Es sagt ziemlich viel aus über die Probleme, die der Lokaljournalismus — und dort vor allem die Regionalzeitungen — haben: Sie haben schlichtweg ernste Probleme, noch guten Nachwuchs zu finden. Joachim Braun, Redaktionsleiter der Bad Tölzer Lokalausgabe des „Münchner Merkur“ und im Video-Interview ein angenehm ruhiger und realistischer Kollege, schildert das ganz unaufgeregt. Das Lokale ist generell für junge Journalisten zunehmend unattraktiv geworden. Und wenn man dann auch noch draußen auf dem flachen Land sitzt statt in der pulsierenden Großstadt, dann wird es zunehmend schwierig, überhaupt noch jemanden zu finden, selbst wenn man ausreichend Budget dafür zur Verfügung stellt. Davon, dass man ein Talent mittelfristig hält, ganz zu schweigen.
Dabei ist gar nicht mal das alleine Problem, dass man als, hüstel, etwas älterer Mensch die Reize von Bad Tölz erst zu schätzen lernt — und man als 20jähriger einen Panoramablick auf die Alpen nur mäßig spannend findet. Vielmehr haben sich die Dinge gewandelt. In alten analogen Zeiten galt das als ehernes Gesetz: Geh ins Lokale, da lernst du am meisten. Ich kenne eine ganze Reihe ausgezeichneter Journalisten, die sich durch die Mühen von Geflügelzüchtervereinen und Stadtratssitzungen gearbeitet haben. Sie haben dort eine ganze Menge gelernt, was ich übrigens auch gerne für mich in Anspruch nehmen würde. Wie beispielsweise Politik tickt, kann man ganz wunderbar in diesem Mikrokosmos Kommunalpolitik lernen.
Allerdings hatte ich (und viele andere auch) das Glück, dass ich Leute um mich hatte, die sich ernsthaft mit mir und meiner Unfähigkeit auseinandergesetzt haben. In meiner Volo-Zeit bei der PNP (nicht erschrecken, jetzt kommt was Positives) hatte ich tatsächlich so etwas wie zwei Ausbildungsredakteure, einen direkt vor Ort und einen in der Zentrale. Aus der Zentrale kam jeden Monat ein Paket mit Feedback auf meine Geschichten, wenn ich mal eine wirklich versemmelt hatte, kam die Reaktion auch schon mal am nächsten Tag. Oder am selben. Alles in allem hatte ich jedenfalls nach zwei Jahren Volontariat das Gefühl, halbwegs gut ausgebildet zu sein. Mein Wunsch wegzugehen entstand dann mittelfristig auch gar nicht aus dem Gedanken, schlecht ausgebildet worden zu sein, sondern aus der ewigen Wiederholung des immer Gleichen. Aber das ist kein lokalspezifisches Problem, ich stelle mir auch zehn Jahre in der Nachrichtenredaktion der SZ als irgendwann ermüdend vor.
Auch auf die Gefahr hin, in eine „Früher-war-alles-besser“-Schiene gesteckt zu werden: Mir begegnen heute nach meinen höchst subjektiven Eindruck immer mehr Volos, die in ihren Lokalredaktionen nicht mehr als das gesehen werden, was sie sind. Nämlich als junge Journalisten, die ausgebildet werden sollen. Stattdessen werden sie schnell zu vollwertigen und billigen Arbeitskräften gemacht. Ich weiß nicht, wie viele mir schon erzählt haben, dass sie de facto auch mal wochenlang eine Lokalredaktion mehr oder minder alleine schmeißen müssen. (Auch zu dem Thema ein rückwirkendes Danke nach Passau: Ich stand einmal als Volo vor dieser Situation, so etwas machen zu müssen; mein Ausbildungsredakteur hat sich sofort mit einem entschiedenen „Das geht nicht dazwischen geworfen).
Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere unter Ihnen jetzt insgeheim ein leises „Na und?“ vor sich hinmurmelt, dass sich durch die langjährige Praxis und der Erfahrung, dass das schon irgendwie geht, begründet. Ich finde diese Haltung in unserem Job immer wieder interessant, vor allem, wenn man diese Idee auf andere Berufe anwendet. Eine Operation, die nicht ein Arzt, sondern ein Student unbeaufsichtigt durchführt? Ein Hausbau, bei dem der Azubi nach drei Wochen das Kommando übernimmt? Der Supermarkt, der einen Praktikanten als Fillialleiter einsetzt? Komisch, dass es ausgerechnet bei uns, wo wir doch immer die Bedeutung unseres Jobs gerne betonen, zwar ein Wissen um solche Zustände gibt, auf der anderen Seite es aber oft nur zu einem pflichtschuldigen erhobenen Zeigefinger reicht. Der soll dann signalisieren, dass man so etwas tendenziell für nicht in Ordnung hält.
Man kann dann auf der anderen Seite natürlich kaum erwarten, dass Volontäre aus solchen Redaktionen auch nur im Ansatz gut ausgebildet rausgehen. Und man kann kaum hoffen, dass die Attraktivität des Lokaljournalistenjobs steigt.
Umgekehrt sind man dann ja auch, was möglich ist, auch für Regionalzeitungen: Einer der wirklicb begabtesten Leute, die ich jemals in einem Seminar hatte, hat jetzt zwei ziemlich aussichtsreiche Bewerbungen. Er ist noch unschlüssig, ob er zum öffentlich-rechtlichen TV geht — oder zu einer mittelgroßen Regionalzeitung.
Ich würde ihm zur Zeitung raten. Nicht immer, aber bei dieser — schon.
Also, meine Ausbildung zum Lokalredakteur war auch 1987 schon schei… Einen Ausbildungsredakteur? Was soll das denn sein. Feedback? Hrrhrr. Nur als die Geschäftsleute aus der Region, die ich als Volo alleine gegen die gut bestückte Redaktion der Konkurrenzzeitung beackern durfte, mit Anzeigenboykott drohten, bekam ich „Feedback“ – und wurde natürlich sofort abgezogen. Fortan durfte ich auch die Titel- und die Politikseiten des Mantels an einem Sonntag gerne mal alleine machen. Ich sags mal so: Öffentlich-rechtliches TV oder Regionalzeitungen, das ist nicht wirklich eine Wahl, das ist eine klare Sache. Abgesehen davon ist es nicht ganz leicht, die wenigen Regionalzeitungen, sich nicht gerade selbst abschaffen, erstmal finden…
In 98 Prozent der Fälle würde ich sagen: stimmt alles. Aber in diesem einen sehr speziellen Fall hat´s jemand kapiert, sein Blatt halbwegs zukunftsfähig und damit auch für echte Begabungen attraktiv zu machen. Aber klar, ich geb´s zu: Das ist eine große Ausnahme. Leider.
Guten Tag!
Sorry, guter Nachwuchs ist zu finden – die Bedingungen und Angebote der Lokalmedien sind einfach nicht attraktiv, wenn jemand noch seinen Verstand beisammen hat.
Beste Grüße
Hardy Prothmann
Ich stehe kurz vor Studienschluss und überlege mir ein Volo zu machen, da ich aber bereits den Lokaljournalismus dank Praktika kenne, bin auch ich hiervon alles andere als angetan. Natürlich lernt man hier nicht wenig, aber wenn ich bedenke, was die größte Zeitung hier im Landkreis so in Sachen Zukunft (sprich Web 2.0 und Co.) bereit hält – nämlich so gut wie gar nichts -, dann überlegt man sich das schon zwei Mal …
Sagen wir mal ganz hypothetisch, wir sprechen etwa von der Rhein-Zeitung als eine derjenigen, die sich „zukunftsfähig“ gemacht haben. Dann kann man da sicherlich eine gute Ausbildung kriegen, keine Frage. Aber: Ist man dann nicht auf Gedei und Verderb dem Print und (bestenfalls) dem multimedialen Onlinejournalismus ausgeliefert? Das mag aus journalistischen Gesichtspunkten ja richtig und soannend und progressiv und hübsch sein, aus ökonomischen grenzt es an Selbstmord. Seine Nase in die ÖR-Fleischtöpfe zu stecken, ist im Augenblick so ziemlich das Zukunftssicherste was man im Journalismus machen kann. Ich würde mich sehr sehr schwer tun, jemandem etwas anderes zu empfehlen.
