Prominentester Gast des alljährlichen „Bock auf Rock“-Festivals der Jungen Union Salzweg-Straßkirchen war Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer. Unkompliziert und sympathisch mischte sich der aus der JU hervorgegangene deutsche Spitzenpolitiker am ersten Festivaltag unter das Publikum. Am Eingang zahlte er brav seinen Eintritt und ließ sich das obligatorische Eintrittsband am Handgelenk anbringen. Immer wieder hörte man, „das ist ja der Staatssekretär“.
Viele freuten sich über seine Anwesenheit. Und bemerkenswert ist auch, dass Dr. Scheuer, im Gegensatz zu anderen Politikern in ähnlichen Fällen, stets zu „Bock auf Rock“ kommt, unabhängig davon, ob gerade eine Wahl ansteht. Sein Kommentar zur Unser Radio Band „Jump“: „Die spielen eine super Musik.“ Und ob vor oder hinter der Theke, der Staatssekretär machte eine ausgesprochen gute Figur. Und Body-Guards – Fehlanzeige!
Ist das nicht supi mit dem Staatssekretär? Unkompliziert, sypmpathisch, macht eine super Figur, zahlt, obwohl Ehrengast, freiwillig Eintritt. Kommt auch dann, wenn keine Wahlen sind. Ohne Bodyguards!! Und das, obwohl er Spitzenpolitiker ist (was man allerdings etwas einschränken muss, ich weiß nicht, wie bekannt Dr. Andreas Scheuer außerhalb von Salzweg und Hutthurm ist). Da kann man schon mal so erstaunt wie erfreut ausrufen: Das ist ja der Staatssekretär!
Solche wunderbaren Lobpreisungen liest man (leider nicht nur) in der „Passauer Neuen Presse“ — und sie sind bezeichnend für das ganze Elend im Lokaljournalismus. Denn das eigentlich Schlimme daran ist: So etwas ist Alltag in deutschen Lokalteilen. Und es ist erklärbar. Und, noch verrückter: Man kann der Redakteuren nicht mal einen wirklichen Vorwurf machen, so bizarr das klingt. Schuld ist eine Jahrzehnte alte Struktur, die über ebenso viele Jahrzehnte funktioniert hat, die jetzt an ihr Ende kommt und die die Regionalblätter in die Lage gebracht hat, in der sie jetzt stecken.
Das konkrete Jubel-Beispiel um den unglaublich sympathischen Staatssekretär im Einzelnen mal aufgedröselt: Der Landkreis Passau umfasst vier Städte, 14 Märkte (bayerische Besonderheit, so eine Art Mittelding zwischen Gemeinde und Stadt), 34 Gemeinden und drei Verwaltungsgemeinschaften. Er dehnt sich auf insgesamt 1500 Quadratkilometer aus, hat aber trotzdem nur gut 120.000 Einwohner. Er ist also das, was Fachleute einen Flächenlandkreis nennen: Lange Wege, wenig Menschen. Betreut wird er neben ein paar kleineren Vertretungen vor Ort vor allem von der Landkreis-Redaktion der PNP mit Sitz in Passau, die mit vier Redakteurinnen und zwei Assistentinnen besetzt ist. Man kann sich also leicht ausrechnen: Selbst wenn alle vier 24 Stunden am Tag arbeiten würden, hätten sie nie auch nur eine halbwegs realistische Chance, 1500 Quadratkilometer und über 50 Städte und Gemeinden journalistisch zu betreuen. Man ist also wirklich eine klassische Redaktion: Man organisiert und verwertet das, was einem freie Mitarbeiter von draußen so alles bringen. Das muss prinzipiell nichts Schlechtes sein, auch wenn man natürlich kaum in der Lage sein wird, über 50 Gemeinden wirklich zu durchblicken, was aber gerade im Lokalen essentiell wäre. Und es müsste auch nichts Schlechtes sein, wenn das Material, das von den Freien geliefert wird, einigermaßen brauchbar wäre.
