Gerade eben bin ich dabei, meine ganzen CD´s rauszuhauen und ein wenig Ordnung in Kram zu schaffen, der sich über die Jahre hinweg nun mal so ansammelt. Unfassbar viel Papier, das da gerade weggeschmissen wird. Unzählige Datenträger, die im wahrsten Sinne des Wortes verstaubt sind. Desweiteren gefunden: ein Discman, ein analoges Aufnahmegerät, ein altes Handy, das aussieht, als wäre es ein Museumsgegenstand. Vergilbte Zeitungsartikel und unendlich viel anderes Zeug, das ich nicht nur aus purer Sammelwut angehäuft habe, sondern Kram, den ich aus zweierlei Gründen gebraucht habe. Zum einen, um meinem Beruf nachgehen zu können. Zum anderen aber auch, um all das zu konsumieren, was man im weitesten Sinne unter „Medien“ versteht. CDs und Papier fliegen also gerade in hohem Bogen raus. Käme jemand deswegen auf die Idee, mir sinkendes Interesse an Musik, an Büchern und an meinem Beruf zu unterstellen? Deswegen – und weil das Jahr zu Ende geht und man das ja immer am Jahresende so macht – ein paar letzte Gedanken zum Medienjahr 2010.
1. Mit dem Latein am Ende
Vielleicht ist das ja ein zutiefst menschlicher Reflex: Man weiß ja irgendwie, dass Veränderung zum Leben so sehr gehört wie nichts anderes. Würden wir uns nicht dauernd verändern, würden wir immer noch VW Käfer fahren, schwarzweißes Fernsehen betrachten und uns damit abfinden, dass Rauschen zum Radiohören und nerviges Knistern zum Plattenhören gehört. Auf der anderen Seite mögen wir Veränderungen häufig ungefähr so gerne wie Zahnarztbesuche. Müsste man also nicht alles Verständnis der Welt dafür haben, wenn auch in unserer wunderbaren Medienbranche zwar viel und gerne über Veränderungen räsoniert wird, man sie aber im wirklichen Leben nicht so gerne umsetzt?
Auf der anderen Seite kann es das alleine ja nicht als Begründung gewesen sein, schaut man sich das Medienjahr 2010 so an. Die Branche – zumindest die, die ihre Heimat immer noch in der analogen Welt sieht – wirkt so, als sei sie mit ihrem Latein am Ende. Gezeigt hat sie nichts bis wenig Innovatives, nichts, was den neuen Freiräumen, die digitale Medien ermöglichen, gerecht würde. Sie zeigt sich immer noch unbeweglich und auf reine Besitzstandswahrung ausgerichtet. Sie will sich nicht die neuen Möglichkeiten zunutze machen, sondern das, was nicht passt passend machen. Zweierlei ist exemplarisch dafür. Da ist zum einen das stetige Beharren der Verlage darauf, dass es nur mit einem Leistungsschutzrecht weitergehen könne. Passend machen, was nicht passt: Eine Lösung für ein vollständig verändertes Umfeld müsste eigentlich darin bestehen, dass man sich ebenfalls ändert. Stattdessen wollen die Verlage der digitalen Welt Ketten anlegen und versuchen, sie in ihre bisherigen Strukturen zu zwängen.
Zum anderen der wunderbar untaugliche Versuch des Springer-Verlags, „Bild“ die Ketten einer App anzulegen, für die man entweder Geld bezahlt oder ausgesperrt wird. Das Problem dabei ist nicht die App und auch nicht das iPad. Das Problem ist, dass man speziell bei Verlagen immer wieder versucht, ein altes, abgenutztes Geschäftsmodell, das früher mal funktionierte und seine Berechtigung hatte, einfach in eine neue Welt zu übertragen. Mit ein paar ökonomischen Grundkenntnissen weiß man, dass das noch nie funktioniert hat. Die Freunde aus Analogien allerdings stellen sich auf den merkwürdigen Standpunkt, dass etwas Neues ja ohnehin nicht klappe und man deswegen mit dem Alten weitermachen müsse.
