Netzwerke ändern die Spielregeln. Kein Wunder, dass sich gerade alt gediente Journalisten mit den Neuen Medien so schwer tun. Marius Arnesen vom Norwegischen Rundfunk bezeichnet die Verweigerer gerne als „Alte Männer in grauen Anzügen mit neuen Autos“. Der Fernsehjournalist arbeitet bei NRK beta, einem Medienlabor für neue Programmformate. „Woher wollen Redakteure wissen, was Twitter ist, wenn Sie selbst noch nie in ihrem Leben einen Tweet geschrieben haben?“ sagt er. Menschen tauschen sich untereinander aus, ohne länger zwingend den Umweg über die Massenmedien zu gehen. „Viele Medienmacher empfinden das als Bedrohung.“

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