Das ist allerdings, neben den möglicherweise fehlenden Kenntnissen der Redakteure, was nun gerade wirklich in einem Ort abgeht, das zweite große Problem. Man findet in einer Stadt wie München als freie Mitarbeiter gerne mal einen Studenten der DJS oder jemand anderen, der später mal ein vermutlich guter Journalist wird. Das ist draußen (und da ist es egal, ob der Landkreis Passau oder Höxter heißt) allerdings so schwierig wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Und selbst, wenn sich mal eine echte Perle findet: Die ist schnell wieder weg, um wahlweise zu studieren oder bei einem großen Medium mitzuarbeiten. In der Regel rekrutieren sie sich aus pensionierten Lehrern, Hausfrauen, Schriftführern des Männergesangsvereins. Daraus resultieren dann gleich zwei Probleme: Zum einen hängt man den ganzen Tag über mehr oder minder wenig brauchbaren Texten (und Fotos) und versucht, sie irgendwie so in Form zu bringen, dass sie nur noch ein bisschen unbrauchbar sind. Und gleichzeitig verliert man dabei jede Zeit (und eventuell auch jede Lust), sich mit dem Verbreitungsgebiet intensiver auseinanderzusetzen, eigene Themen zu setzen, selber zu recherchieren. Stattdessen entsteht ein journalistisches Minidiktat von unbegabten Laien — und natürlich handfesten Interessensvertretungen.
Beispiel gefälig? Die Geschichte über unseren Supi-Staatssekretär hat ein inzwischen pensionierter Grenzbeamter geschrieben, dem man mit allerbestem Gewissen eine gewisse Nähe zur immer noch staatstragenden Partei in Bayern unterstellt werden darf. Das Supi-Festival, bei dem der Supi-Staatssekretär gesichtet wurde, hat der Sohn des Schreibers mitorganisiert. Man darf sich also zumindest aus deren Sicht überhaupt nicht wundern, wenn die Geschichte lautet: Supisekretär auf Supifestival einer Supipartei!
Natürlich darf man aber auch die einfache Frage stellen: Warum zur Hölle geht sowas mehr oder minder unredigiert ins Blatt (man hofft zumindest, dass es unredigiert ist, weil man andernfalls nicht wissen will, wie der Text vorher aussah)? Warum schmeißt man das nicht weg oder schreibt es zumindest in eine halbwegs erträgliche Fassung um? Auch das lässt sich schnell erklären, wenn man auch nur ein bisschen den Alltag solcher Redaktionen kennt und man ein klein wenig pragmatisch eingestellt ist. Wegschmeißen: geht nicht, weil sonst der Supi-Saatssekretär, der Supi-Autor und der ganze Supi-Ort schon mal gerne Druck machen, der dann im Zweifelsfall bei der geschäftsführenden Verleger-Tochter landet. Umschreiben? Für was? Der Schreiber ist sauer, der Supi-Staatssekretär auch, einen solchen Mülltext kann man eh nicht mehr sehr viel verbessern, vor allem dann nicht, wenn man den ganzen Tag Texte von eher suboptimaler Qualität noch verschlimmbessern muss. Und wem tut es eigentlich weh?
Das alles könnte man verstehen (ich habe das selbst lange genug gemacht), nur von einem kann man nicht verlangen, dass er Verständnis aufbringt: dem Leser, der immerhin zahlende Kunde ist. Er bekommt jeden Tag ein mangelhaftes Produkt vorgesetzt, das er in vielen Fällen deshalb liest, weil es halt nichts anderes gibt in der Gegend. Er bekommt etwas, was im Grunde mit Journalismus nichts zu tun hat. Eine Ansammlung von Texten, die mehr oder minder alle interessengefärbt sind. Man akzeptiert das im Lokalen, weil man wie selbstverständlich hinnimmt, dass das eben so ist. Dabei gäbe es vermutlich in jeder Nachrichtenredaktion des Landes einen Aufstand, würde der Politik-Teil eines Tages nur aus kaum redigierten Meldungen der Pressesprecher von Parteien und Verbänden bestehen. („Unkompliziert und ungeheuer sympathisch trat Außenminister Westerwelle bei der UN-Vollversammlung auf. Da ist ja der Außenminister, riefen glückliche vorbeigehende Passanten spontan aus“.)