Man muss kein Prophet sein um zu wissen, dass das nicht funktionieren wird. Umgekehrt wollen die Analogen sich an allem vergreifen, was mit Veränderung, Aufbruch, Neuem zu tun hat. Sie schlagen Google und Apple und Facebook und meinen damit eigentlich etwas ganz anderes. Das alles steht sinnbildlich für die Ratlosigkeit und letztendlich ist dieses Verhalten ein Eingeständnis des Scheiterns. Ich hatte eigentlich vermutet, dass der Branche 2010 irgendetwas Neues einfallen wird. Doch dieses Neue besteht im Wesentlichen nur darin, jetzt wenigstens einzuräumen, dass es ohne digitale Publikationen nicht mehr gehen wird. Das Eingeständnis alleine wird nicht reichen, solange man die neue digitale Welt nicht verinnerlichen wird. Heute übrigens am Rande ein Gespräch mit einem an sich sehr geschätzten Chefredakteur einer Tageszeitung gehabt und über ein Projekt gesprochen. Meinen Vorschlag, das Thema mit einem Onlineservicepaket (Linksammlung et al, ganz simple Dinge also) zu erweitern, lehnt er ab. Mit der Begründung, dass das seine Onliner sicher nicht gerne sähen, wenn man von ihrer eigenen Seite wegverlinkt.
2. Weil wir schneller sind
Die Trägheit der Masse könnte man also gerade noch verstehen, weil Masse immer träge ist. Und weil man es sich in vielen Häusern und Redaktionen über die letzten Jahre irgendwie angenehm kuschelig eingerichtet hat. Ein Arbeitsvertrag als Redakteur, wie ihn viele der heute Vierzigjährigen besitzen, war (und ist) nichts sehr viel anderes als ein Rentenvertrag, eine Lebensversicherung, eine Garantie zum lebenslangen Mitlaufen in der Herde. Wenn ich mich umschaue bei vielen, mit denen ich die ersten Jahre meines Berufslebens verbracht habe, erschrecke ich manchmal. Darüber, wie sie zu Redaktionsbeamten geworden sind, bei denen man nur noch darauf wartet, dass sie sich frühmorgens zu Bürobeginn Ärmelschoner überziehen. Es ist ja immer so schön einfach, mit dem Finger auf die da oben im Allgemeinen zu zeigen. Tatsächlich hat der Journalismus schon auch das Problem , dass es nicht nur in abstrakten Gebilden wie „dem Verlag“ an Verständnis und Veränderungsbereitschaft fehlt, sondern auch irgendwo im Mittelbau, bei denen, die heute jeden Tag Zeitung, Radio oder Fernsehen machen.
Das ist, wie gesagt, an sich nichts Ungewöhnliches und vermutlich auch einfach nur menschlich. Gefährlich wird es immer dann, wenn Schläfrigkeit und Selbstgewissheit auf das genaue Gegenteil treffen. Der Journalismus alter Prägung wird nicht deshalb in Gefahr geraten, weil er auch die eine oder andere Schlafmütze beheimatet. Sondern weil er am anderen Ende auf Menschen und Konstrukte trifft, die das genaue Gegenteil dessen sind. Die jeden Tag schon wieder an neuen Ideen arbeiten, die sich ihre Nischen, ihre Freiräume suchen und sie zu etwas gestalten, was das Gegenteil der jeden Tag schläfrig hervorgebrachten journalistischen Standardwerke sind. Ich bin weiß Gott kein Anhänger der zurecht mausetoten New Economy, aber dass der Schnellere den Langsameren schlägt, ist eine der wenigen Lehren, die man auch heute noch anwenden darf. Schnelligkeit ist allerdings ungefähr das Letzte, was man vielen Analogen nachsagen dürfte. Dabei ist die Lehre nach dem vertanen Medienjahr 2010 eigentlich eine ganz einfache: Ändert euch, ändert euch schnell, ändert euch radikal.
