Wenn man in München als Journalist arbeitet, noch dazu im Ressort Sport und noch dazu im Ressort Boulevard, dann ist das Leben nicht immer einfach. In München gibt es fünf Tageszeitungen und einen FC Bayern, der aufgrund dessen, dass er der FC Bayern ist, ein eher eigenes Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit hat. Das führt zu der paradoxen Situation, dass sehr viele sehr vieles über einen Verein wissen wollen, der eher zurückhaltend-kontrolierend ist. Und man muss ja auch einräumen, dass es so wahnsinnig viel nicht immer zu erzählen gibt. Selbst beim FC Bayern gibt es Tage, wo kein Trainer gefeuert oder ein Präsident bepöbelt wird.
Deswegen muss man als Reporter auf dem Münchner Sport-Boulevard schon mal sehr eigene Methoden entwickeln, wenn man es zu etwas bringen will. Jan Janssen, Redakteur bei der „tz“ gibt einen ungewollten Einblick, was Journalisten so alles tun, um am Ende an eine Nicht-Meldung zu kommen. Das besteht im Wesentlichen aus einer interessanten Mischung aus Wegelagerei und Penetranz, gepaart mit der Fähigkeit, aus ungefähr Nichts eine Schlagzeile zu machen und dafür auch verbale Ohrfeigen und ein paar Demütigungen lächelnd wegzustecken.
Die vergangene Woche begann für unseren wackeren Sportreporter damit, dass er sich dachte: Wäre schön, wenn man vom frisch gefeuerten Louis van Gaal noch ein Interview bekäme. Dumm nur, dass dem zwei Dinge entgegenstehen. Erstens ist van Gaal nicht gerade jemand, dem man übertriebene Journalistenfreundlichkeit nachsagt. Und zweitens ist es irgendwie verständlich, dass es nicht das höchste Ansinnen eines frisch Gefeuerten sein dürfte, nette Interviews zu geben.
Das ahnt irgendwie auch unser Reporter. Er weiß: Hier ist tapferes Warten angesagt. Weil freiwillig wird er sich nicht stellen, der Herr van Gaal. Der vergangene Sonntag beginnt also so:
Schon am Vorabend hatten wir von seinem Rauswurf erfahren. Also fahre ich zu seinem Wohnhaus am Herzogpark, will ihn ansprechen, wenn er aus der Garage fährt. Gemeinsam mit einigen Kamerateams und Fotografen warte ich vor seinem Appartement. Nichts passiert. Die Stunden vergehen, irgendwann klingeln wir. Truus meldet sich an der Gegensprechanlage. „Mein Mann ist nicht da. Er ist heute Morgen ganz früh zum Klub gefahren.“ Ob’s stimmt? Wir warten weiter, wenigstens scheint die Sonne.
Als van Gaal dann tatsächlich nach Stunden nicht erscheint, beschließt Janssen ihn zu suchen. Dort, wo er sich gewöhnlich aufhalten könne: Säbener Straße, Flughafen, seine bevorzugten Restaurants. Nichts. Van Gaal, so scheint es, wartet nicht auf die „tz“. Seine Rechnung hat er ohne den Reporter gemacht, der am nächsten Tag beschließt: Wir machen weiter! Und wie: Er erfährt von einem Kollegen, dass van Gaal gerade eben vom Trainingsgelände losgefahren ist, weswegen der Reporter wieder zu van Gaals Wohnhaus „rast“, dort aber, was für ein Pech, zwar van Gaal noch sieht, der aber nur kopfschüttelnd sagt, nichts sagen zu wollen. Stunden später im nervenzerfetzenden Drama: Truus betrifft den Balkon! Die Frage, wie es ihr gehe, will sie aber nicht beantworten. Kann man irgendwie verstehen, wer schreit schon gerne seine Befindlichkeiten von einem Balkon auf die Straße? Unser Reporter hat dafür ein gewisses Verständnis und versucht es deswegen an der diskreteren Gegensprechanlage bei van Gaals. Van Gaal sagt auch was. Nämlich: dass er nix sagen wird.
Tag 3 der Jagd auf den mysteriösen Louis van Gaal: Der Reporter versucht es bei holländischen Kollegen, die die Einschätzung abgeben, van Gaal sei verletzt und sauer. Wäre man alleine gar nicht drauf gekommen.
An Tag 4 erhält der Reporter über dunkle Kanäle einen brandheißen Tipp. Van Gaal soll auf dem Weg in die Stadt sein, um bei einem Delikatessenhändler einzukaufen. Der Reporter, Sie ahnen es, stürzt sofort aus der Redaktion und stellt sich beim Delikattessenhändler in dessen Verkaufsraum. Nach drei Stunden fliegt er raus, wartet aber unverdrossen weiter vor der Tür. Und tatsächlich van Gaal kommt, sieht den Reporter — und lässt sich durch einen Hintereingang reinbringen. Der Reporter erfährt, dass van Gaal für seine Abschiedsparty einkaufen will. Trotzdem gibt er der „tz“ kein Interview. Unverschämtheit!