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Aus eigener Erfahrung (Print-Volo bei der schnuckeligen Westfalenpost im urigen Sauerland; jetzt u.a. TV-Fuzzi für die Öffis) kann ich trotz aller widrigen Umstände nur sagen: Wer sich der Grenzen des regionalen Prints bewusst ist und frühzeitig Augen, Ohren und Abendstunden für andere Medien offen hält, für den kann das Lokale weiterhin eine gute Schule sein.
Nichts schult besser, als die alltägliche Begegnung mit den eigenen Lesern (beim Bäcker, in der Kneipe usw.) 😉
@Markus: ja, wenn man ihnen dann noch begegnet – und nicht letztendlich als Redigiermaschine am Schreibtisch endet.
Von wegen früher war alles besser: Ich bin schon anno 1979 als Lokal-Volo verheizt worden. Hatte danach das Glück, eine sehr gute Tischredakteurin zu bekommen, die meine Texte in meinen ersten Redakteursjahren regelmäßig durch die Mangel gedreht hat (Danke Barbara M.-L.) Davon profitiere ich noch heute. Aber das Learning-by-Doing im Lokalkiez hat mich krisenfest gemacht, und heute, wieder zurück im Lokalen, setze ich viel daran, keinen Lokalteil alter Schule zu machen, sondern einfach eine gute Zeitung mit lokalen Themen.
Wenn Herr Braun vom Tölzer Kurier sich um den eigenen Nachwuchs sorgt, dann sollte er vielleicht einmal bei seiner Chefredaktion vorstellig werden. Denn dort werden die Volontarsplätze für die gesamte Merkur-Gruppe vergeben und von dort erhielt ich vor einigen Jahren auf meine Bewerbung hin die Antwort (sinngemäß):
Herzlichen Dank für die interessante Bewerbung. Leider vergebe der Merkur jedoch seine Volontariate ausschließlich an Kandidaten, die ein Praktikum bei einer der hauseigenen Zeitungen vorweisen können (konnte ich nicht). Daher biete die Zeitung mir nun an, vor einem möglichen Volontariat ein Praktikum zu absolvieren – und zwar elf Monate lang.
Ach ja, als Praktikant verdient man beim Merkur etwa 500 Euro im Monat. Und obwohl ich kein Experte in Sachen Lebenshaltungskosten in Bad Tölz bin, wage ich zu behaupten, dass man davon auch dort schlicht nicht leben kann – von München oder Freising ganz zu schweigen.
Zudem mag sich inzwischen auch die maue Übernahmequote des Münchner Merkurs nach dem Volontariat herumgesprochen haben. Insbesondere wenn man die Ausbildungsstation (dort verbringt der Volontär 1 1/2 der 2 Jahre) in einer der kleineren Redaktion liegt, sind die Chancen verschwindend gering, im Anschluss an das Volontariat einen Redakteursposten zu ergattern.
So viel zum Merkur. Schnitt.
Ihrer These, Herr Jakubetz, dass das Lokale generell für junge Journalisten zunehmend unattraktiv geworden sei, mag ich nicht zustimmen. Vielmehr sind es meiner Meinung nach die Arbeitsbedingungen, die viele potenzielle Kandidaten abstoßen – also das Abfüllen und Redigieren der Seiten im Akkord, der zeitbedingte Verzicht darauf, die Redaktion zu verlassen, sich mit Menschen zu unterhalten, eigene Geschichten zu recherchieren, kurzum: das was eigentlich den Lokaljournalismus ausmacht. Dieser Prozess in vielen (vor allem lokalen Zeitungs-) Redaktionen ist in meinen Augen der entscheidende Faktor für die abnehmende Attraktivität des Zeitungsjournalistenberufs – die nicht nur bei angehenden Volontären zu vernehmen ist. Dass das Leben in Berlin für den ein oder anderen interessanter sein mag als das Leben in Bad Tölz spielt da nur eine Nebenrolle.
