Und dann kam auch noch Knut

Und jetzt ist auch noch Knut tot. Irgendwie möchte man in diesen Tagen ja kein Nachrichtenredakteur sein: Erdbeben in Japan, Tsunami in Japan, Beinahe-Vielleicht-Dann-Doch-Nicht-GAU in Japan. Und, ach ja, was ist eigentlich gerade in Libyen los? Mubarak, war da auch nicht noch was? Bahrain, Jemen, überhaupt der ganze arabische Raum. Fast vergessen, Landtagswahl letztes Wochenende in Sachsen-Anhalt, nächstes Wochenende in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und irgendwas anderes ist sicher auch noch. Und Knut, wie gesagt. Harte Zeiten.

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Natürlich sind das auch goldene Tage für Medienjournalisten und Medienkritiker (selbst wenn ich mich da jetzt selbst ins Knie schieße). Weil Redaktionen und Journalisten angesichts des momentanen Ereignis-Overkills in einer bösen Falle stecken: Sie werden angesichts dessen, was momentan auf sie zukommt, irgendwas falsch machen. Zumindest in dem Sinne, wie man es als Außenstehender gerne betrachten kann. Was habe ich in jüngster Zeit auch von an sich geschätzten Kollegen lesen dürfen: Man sei irgendwie so unausgeruht und aufgeregt. Dauernde Live-Schalten? Bringen nichts. Lieber gesammelt zusammenfassen als alle paar Minuten nach Japan zu schalten, wo der arme ARD-Korrespondent Hetkämper seit nunmehr fast zwei Wochen jeden Morgen mit zerknirschter Miene im Morgenmagazin steht und ab und an in einer Mischung aus Verzweiflung und Genervtheit sagt, dass man es doch vor Ort auch nicht so genau wisse. Andere kritisieren die inflationäre Verwendung von Begriffen wie GAU oder Katastrophe und fürchten, dass es irgendwie zu einer Art Abgestumpftheit im Publikum kommen könne. Ja, das könnte natürlich passieren.

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Tatsächlich sind das die schwierigsten Zeiten für Journalisten, die man sich gerade vorstellen kann. Was ist eigentlich die Steigerung des GAU, die ja per se schon gar nicht mehr möglich ist? Super-GAU? Haben wir auch schon. Wie steigert man Super-GAU, wie nennt man es, wenn zum potenziellen Super-GAU und Mega-Erdbeben und ein monströser Tsunami hinzukommen? Was ist eigentlich wichtiger? Strahlenwerte in Fukushima, Todesopfer nach Erdbeben und Tsunami? Oder vielleicht doch das Elend und die Not von hunderttausenden Obdachlosen, die in einem eisigen japanischen Spätwinter ums Überleben kämpfen? Wie bedeutsam ist angesichts dessen eigentlich der Einsatz in Libyen? Ist es verantwortbar, Japan auf der Nachrichtenagenda etwas weiter unten zu platzieren, weil das Publikum angesichts von dauerhaften Live-Schalten und Omnipräsenz des Themas sich inzwischen gelangweilt abwendet? Es gehört zu den kuriosen Dingen des Lebens, dass man zu Tschernobyl-Zeiten noch nach Informationen und Journalismus gegiert hätte, nur um irgendwas zu erfahren. Heute regieren die Liveschalte und Twitter und minütliche Onlineaktualisierungen und das Publikum fühlt sich etwas bedrängt. Und Medienjournalisten schreiben, etwas ausgeruhter und weniger hektisch wäre aber schon schöner.

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Analyse, Einordnung, all die ganzen Sachen — das sind großartige Forderungen an den Journalismus als solchen. Wenn man nur wüsste, wie man einen noch nie da gewesenen Zustand einordnen soll. Kernschmelze ja oder nein oder vielleicht, in einem, zwei oder drei Reaktoren, Libyen-Kampfeinsätze, richtig oder falsch, menschliche Schutzschilder (richtige oder falsche Information)? Möglicherweise muss man ja einfach mal akzeptieren, dass Journalisten in einer solchen Ausnahmelage an ihre Grenzen stoßen, vor allem dann, wenn sie Dinge beschreiben, analysieren und einordnen sollen, mit denen sie in dieser Form noch nie konfrontiert wurden. Von dem her fand ich Hetkämpers regelmäßiges „Wir wissen es doch auch nicht so genau“ entwaffnend ehrlich und wohltuend, auch wenn man natürlich dann — theoretisch — kritisieren könnte, warum man Journalisten in eine Live-Schalte nimmt, wenn der es doch auch nicht so ganz genau weiß. Mir sind Journalisten, die einen solchen Satz live über die Lippen bringen, aus vielerlei Gründen sympathischer als die, die vermeintlich immer alles ganz genau wissen. Und einordnen können.

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Doch, ja: Ich war ziemlich froh darüber, dass man andauernd zu den Hetkämpers dieser Welt geschaltet hat. Dass es 24-Stunden-Ticker gab. Dass man versucht hat, Unfassbares zu beschreiben. Hätte vielleicht unter Umständen bei Abwägung der Dinge manches einen Tick besser sein können, mag schon sein. Alles in allem haben Journalisten aber in den letzten Wochen einen guten Job gemacht. Sogar den Knut haben sie noch ganz ordentlich abgehandelt.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. chi

    Zwei besserwisserische Anmerkungen kann ich mir nicht verkneifen, gerade, weil es derzeit auch anderswo oft falsch zu lesen ist:

    1. „Was ist eigentlich die Steigerung des GAU, die ja per se schon gar nicht mehr möglich ist?“ Der GAU ist kein „größter Unfall“ (was tatsächlich nicht steigerbar wäre), sondern ein „größter anzunehmender Unfall“. Die Konstrukteure des Kernreaktors haben sich hingesetzt und überlegt: Was könnte wohl schlimmstenfalls passieren? Dann haben sie die Sicherheitstechnik so geplant, daß auch in diesem schlimmsten angenommenen (!) Fall die Anlage beherrschbar bleibt, insbesondere keine Radioaktivität austritt. Wenn beim Entwurf des Szenarios nicht genug Fantasie im Spiel war, kann die Realität das Worst-case-Szenario (= GAU) übertreffen, und man ist „jenseits des GAUs“, beim Super-GAU. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Fukushima ein solcher Super-GAU ist, auch wenn durchaus *noch* Schlimmeres passieren könnte.

    2. „Menschliche Schutzschilder“ ist der falsche Plural. *Das* Schild, Mehrzahl Schilder: Platte, auf der etwas draufsteht (Ortsschild, Werbeschild usw.). *Der* Schild, Mehrzahl Schilde: Hilfsmittel, um Waffenhiebe u.ä. abzuwehren, in seiner ursprünglichen Form heute allenfalls noch bei der Polizei bei gewalttätigen Demonstrationen zu sehen, sonst beispielsweise bei Asterix.

  2. stk

    Danke an chi fuer die Nitpickerei in Sachen GAU ./. Super-GAU. Bin ich der einzige, den immer wieder erschreckt, wie unbekuemmert Journalisten (die Bewahrer des Abendlandes, der freien Information und kostenloser Bratwuerste) mit Fachtermini umherwerfen, ganz egal, welche Semantik eigentlich hinter ihnen steckt?

    Mich kotzt das an.

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