3. Der Generationenbruch bricht das Genick
Das Netz und seine bösen Ureinwohner sollen ja an allem schuld sein. Das iPad und andere Geräte stellen die Analogen ebenfalls vor eine Menge neuer Probleme und neuer Herausforderungen. Wenn man also ein wenig genauer hinhört bei den zahllosen Konferenzen und Panels, dann kommt man schnell zu der Auffassung, dass es ein paar Technologien seien, die den Medien ihre bisherige komfortable Situation so erschwert. Das ist der größte Trugschluss des Medienjahres 2010. Nüchtern betrachtet haben das Web und das Pad und all der ganze andere Kram nicht sehr viel mit diesen Schwierigkeiten zu tun. Stattdessen ist es ein Journalismus, der sich immer weiter von denen entfernt hat, die ihn eigentlich nutzen sollten. Schauen wir uns mal kurz um: Die Tageszeitung wird in Deutschland am meisten von den 40 bis 70jährigen gelesen. Statistisch erreicht sie im Publikum zwischen 14 und 19 zwar regelmäßig noch Werte um die 50 Prozent, merkwürdigerweise glaubt mir die aber in der Zielgruppe nie jemand, wenn ich sie bei Vorträgen erzähle. Fernsehsender ergötzen sich immer noch gerne an ihren Markanteilen, man übersieht dabei aber gelegentlich gerne mal, dass der Anteil der fernsehenden Menschen stetig sinkt. Der Durchschnittszuschauer von Sendern wie Pro 7 oder RTL sind irgendwas um die 40, bei ARD und ZDF würden sie bei solchen Zahlen wahrscheinlich dreitägige Dauerorgien feiern. Der Bayerische Rundfunk jubelte unlängst darüber, dass seine Programmreform das Durchschnittsalter der Zuschauer um ein Jahr gesenkt habe, erwähnt dabei aber dann doch lieber nicht, dass dieser Schnitt immer noch deutlich über 60 liegt.
Man erwischt diejenigen, die die Zukunft sichern sollen, also schlichtweg nicht mehr. Deswegen gehen die Probleme und die Lösungsvorschläge auch oft so gravierend aneinander vorbei. Ein Verlagsleiter beklagte sich vor wenigen Wochen bei mir,er sehe einfach nicht, wie eine App die Lösung für seine Probleme sein solle. Seine Leser seien ja im Regelfall gar keine iPad-Nutzer, weswegen er nicht ganz einsehe, jetzt viel Zeit und Geld in eine entsprechende App zu investieren. Dem Mann ist durchaus recht zu geben, wenn auch nicht in dem Sinne, in dem er es meinte. Natürlich ist die App nicht die Lösung seines Problems. Sein Problem ist seine Zeitung, ist der Generationenbruch, ist das Resultat von Versäumnissen vieler Jahre. Der iPad-Besitzer wird nicht die verstaubte Zeitung lesen, nur weil es sie jetzt auf dem iPad gibt. Der Staub ist schließlich immer noch der selbe.
Gleichzeitig war unser Gespräch dennoch bezeichnend. Meine Zustimmung, dass die App jetzt nicht gerade das Entscheidende bei der Problemlösung sei, verstand er anders als ich sie gemeint hatte. Gemeint hatte ich: Ihr müsst euer ganzes Blatt überdenken, eure ganze Position, eure ganze Strategie, euer ganzes Selbstverständnis. Er meinte: Prima wenn Sie das auch so sehen – dann können wir ja uns weiter ganz auf unsere Zeitung konzentrieren.