Ich kann „Leo“ nur zustimmen…Die Arbeitsbedingungen sind das Problem. Das Gehalt ist oftmals haarsträubend gering…selbst als studentische Aushilfe habe ich mit 20 Stunden die Woche mehr verdient als jetzt. Mehrere Umzüge und der Unterhalt eines Autos muss bewerkstelligt werden, lange Fahrten übers Land…eigentlich eine >mission impossible<…
Das nimmt leider jede Lust auf mehr…
Joachim Braun vom Tölzer Kurier wundert es, dass gute Leute nicht für ein Jahr für wenig Geld in der Pampa arbeiten, um dann möglicherweise ein Volo zu bekommen, um dann ganz vielleicht als Freier dort anzufangen – für das Geld, was der Freienetat ebenso hergibt bei diesem offensichtlicht großzügigen Verlag.
Diese Offerte ist einfach eine Beleidigung, nichts weiter.
Für die Zeitung, bei der ich volontiert habe, trifft das auf jeden Fall zu: Als Volo ab ins kalte Wasser und sofort selbstständig Lokalteile schmeißen, auch wenn man nie zuvor in dem Kaff gewesen ist und keine Sau kennt. „Ausbildungsredakteur“… dass ich nicht lache: Als ob dafür noch Kapazitäten übrig gewesen wären. Feedback? Auch nur dann, wenn’s knallt. Dann gab’s Feedback im Büro des Chefredakteurs, das der Delinquent zumeist um 30 cm geschrumpft wieder verließ.
Und wer die 24 Monate überlebt hat, durfte sich in aller Regel einen anderen Job suchen – oder bekam, falls zufällig gerade ein Alteingesessener mit Herzinfarkt umgekippt war, einen untertariflichen Vertrag der firmeneigenen Leiharbeitsfirma angeboten. Selbstredend bekam man für die Außenredaktionen kein Spritgeld, ein Umzug ins Kuhdorf war daher unausgesprochene Voraussetzung.
Wenn man dann Glück hat, ergibt sich vielleicht nach 15 Jahren (und ebenso vielen weiteren herzinfarktbedingten Stellenausschreibungen) die Möglichkeit, ins Haupthaus zu wechseln, wo man dann mit viereinhalb Kollegen den Mantel zusammenkloppen darf – selbstredend zu den gleichgebliebenen Konditionen des Leiharbeitervertrages, in dem Gehaltserhöhungen nicht vorgesehen sind, nicht einmal inflationsbedingte Anpassungen.
Das macht Laune, so hat man sich seine Zukunft als unbestechlicher Aufklärer vorgestellt, da weiß man, wofür man studiert hat. Eigentlich kein Wunder, dass sich manch ein Lokalredakteur die Zeit bis zum Ruhestand (oder Infarkt, falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte) möglichst bequem gestaltet und zum Bratwurstjournalismus greift.
herrjeh, eine lokalzeitungsredaktion mit einer operation, einem hausbau oder auch nur einem supermarkt zu vergleichen, zeugt me schon von erheblicher selbtsüberschätzung — in den allermeisten redaktionen ist der unterschied zwischen redakteur, volontär und vollautomatik unerfindlich und falls die zeitung mal längerfristig ausfiele, wäre das objektiv kein verlust.
das, was ich an lokal- bzw regionalzeitungen kennen zeugt lediglich davon, dass sich diese zeitungen selber nicht ernst nehmen. das gebotene niveau ist erbärmlich, ganz unabhängig ob festanbgestellter redakteur oder volontär: ernsthafte recherche? fehlanzeige. hintergrundberichte? fehlanzeige. stattdessen wird der stammtisch mit hemmungsloser personalisierung und pauschalisierung bedient und dem beständigen suchen nach einen ansatz zur skandalisierung (es wird nicht mehr diskutiert oder verschiedene meinungen vertreten, nein, es wird gestritten, gekracht, sich gezofft. es handelt sich auch nicht um legitime differenzen, sondern x will y ein’s auswischen). auf diese wiese wird der ignoranz und verachtung der politischen akteuere vorschub geleistet, woraus sich dann wieder eine prächtige schlagzeile stricken lässt …
ganz davon zu schweigen, dass zumindest unser lokalblatt ausserstande ist, auch nur eine ausgabe herauszubringen ohne gravierende grammetische und orthographische fehler (wohlgemerk, zum thema rechtschreibreform wurde hier der untergang des abendlandes beschworen, was ganz abgesehen vom glashaus, auch nicht eben für journalistisches ethos sprach).
alles in allem ist meine feste überzeugung, dass die durchschnittliche lokalzeitung für eine ernsthafte _journalistische_ arbeit vollkommen falsch ist. hier geht es lediglich um schlicht gestrickte, möglichst unkontroversielle berichterstattung, die den imaginiert unbedarften leser in seinen vorurteilen bestätigen soll. fertig.