Das macht die Zukunft des Lokaljournalismus auch so schwierig. Natürlich ist es völlig unrealistisch und ökonomisch auch nicht machbar, plötzlich die Passauer Landkreis-Redaktion mit dem Zehnfachen an Redakteuren auszustatten. Nur dass es immer schwieriger sein wird, die Zukunft eines Regionalblattes zu sichern, wenn man für Nicht-Journalimsus auch noch Geld bezahlen soll – wo es doch zunehmend richtigen Journalismus im Netz gibt. Und das auch noch ganz kostenlos. Vielleicht sollten die Zeitungsverleger mal darüber nachdenken, ob nicht das ihr Problem ist. Selbst wenn man das hier nicht mehr googlen könnte, selbst wenn das hier ein Prüfungsfach in der Schule wäre und selbst wenn es das allerstrengste Leistungsschutzrecht auf der Welt gäbe — das Problem wäre dennoch nicht gelöst.
Betrifft übrigens nicht nur die Landkreis-Redaktion. Zu meiner Studienzeit in Passau sind auch ähnliche Berichte über Hochschulgruppen (geschrieben von deren Vorständen) 1:1 in den PNP-Stadt-Lokalteil übernommen worden.
Ich glaube auch keineswegs, dass das eine sonderlich seltene Vorgehensweise ist. Und bevor mir wieder vorwirft, ich wolle ja nur der PNP eines drüberbraten: Ich bin mir auch sicher, dass man solche Perlen jeden Tag in irgendeinem Lokalteil irgendwo in Deutschland findet.
Schön, daß es mal gesagt wird. Als gutes schlechtes Beispiel darf auch der Trierische Volksfreund nicht fehlen. Ich weiß nicht, ob man dort Personal auf ähnliche Weise rekrutiert – der Ton läßt es zumindest vermuten.
Der einzige Fehler deines Textes ist m. E. die fehlende historische Tiefenschärfe: Solche Zustände im realexistierenden Journalismus sind doch nichts Neues. Meines Erachtens war das Jubelpersertum mit dem Lokaljournalismus schon immer eng verbandelt. Ich erinnere nur mal an Falladas ‚Bauern, Bonzen, Bomben‘, ein Roman, der weitgehend auf der Ebene der Redaktionstische spielt. Der Tenor jedes Artikels in dieser Neumünsteraner Lokalpresse – dort, wo Fallada jahrelang frohnte – ist hier strikt an die Anzeigenwilligkeit gekoppelt. Über Filme, die man niemals sah, wird berichtet, indem der Redakteur sich den Schaukasten vorm Kino kurz anschaut usw. – was sich in der Folge dann ‚lokaler Kulturteil‘ nennt. Mit einem Wort: Der Journalismus war vermutlich schon immer nuttig. Nur konnten die Journalisten, solange sie die Hoheit über die Informationskanäle noch besaßen, ein anderes Selbstbild vermitteln, indem sie alles ungestraft rosarot überzuckern durften.
Man hätte es natürlich noch ein bisschen besser herausarbeiten können, aber ich finde, es kommt durchaus raus, dass der Lokaljournalismus immer schon stark Interessengelenkt war, heutzutage fällt das (wegen der sich entwickelnden Konkurrenz und der steigenden Medienkompetenz der Kunden) eben stärker auf.
Ich kann dafür in einem anderen Punkt dem Beitrag nicht zustimmen. Vielleicht werden nicht die Pressemitteilungen der Politiker abgedruckt, dafür wird Lobbyisten, wie der Bertelsmann-Stiftung oder dem Bund der Steuerzahler (um nur zwei von vielen zu nennen) viel Platz eingeräumt und ihre Ergüsse werden wie unabhängige Analysen präsentiert. Da scheint mir Herr Jahkubetz etwas zu blauäugig auf die Qualität der Nachrichtenredaktionen zu vertrauen.
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