Nach der Veröffentlichung der Bild-App dachte ich ja nur, man habe bei Springers ein bisschen viel Rotwein bei der Weihnachtsfeier erwischt. Seit heute weiß ich: Es ist vermutlich noch viel schlimmer. Vielleicht enthält so ein iPad ja irgendwie bewusstseinsverändernde Sustanzen, was weiß man schon. In Eiern ist ja neuerdings auch Dioxin.
Jedenfalls habe ich mir heute die App des „Hamburger Abendblatts“ (sie wissen schon, die mit dem Web 3.0 und dem redseligen Chefredakteur) gezogen. Und vermutlich wird sie den Rekord aufstellen als die App, die am allerschnellsten auch wieder runterfliegt. Man wüsste ja wirklich zu gerne, wer sich dieses sensationelle Konzept erdacht hat: Man darf nach Ablauf der Testphase knapp 15 Euro im Monat bezahlen, um einmal am Tag 24 Geschichten aus dem Wühltisch des Abendblatts zu bekommen. Ressorts hat man praktischerweise mehr oder minder abgeschafft, man bekommt irgendwas, was irgendwie auch nach irgendwas aussieht, obwohl man doch eigentlich spätestens nach dem mausetoten „Zoomer“ wissen hätte können, dass die Menschen vieles gerne abschaffen, nur eine Ordnung nach Ressorts nicht.
Jedenfalls hat man jetzt 24 Geschichten auf dem iPad, von denen man nicht so genau wieß, wofür sie gut sein sollen und warum sie da jetzt stehen. Wenn das das Web 3.0 ist, das Herr Strunz so gerne für sein Abendblatt ankündigt, möchte ich, dass es ganz schnell wieder Web 1.0 wird. Gruselig.
Und ganz im Ernst hat das „Abendblatt“ zumindest ein unfreiwilliges Verdienst mit seiner App: Es entlarvt das Gerede über die bösen öffentlich-rechtlichen Apps als das was es ist: scheinheiliges Ablenken davon, dass man das mit dem Netz immer noch nicht so recht kapiert hat und das mit den Apps auch nicht. Von der Tagesschau oder auch von n-tv bekommt man einen ziemlich guten, multimedialen Überblick über den Tag — kostenlos. Für 24 hingeschluderte Geschichten des Abendblatts soll ich dagegen 15 Euro bezahlen? Über das Geschäftsmodell würde ich ja nochmal nachdenken.
Und jetzt Schluss für heute. Ich muss noch was deinstallieren am iPad.
Ich bin ausnahmsweise nicht deiner Meinung. Jetzt folgt mal jemand nicht dem Folklorepfad, wonach eine Zeitungsapp aussehen muss wie eine Papierzeitung, und dann ist das wahllos? Nö, ich bin dankbar für jedes Konzept, das seine Navigation nicht am seriellen Papierumblättern ausrichtet. Einerseits von der Macht neuer Social-Media-Welten zu reden und dann auf klassischen Ressortstrukturen zu bestehen ist m.E. auch nicht ganz konsequent. Ich bin kein Springerfan, aber ich denke, ich werde dem Abendblatt mal eine Chance geben. (Wenn ich nur herausfinden würde, wie man vom Titelblatt wieder in die Startnavigation gelangen kann …)