@leo ff: Da wären wir wieder einmal bei unserem in der Welt der Blogs (Verzeihung Christian, ist nicht auf Dich gemünzt) so beliebten Lokalredaktionen-Bashing. Nicht Bescheid wissen, aber dicke Backen machn.
Klar ist ein Praktikantengehalt von knapp 700 Euro (sozialversicherungspflichtig!) nicht die Welt, aber wie viele Ex-Praktikanten anderer Zeitungshäuser oder auch öffentlich-rechtlicher Rundfunksender (mit ZDF-Frey habe ich mich darüber mal auf einem Podium gestritten) wundern sich, dass ihnen bei uns überhaupt etwas angeboten wird, zumal sie Fahrtspesen und Fotohonorare auch bekommen.Vom Praktikantengehalt leben, ist in Bad Tölz (und anderswo) tatsächlich schwer. Aber: Wer kann sich als Praktikant schon selber finanzieren?
Für mich als Redaktionsleiter ist dieses – oft auch nur sechsmonatige – Praktikum jedenfalls ausgezeichnet. Unabhängig von Wissenstests und Probereportagen, Zeugnissen und Persönlichkeitsanalysen kann ich Kandidaten im Alltag testen. Ich erfahre ihre sozialen Kompetenzen und ihre Kreativität und fische auf diese Weise vielleicht auch Talente heraus, die aufgrund Alters oder fehlenden Studiums auf herkömmlichem Weg keine Chance bekämen. Aber ich glaube, so genau wollen das Leo & Co gar nicht wissen.
Und noch eins: Auch Volontäre müssen bei uns nicht allein Zeitung machen. Jeder hat „seinen“ unmittelbaren Redakteur als Ansprechpartner und dazu das Netz eines sozial intakten Redaktionsteams. Und sie werden im Hause Münchner Merkur sogar noch nach Tarif bezahlt und bekommen zu den sechs Wochen externe Seminare auch noch regelmäßige Inhouse-Kurse. Aber auch das wollen Leo & Co., glaube ich, nicht wissen.
Dass Volontäre nur eine Festanstellung als Redakteur bekommen können, wenn aufgrund von Wechsel oder Rente eine Stelle im Haus frei wird, dass also nicht beliebig neue Stellen geschaffen werden, das ist unser Verlag sicherlich als andere. Ich bin gespannt auf die Beispiele von Leo & Co. Dass wir alles tun, um unsere Leute zu halten, dafür gibt es zahlreiche Beispiel – auch aus der kleinen Tölzer Lokalredaktion.
Und das am Ende eine bunte, interessante, kritische, lesenswerte Lokalzeitung herauskommen kann (mit allen Schwierigkeiten und Durchhängern, die dazu gehören), naja, davon wollen Leo & Co. sicher überhaupt nichts hören.
Vorurteile verbreiten ist doch eh viel schöner.
@Joachim Braun:
Ich finde es schön, dass Sie hier mitdiskutieren. Und ich will auch nicht ins Lokalzeitungs-Bashing mit einsteigen, dazu habe ich selbst für genug Lokalmedien gearbeitet.
Aber, ganz ehrlich, einen Praktikanten 6-11 Monate quasi Vollzeit (nehme ich jetzt mal an) für etwas arbeiten zu lassen, was man bei allem Respekt nur einen sittenwidrigen Hungerlohn nennen kann, und das dann auch noch zu Voraussetzung für ein Volontariat zu machen (wo dann immerhin nach Tarif gezahlt wird…) ist ungeachtet aller „wirtschaftlichen Realitäten“, die man da sicher beachten muss, eigentlich keinem Arbeitgeber angemessen – und schon gar nicht einem, der sich dank der besonderen Rolle der Medien in einer Demokratie eigentlich an höheren Standards messen lassen muss als bspw. ein Umzugsunternehmer. Praktika müssen sein. Bezahlte Praktika sind aller Ehren wert, zumindest für fertig Studierte aber eigentlich selbstverständlich. Ein Praktikum, dass länger als drei Monate dauert, kann eigentlich nicht mehr zum „Reinschnuppern“ und „Talente austesten“ dienen, sondern nur noch zum Beschaffen billiger Arbeitskräfte.