Tag 5, neuer Tag, neues Glück. Wieder bekommt Investigativ-Mann Janssen einen brandheißen Tipp. Heute: Van Gaal will Golf spielen. Der Reporter, welch Überraschung, bricht sofort auf — und hat endlich das verdiente Journalistenglück. Er begegnet van Gaal und der, nun ja, spricht mit ihm. Wenn man diesen Dialog denn Gespräch nennen darf:
Ich spreche ihn an. Er barsch: „Gehen sie weg! Sie verfolgen mich! Das ist unglaublich! Ich werde keinen Kommentar geben.“ Als er nach drei Stunden Golf mit seinem Lehrer zurückkommt, stehe ich an seinem Auto. „Sie sind ja immer noch da!“ Ich sage: „Wir bei der tz haben Sie doch immer fair behandelt, würden sie mir nur drei Fragen beantworten?“ – „Fair behandelt? Das denke ich nicht! Die ganze Presse hat mich nicht gut behandelt. (…)„Sie waren nicht Van-Gaal-freundlich, sie waren Hoeneß-freundlich! Und Rummenigge-freundlich! Das ist ein Unterschied.“ „Aber…“ – „Kein Aber. Sie wissen genau, warum das alles passiert ist! Sie wissen es genau. Aber sie trauen sich nicht, es zu schreiben. (…)Es tut mir leid für sie. Sie stehen hier den ganzen Tag, aber ich werde nichts sagen.“
Spätestens jetzt ahnen wir: Unser Reporter ist wirklich schmerzbefreit. Weswegen es dann auch nicht weiter Wunder nimmt, dass er nochmals ausholt, allerdings zu einem, wie er selbst einräumt, „letzten Versuch“:
„Der Vorstand hat ja auch schon über Sie gesprochen. Und nicht gerade nett.“ – „Das hat er ja mehrere Male gemacht. Und das sagt viel über diese Leute aus. Finden sie nicht?“ Van Gaal ist von Hoeneß’ Kritik tief getroffen. Er lädt die Golftasche ins Auto. „Immerhin habe ich jetzt mehr Zeit zum Golfspielen“, scherzt er. Und weiter: „Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Er steigt in den Caddy und braust davon.
Das sei, vermutet Jan Janssen, vermutlich das letzte Gespräch zwischen ihm und van Gaal gewesen (und es gab in der ganzen Geschichte nicht einen Satz, bei dem ich heftiger mit dem Kopf genickt habe). Tapfer war er, der Jan Janssen — und irgendwie auch informativ: Man weiß jetzt, wie Journalisten arbeiten, wenn sie aus jemandem irgendwie einen Satz rausbringen wollen. Und man weiß, wie man eine einwöchige Dauerabfuhr bei der „tz“ auch nennt — nämlich „kleines Abschiedsinterview“:
Nachtrag: Zwei Dinge, ich vergessen habe, obwohl ich sie nicht vergessen hätte sollen. Zum einen der Offenheit halber der Hinweis: Ich schreibe für die „Abendzeitung“ das „Tribünenblog“. Die AZ befindet sich in unmittelbarer Konkurrenz zur tz (via Kommentare). Und: die ganze Geschichte aus der tz findet sich hier.
Interessant.
Aber wenn Christian Jakubetz fair gewesen wäre, hätte er seinen zufällig hier ankommenden Lesern freiwillig verraten, dass er einen „Tribünenblog“ für die Konkurrenz der TZ, für die Abendzeitung, schreibt. So etwas sollte man doch von einem ehrenwerten Journalisten, der sich so wundervoll aufregen kann, erwarten? Oder gehört das nicht in das ehrenwerte neue Journalistenbuch??
Korrekt, das hätte ich tun müssen. Mea culpa. Hab´s korrigiert, danke für den Hinweis.
Was sich heute alles Journalismus schimpfen darf. So was als „Job“ zu bezeichnen muss einem doch peinlich sein.
Wie doof und selbstentlarvend kann man denn sein? Glaubt der Herr Janssen wirklich, DAS wollen seine Leser so? Die Monstranz der eigenen Wichtigkeit vor sich hertragend ein großes Nichts produzieren.
Wohlweißlich findet sich unter dem Artikel keine Kommentarfunktion.
@Linus
Die Kommentarfunktion war anfänglich eingeschaltet, allerdings waren die Kommentare durchweg alle dermassen negativ und vernichtend, dass diese kurz drauf deaktiviert wurde. 🙂
R (Kommentar kann weg.)
Herzlichen Glückwunsch, Sie sind nun offiziell ein Paparazzo!
Ihre nächste Aufgabe: Verfolgen Sie einen Star mit dem Auto in einen Tunnel
Ich wage es tatsächlich, leise Kritik anzubringen.
Der Artikel von Herrn Janssen ist zum großen Teil unberechtigt und in der Tat viel zu lang. Letzteres ist allerdings auch dieser Blogeintrag, der zu einem nicht unerheblichen Teil aus Zitaten besteht, die aus dem Artikel stammen. Den Vorwurf, die Geschichte aufgebläht zu haben, muss sich auch der Autor des Blogeintrags gefallen lassen.
Die beiden Einwände, dass es ohnehin keine gute Idee gewesen sei, ein Interviewversuch zu starten, sind zumindest doof. Seit wann dürfen Journalisten nur versuchen Interviews zu führen, wenn der Gegenüber gerade in der richtigen Stimmung dafür ist. Mal ganz abgesehen, dass von einem „netten“ Interview nirgendwo die Rede ist.
Geschichten nur vom Schreibtisch aus machen zu wollen (Ich ruf dann mal den van Gaal an…) funktionieren beim Boulevard nun mal nicht.
Ganz klar, Janssen war auf das große Ding aus, hatte gehofft, dass er van Gaal doch dazu bringt zu reden. So ausgeschlossen finde ich das übrigens gar nicht, nach der Vorlage von Uli Hoeneß – allerdings fehlt mir hier die Kenntnis des Münchner Betriebs.
Zum Schluss: Google-Recherche nicht nötig. Ich habe selbst mehrere Jahre bei der Mutter aller Boulevard-Zeitungen gearbeitet – und arbeite jetzt bei deren Tochter im IT-Bereich.
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