100 Zeilen blass

Harte Zeiten, momentan: Ein Kongress und eine Resolution und eine Studie jagt die andere. Darüber wird dann meistens ziemlich heftig diskutiert, mit ab und an ganz erstaunlichen Ergebnissen. Und weil das momentan so viel ist, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wo ich als erstes hinschauen soll, würde ich mir gerne erlauben, völlig unstrukturiert einiges aufzuschreiben, was mir in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen ist. Manches nur sehr kurz, fast alles ohne jede wissenschaftliche Begründung — und einiges natürlich furchtbar ungerecht und unausgewogen.

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Chefredakteure und VdZ schleppen sich nach langem Verbandstag durchs Ziel, man besinnt sich darauf, dass alles besser wird. Und man wendet sich gegen „Billigjournalismus“ (großartig, wer würde das nicht auf der Stelle unterschreiben?). Unklar ist mir nur, ob man nicht davon ausgehen muss, dass es derzeit schon Billigjournalismus gibt, wenn man sein sofortiges Ende fordert. Obwohl es ihn ja eigentlich gar nicht geben dürfte, zumindest nicht gedruckt, billig gibt´s ja nur im Netz, angeblich. Und wer dafür Verantwortung trägt, beispielsweise für Blätter wie „Chatter“.Wolfram Weimer, gar nicht mehr so neuer Chefredakteur des „Focus“, fordert gar eine Rückkehr zur Relevanz und es ist jetzt bestimmt nicht gerecht, wenn man vermutet, dass er mit dieser Forderung in seiner eigenen Redaktion einigermaßen gut aufgehoben ist. Die vorletzte Titelgeschichte mit Günther Jauch auf dem Titel und der Frage, wie weit Intelligenz erlernbar sei, kam mir jedenfalls noch nicht so ganz relevant vor.

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Ach ja, das Leben könnte so schön einfach sein, wenn man einfach nur ein bisschen schwarz und ein bisschen weiß sehen würde. Dann wären die Analogen die Doofen und wir Digital Somewhats die Guten. Blöd nur, wenn man dann in den eigenen Reihen Mechanismen entdeckt, die man doch eigentlich lieber in der Welt der Doofen sehen würde. Momentan beispielsweise geht mir diese gottgleiche Verehrung von Mr. Jeff Jarvis ziemlich auf den Wecker, der sich hauptberuflich Gedanken darüber macht, wie sich Deutsche in der Sauna verhalten und welche Naturkatastrophe es sei, wenn Menschen nicht möchten, dass ihr Haus und ihr unmittelbares Umfeld für jeden am Rechner mit der Maus abfahrbar sind. Ansonsten schreibt Jarvis jetzt über dieses unverschämte Verhalten der Deutschen ein ganzes Buch und erinnert mich so ein bisschen an die „Scorpions“, die in ihrem Heimatland auch keiner sehen will, am Ural oder sonstwo aber immer noch ganze Hallen füllen. Ich habe Jarvis´Google-Lobpreisungen als Buch leider auch gelesen und wundere mich, wie man solche blinde Verehrung für eine Datenkrake auch noch toll finden kann. Ich habe viel Respekt vor der unternehmerischen Leistung Googles und nutze selbst Google-Produkte, finde aber ein (Medien-)Weltbild,  dass sich in erster Linie auf der Verehrung eines Großkonzerns gründet, ein wenig verengt. Was mir noch mehr auf den Keks geht, wenn ich ehrlich sein soll: Jarvis könnte auch einen einstündigen Auszug aus einer Bedienungsanleitung für keimfreie Staubsaugerbeutel vorlesen, es gäbe immer noch welche, die es retweeten und liken. Hat ja schließlich Jarvis gesagt, dann muss es ja stimmen. (Zugegeben, das ist meine persönliche Macke. Bei Heldenverehrung schalte ich gerne aus Prinzip auf Opposition).

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Laut gelacht dann bei der Feststellung von rund 70 Online-Redaktionsleitern, die sich und ihre Redaktionen bezüglich ihres Umgangs mit Twitter haben untersuchen lassen, um dann festzustellen, dass die „Twitter-Kompetenz“ noch ausbaufähig sei. Klar ist sie das — und am besten bucht man dafür ein paar Seminare von Leuten, die aus sowas auch noch ein Geschäft machen. Twitter-Kompetenz, was soll das denn sein, liebe Leute?  Man müsste vielleicht verstehen, was Kommunikation ausmacht und mal anfangen, sich für sein Gegenüber, seinen Gesprächspartner wirklich zu interessieren und dann wäre man schon einigermaßen weit. Demnächst dann auf den Panels und den Medienseiten dieser Republik: Facebook-Kompetenz, Flattr-Kompetenz, Kompetenz-Kompetenz. „Gravierende Twitter-Ausbildungsmängel“, ach Medien-Deutschland, wo soll das alles nur enden?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Heike Rost

    „Man müsste vielleicht verstehen, was Kommunikation ausmacht und mal anfangen, sich für sein Gegenüber, seinen Gesprächspartner wirklich zu interessieren und dann wäre man schon einigermaßen weit.“

    Dinge, die auf keinem „Ausbildungsplan“ stehen: Neugier im Sinn von echtem Interesse. Empathie. Sich einlassen – auf Situationen und Menschen. Dickschädeligkeit, Querköpfigkeit und eigenes Gedanken. Respekt. Liebe zum Beruf und Freude an dem, was man tut. Werte und Rückgrat, vulgo „Arsch in der Hose“.
    Oh, ich vergaß, natürlich: „Ein guter Journalist macht sich mit nichts gemein.“ (Hanns Joachim „Hajo“ Friedrichs). Aber „cool“ hat er mit Sicherheit nicht gemeint, räsonniert die Lichtmalerin bei der Morgenlektüre. 😉

  2. Detlef Borchers

    100 Zeilen Hass auf Jarvis wären noch besser gewesen, aber der Vergleich von Scorpions und diesem Journalismus-Darsteller/Staubsaugerbeutelvertreter gefällt.Ähnliches gilt auch für den Facebook-Apologeten Kickpatrick, der bei uns als Vordenker des Internet durchs Land tingelt.

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