Sie haben ja Recht, verehrter Spielkind, aber: Unter den Blinden ist der Einäugige König.
Und glauben Sie mir, ohne ins Detail gehen zu wollen, verhungert ist hier bislang noch keiner.
Mir als Volontär in einer „Lokalklitsche“ fehlt wahrscheinlich einfach noch der verklärende Blick auf die Vergangenheit, aber ich muss sagen (nicht weil ich ein Vertrag habe, sondern weil es so ist. Punkt. ;)): Ich bin mehr als zufrieden. Wir haben hier natürlich unsere festen Ansprechpartner, können aber auch jederzeit andere Kollegen fragen, müssen aber auch mal alleine ran, layoutechnisch, organisatorisch etc. Crossmediales Arbeiten? Social Media? Auch mal eigene Projekte ausprobieren? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das bei größeren Redaktionen nicht so einfach möglich ist. Will sagen: Bitte die Thematik nicht pauschalisieren. Zwar können wir rein personalbedingt nicht jeden Twitterer persönlich begrüßen, wie es ja die RZ macht, aber zukunftsicher werden wir schon aufgestellt. Denke ich.
Nur dass sich das Mitleid mit den Blinden in diesem Fall in Grenzen hält, weil man sich die Augen schon selber ausgestochen hat… anders gesagt: Ich wollte Sie auch gar nicht alleine und persönlich angreifen. Ich finde es sogar lobenswert, dass Sie (teilweise) von den Branchenstandars abweichen, und zwar zum positiven hin. Nur sind diese Branchenstandards inakzeptabel. Das war lange okay, weil es auf jede freie Volo-, Praktikanten- und sonstige Stellen um die vier Millionen Bewerber gab. Aber das wird gerade bei den Lokalmedien nicht mehr lange so sein, (Stichwort Demographie und Fachkräftemangel), und dann werden sich junge Leute dreimal überlegen, ob sie sich in die Knochenmühlen des Journalismus begeben. Und daran sind die Verlage vor allem selbst schuld.
Und ich freue mich, dass Sie Ihre Praktikanten regelmäßig füttern.
Nachdem wir hier im genussfreudigen Oberbayern sitzen, können Sie sicher sein, dass selbst Norddeutsche mit mehr Kilos gehen als sie kamen.
Ansonsten sind wir nun beisammen, und eigentlich bei einer der meiner Botschaften aus dem oben zitierten Video-Interview.
Hallo Herr Braun,
schön, dass sie sich der Debatte stellen. Um mal etwas Nettes vorweg zu schieben: So viel Geld wie Sie im Praktikum zahlen hat mir in meinen drei Praktika niemand angeboten. Allerdings habe ich mich auch nicht auf so lang dauernde Stellen eingelassen.
Was mich ärgert, ist die Verknüpfung, die leo beschreibt: Wer ein Volo will, muss bei Ihnen ein langes Praktikum gemacht haben – und Ihnen dabei gefallen. Im Video drüben bei der Drehscheibe klang das noch so, als gäbe es da ein Entrinnen für Leute, die schon Erfahrung haben. Was stimmt denn nun? Spielt Vorerfahrung eine Rolle?
„Gute Volos“ bekommen doch Lokalredaktionen traditionell über junge freie Mitarbeiter – gibt es die bei Ihnen nicht?
