Der verbindlich lustigste Satz dieser Woche kam von Dieter Gorny. Oder von jemandem, der ihn sehr gut parodiert (der Einfachheit halber gehen wir in diesem Text aber einfach davon aus, dass es sich tatsächlich um Gorny handelt). Gorny jedenfalls hegt die Befürchtung, er und seinesgleichen würden auf dem „Altar der digitalen Coolness“geopfert, von wem und für was auch immer. Gesagt hat Gorny das bei der Vorstellung der „Deutschen Content Allianz“, die irgendwie wie eine Versicherung klingt, den Habitus einer solchen hat und vermutlich auch eine sein soll. Versichern will man sich gegen das Böse das Digitale im weitesten Sinn. Sehr viel mehr Programm gibt´s noch nicht. Wozu auch: Das Böse als solches ist ein derart schöner Feind, dass man dafür ganz erstaunliche Allianzen schließt. Der VPRT-Doetz beispielsweise mit der ARD-Piel, das ist ein Duo, das normalerweise für ritualisiertes Kabbeln steht. Gemeinsam will man jetzt jedenfalls dafür sorgen, dass die guten alten Analogen im digitalen Chaos nicht zu kurz kommen, ganz so, als wenn sie auf diese Idee noch nie gekommen wären.
Speziell bei Gorny, der bei der Vorstellung der Allianz gerne auch mal auf iTunes zu sprechen kam, wird man das Gefühl nicht los, dass er immer noch glaubt, VIVA sei cool und innovativ. Während also die Allianzler vermutlich noch glauben, dieses iTunes, von dem man neuerdings so hört, sei das Synonym für den beginnenden Untergang des analogen Abendlandes, läuft auf meinem Rechner de facto fast kein iTunes mehr. Ein ausgesprochen schöner Streaming-Dienst sorgt inzwischen dafür, dass ich so viel Musik wie noch nie hören kann, mobil und stationär, als App auf dem Handy der dem iPad. Und das zu einem Preis, für den ich bei iTunes genau ein Album bekomme.
Speziell die Musikindustrie ist ein wunderbares Beispiel dafür, was Digitalisierung letztendlich auch für Medien und Journalismus bedeutet. Es geht ja nicht darum, dass weniger Musik gehört würde oder das Interesse an ihr versiegen würde. Und man macht es sich ein bisschen einfach wenn man glaubt, den Musikhörenden im Netz ginge es ausschließlich darum, die Dinge kostenlos zu bekommen (unbestritten ist natürlich, dass es das gibt). Nur hat sich zweierlei verändert: die Art der Rezeption und die Verfügbarkeit bzw. das Angebot. Der Streamingdienst meines Vertrauens stellt mir einige Millionen Tracks zur Verfügung, es gibt dort kaum ein Album, dass ich gerne hätte und nicht finden würde. Dadurch passiert zweierlei. Zum einen: Musik verliert ökonomisch gesehen im bisherigen Geschäftsmodell drastisch an Wert. Eine CD für 15 oder 20 Euro zu verkaufen ist ohnehin schon ein bizarr anmutende Vorstellung. Wenn man den Zugriff auf Hunderttausende Alben künftig für 10 oder 15 Euro im Monat bekommt, wird selbst der Preis, der bei iTunes fällig ist, irgendwann nicht mehr zu erzielen sein. Das Zweite, was sich ändert: So widersprüchlich das auf den ersten Blick klingt, es wird immer schwieriger werden, den unmittelbaren Zugang zum Nutzer zu finden. Ich höre bestimmt viel, exzessiv viel Musik. Aber der Streamingdienst bringt mich zum ersten Mal an meine Grenzen. Ich kann das alles nicht mehr hören, was da jeden Tag angeboten wird. Früher hätte ich gesagt: ein Paradies! Heute muss ich selektieren und mich dabei (Sie hören die Nachtigall wahrscheinlich schon) auch und vor allem auf Empfehlungen verlassen. Von Menschen, bei denen ich glaube, dass ich ihrer Empfehlung vertrauen kann.
Schwenk zu Medien und Journalismus: Natürlich lese ich zum Frühstück immer noch gerne meine SZ. Meine wichtigste „Zeitung“ ist sie trotzdem nicht mehr. Das ist inzwischen Flipboard geworden. Flipboard ist letztendlich nichts anderes als die Empfehlungen meiner Freunde, welche Musik es sich lohnt zu hören. Ich kann nicht den ganzen Tag vor Twitter und Facebook sitzen und ich kann auch nicht den ganzen Tag mich auf Nachrichtenseiten oder sonstwo im Netz rumtreiben. Flipboard ist quasi meine personalisierte Nutzung, es ist RSS-Feed, Zeitung und Netzwerk in einem. Flipboard ersetzt mir bis zu einem gewissen Grad das, was Journalisten vorher für mich getan haben. Es selektiert und bereitet auf, meine Freunde sind meine Redakteure. Man kann jetzt einwenden: Aber wählen die nicht manchmal auch Schwachsinn aus? Tun sie. Aber machen Journalisten das nicht auch, Tag für Tag?
Und natürlich kann man sich mit dem zu erwartenden Argumenten der Contentallianzler auseinandersetzen. Sie werden vermutlich sagen: Aber das sind doch alles unsere Inhalte. Die wir für teures Geld erstellen. Und die deswegen auch etwas wert sein müssen, im Sinne von: bezahl mich direkt und unmittelbar dafür. Aber so läuft das nicht mehr. Man kann das fordern, aber es geht an den Realitäten genauso vorbei, wie es die Versuche der Musikindustrie gingen, irgendwie die CD am Leben zu erhalten. Ja, die Nachricht, der journalistische und mediale Inhalt haben an messbarem ökonomischen Wert verloren. Nachrichten und Journalismus gibt es inzwischen so viel wie es Musiktitel in meinem Streamingdienst gibt.
Die Notwendigkeit ist also eine andere: nicht verhindern, nicht lamentieren, nicht darauf beharren, dass früher alles irgendwie besser gewesen sei. Eine Content-Allianz hat solange keine Berechtigung und nur wenig Sinn, solange sie genau das versucht. Es wird nicht funktionieren, weil die Realität schon lange eine andere ist. Die CD kommt nicht mehr zurück, die Mediennutzung früherer Tage auch nicht mehr.
Dazu passt, was heute (mal wieder) publiziert worden ist. Ein paar Zahlen zum Thema Fernsehen, das sich ja mit Privaten und Öffentlich-Rechtlichen sehr stark in der Allianz der Vorgestrigen einbringt. Die Zuschauer der „heute“ im ZDF — sind 65 im Schnitt. „Tagesschau“-Nutzer sind 60, das Publikum der Dritten bewegt sich irgendwo zwischen 60 und 64. Überlässt man also die analogen Medien einfach den Alten und verzichtet auf das Leben in der digitalen Zukunft? Oder findet man Antworten auf die Frage, wie man den Sprung in das digitale Zeitalter endgültig bewerkstelligen will? Das hätte man gerne gehört von der Allianz. Eine Idee dafür scheint sie nicht mal ansatzweise zu haben.
Kluger Beitrag, Herr Jakubetz.
Sie beschreiben mein Medienverhalten in der nun musikalischen Post iTunes Epoche sehr präzise.
In wenigen Jahren gibt es Simfy auch für Zeitungen. Kleine Wette?