4. Die Sache mit dem Verständnis
Über den Satz, dass das Netz kein rechtsfreier Raum sei, schmunzelt man in der Szene heute noch (als wenn das jemals jemand behauptet hätte). Was das Netz aber sehr wohl ist: ein riesiger Freiraum, ein gigantischer Kreativitätspool, in dem Regeln und Begrenzungen, wie wir sie bisher kannten, schlichtweg nicht mehr gelten. Jeden Tag passieren im Netz irgendwelche Dinge, irgendwas kann morgen schon der Trendsetter sein. Vielleicht für Jahre, vielleicht auch nur für Wochen. Man müsste also das Netz als ein komplett neuartiges Konstrukt begreifen, man müsste sein Wesen verinnerlichen. Stattessen wird es vielfach einfach nur als ein neuer Vetriebskanal betrachtet. Der alte Wein soll in die neuen Schläuche gefüllt werden, selbst dann, wenn er ungenießbar ist. Dafür gibt es ein paar naheliegende Gründe. Einer davon ist, dass digitale Köpfe in den Führungsebenen vieler Häuser immer noch die Ausnahme sind. Umgekehrt sieht man: Überall da, wo es diese digitalen Köpfe mit einem grundlegenden Verständnis für neue Medien gibt, funktioniert das Ganze wesentlich besser als andernorts. Und nein, mit den digitalen Köpfen ist nicht eine eigene Onlineredaktion, ein eigener „Onlinechef“ gemeint. Das wird nicht reichen. Wenn Medien sich ohne jede Einschränkung digital aufstellen wollen, dann erfordert das eben mehr als nur eine weitere Planstelle für jemanden, der sich im Rahmen der analogen Grenzen ein bisschen kreativ austoben darf. Doch genau das ist häufig das Problem: Wer holt sich schon jemanden ins Haus, den er als den Feind in seinem Haus betrachtet?
5. Hier stehe ich und kann nicht anders
Alles ganz einfach also für 2011? Ein bisschen neu aufstellen und die Versäumnisse der letzten Jahre aufholen? Wenn man in diesen letzten Tages des Jahres den Protagonisten der analogen Welt zuhört, dann hat man den Eindruck, als wollten und würden sie es exakt so angehen. Und gleichzeitig verweisen sie auf ihren Sachzwänge, auf die engen Grenzen, die ihnen gesetzt sind, so dass sich die Strategie fast schon wieder von alleine ergibt. Der Hauptumsatzbringer, wer wollte das auch bezweifeln, sind ja immer noch die alten Geschäfte. Und solange das so ist, kann man wunderbar darauf verweisen, dass man dieses Kerngeschäft ja unmöglich vernachlässigen könne. Man will und wird also das Medium, das so viele kreative Freiheiten wie nie zuvor anbieten würde, mit Sachzwängen und Einschränken und vielen „ja, aber…“ angehen.
Im Grunde bin ich immer Optimist. Aber an die Veränderungsfähigkeit eines Dinosauriers zu glauben, fällt mir zunehmend schwerer. Auch wenn der Dino ankündigt, künftig vegetarisch leben zu wollen, bleibt er ein Dino. Dass 2011 anders wird als 2010 denke ich dennoch. Die ersten der Dinos werden uns verlassen, mit einem Grasbüschel im Mund und einem leicht verständnislosen Blick.
In vielen Punkten teile ich Ihre Thesen, möchte aber einen wichtigen Aspekt hinzufügen. Die meisten Verleger und Chefredakteure sind immer noch der Meinung, dass progressivere Inhalte die Stammleserschaft verschrecken könnte. Angeblich wollen diese Menschen in erster Linie Beiträge konsumieren und unterstützen, die ihre eigenen Besitzstände wahren.
Diesbezüglich vertrat ich in den vergangenen Jahren eine gegenteilige Position. Die Erhöhung der Meinungsvielfalt innerhalb einer Medienmarke würde zwar einige wenige Leser, Zuschauer oder Hörer vergraulen, die meisten Kunden jedoch stärker an das jeweilige Produkt binden. Hinzu kämen neue Potenziale. Dass es immer noch Chefredakteure gibt, die Verlinkungen nach außen verbieten, ist ein Armutszeugnis der Medienbranche.
Apropos nicht verlinken wollen. ein besonders skurriles Beispiel dafür gab es gerade hier in Hannover:
http://www.haz.de/Nachrichten/Medien/Uebersicht/Ein-Blick-auf-die-hannoversche-Bloggerszene
Toller Beitrag! Mehr gibt es nicht zu sagen …
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