Den Bewerbermangel mag es in ländlichen Gebieten geben. Ganz anders sieht die Situation in Großstädten aus, in denen es eine Universität oder eine Hochschule gibt, die einen kommunikations-oder medienwissenschaftlichen Studiengang anbietet. Da gibt es immer noch einen massiven Überhang an Bewerberinnen und Bewerbern auch wenn der Lokaljournalismus unter Studenten nicht besonders viele Sympathien genießt. Da sind die Verlage dann auch noch so frei „überhängigen“ Bewerbern einjährige schlecht bezahlte Redaktionsassistenzen anzubieten, in denen sich die Kandidaten erstmal für ein Volontariat empfehlen können. Dieses Berufsbild Redaktionsassistent hat es vorher so nicht gegeben und scheint dem nicht ganz unähnlich zu sein, was in Bad Tölz Praktikum genannt wird
Doch, es gibt junge freie Mitarbeiter und die haben natürlich Vorrang. Aber Bad Tölz ist eine Kleinstadt und der Drang nach München sehr groß.
Natürlich spielt auch die Erfahrung eine Rolle: Ein Jahrespraktikum machen nur Volo-Kandidaten, die als Einsteiger zu uns kommen. Das sind meistens junge Leute, die (noch) nicht studiert haben.
Das eigentliche Problem aber ist – wie überall – die Begrenztheit der Stellen: Alle zwei Jahre ein Volontär (es waren mal zwei), für viele, auch gute Kandidaten passt der zeitliche Rahmen nicht. Und sie in passende Stellen in Schwester-Redaktion zu „verschieben“, ist angesichts begrenzter Kapazitäten natürlich auch nicht immer möglich.
Hallo Herr Braun,
vielen Dank für ihre ausführlichen Antworten. Zwei Anmerkungen dazu will ich loswerden.
– „Lokalredaktionen-Bashing“, wie sie es nennen, liegt mir mehr als fern, schließlich bin ich inzwischen passionierter Lokaljournalist in einem kleinen Städtchen. Dennoch sollte man auch (oder gerade) als Akteur die Entwicklungen im Lokaljournalismus durchaus kritisch betrachten – so wie ich es in meinem Kommentar versucht habe.
– Zudem ist mir sehr wohl bewusst, dass Volontäre beim Merkur nach Tarif bezahlt und bei der Akademie für Publizistik weitergebildet werden – dies waren auch zwei Gründe, aus denen ich mich damals dort beworben hatte.
– Wenn Sie jedoch bemerken: „Aber: Wer kann sich als Praktikant schon selber finanzieren?“, so muss ich widersprechen, denn mit einem Praktikum im herkömmlichen Sinne, also dem Hineinschnuppern in ein Unternehmen, haben die 6- bis 12-Monats-Praktika beim Merkur nichts mehr zu tun. Das ist Vollzeit-Arbeit zu einem Lohn, der nicht zum Leben reicht. Natürlich will sich der Verlag ein Bild von dem potenziellen Volontär machen, doch dazu müssten doch auch vier oder sechs Wochen reichen, oder?
– Dies gilt insbesondere, wenn die Bewerber schon ein Studium inklusive Zeitungserfahrung hinter sich haben. Denn ihre Behauptung, „Ein Jahrespraktikum machen nur Volo-Kandidaten machen, die als Einsteiger zu uns kommen. Das sind meistens junge Leute, die (noch) nicht studiert haben.“ kann ich zumindest für zwei mir bekannte Fälle widerlegen. So hatte ich selbst mehrere Jahre als freier Mitarbeiter für den Merkur geschrieben und ein Studium in der Tasche. Dennoch wurde in der Antwort auf meine Volontariats-Bewerbung von der Chefredaktion ein Praktikum gefordert – „dies sei so üblich“, hieß es. Zudem ist mir ein weiterer Fall einer freien Merkur-Mitarbeiterin bekannt, die ebenfalls studiert hatte und von der ebenfalls ein Praktikum verlangt wurde. Die Ausnahme?
Ich bin gerade Volontärin beim Weser Kurier, wir haben einen „Volopapa“ und meist hab ich das Gefühl, dass wir sehr gut ausgebildet werden, in jeder Redaktion Ansprechpartner haben etc.
Allerdings finde ich beim Vergleich mit anderen Jobs einen Denkfehler: Viele, die heute Volo machen, sind schon fünf bis zehn Jahre im Beruf, haben Erfahrungen durch Praktika, Freie Mitarbeit, Pauschi-Jobs. Das sind andere Voraussetzungen als vor 20 Jahren, als tatsächlich noch ausgebildet werden musste.
Ich lerne auch oft neue Dinge, aber die grundlegenden Dingen habe ich in meinen neun Praktika gelernt…
Ich bin gerade Volontärin beim Weser Kurier, wir haben einen “Volopapa” und meist hab ich das Gefühl, dass wir sehr gut ausgebildet werden, in jeder Redaktion Ansprechpartner haben etc. Kein großer Text wird gedruckt, ehe ihn nicht der Ressortleiter (wenn er nicht da ist, ein anderes Redaktionsmitglied) gelesen hat. Außerdem sind Volos bei uns zum Schreiben da, Recherchieren, Reportagen machen etc. Also nicht die „Drecksarbeit“, sondern die schönen Geschichten. Der einzige Nachteil: Die Übernahmechancen sind schlecht.
Allerdings hätte ich mich niemals darauf eingelassen, ein Praktikum zu machen, das länger als zwei, drei Monate geht. Das ist ausnutzen auf höchstem Niveau, denn nach zwei Monaten weiß man, was ein Kandidat kann und was nicht. Die Detailsicht, wie Sie das so schön nennen, Herr Braun, kommt im Volo – nicht im Praktikum – oder was soll der Volo noch lernen, wenn die Details schon im Praktikum korrigiert wurden? Wie viele Praktikanten haben Sie denn, die sich um die jährlich eine Stelle streiten?
Ich finde, das System, das dahinter steckt, ganz grausam. Sie nehmen Leute, die offensichtlich bei anderen Stellen abgelehnt wurden, vielleicht schon jahrelang suchen (ein neuer Volo bei uns, der zum 1. September beginnt, hat zwei Jahre gesucht) – und die dann vor Verzweiflung auf Ihr dubioses Angebot eingehen, weil sie sich sagen: „Lieber ein Praktikum, als gar nichts“. Da läuft irgendwas verkehrt…
Zum Autor: Ich finde beim Vergleich mit anderen Jobs einen Denkfehler: Viele, die heute Volo machen, sind schon fünf bis zehn Jahre im Beruf, haben Erfahrungen durch verschiedene (!) Praktika, Freie Mitarbeit, Pauschi-Jobs. Das sind andere Voraussetzungen als vor 20 Jahren, als tatsächlich noch ausgebildet werden musste.
Ich lerne auch oft neue Dinge, aber die grundlegenden Dingen habe ich in meinen neun Praktika gelernt, die übrigens zwischen einer und neun Wochen lang waren… Das hat zum Glück bei mir immer gereicht, ehe die Medien wussten, was ich kann.
@ Bremerin: Schön, dass es Ihnen gefällt beim Weser Kurier. Das ist wirklich eine ausgezeichnete Zeitung.
Leider haben Sie mich nicht verstanden oder verstehen wollen. Wir stellen weder jene als Praktikanten ein, die halb verhungert, gedemütigt von vielen Absagen, denken: Jetzt probiere ich’s doch mal in Bad Tölz (warum diese Unterstellung). Noch ist die Dauer des Praktikums für eine Volontariatsübernehme entscheidend (auch wenn manche hier anderes behauptet haben): Es hängt schlicht davon ab, wann die Stelle frei wird.
Es streiten sich auch keine Praktikanten um irgendwelche Volontariatsstellen. Jeder weiß, woran er ist. Und auch wenn Sie’s als alter Hase nicht glauben mögen, manche arbeiten gerne ein Jahr als Praktikant in dieser Redaktion, zum Beispiel zwischen Abitur und Studium. „Ausnutzen auf höchstem Niveau“ sind starke Worte, mit denen Sie all diese Kollegen diskreditieren.
Und wenn ich ihre Darstellung so lese, dann sind sie ja mit neun Praktika (so jemanden hatte ich noch nicht) auch leidgeprüft. Schlimm genug, dass acht Redaktionen ihre Fähigkeiten offenbar nicht zu schätzen wussten.
@ leo: Das mag schon sein, dass in der Zentrale formalistisch gehandelt wird. Wie soll es auch anders sein? In den Lokalredaktionen ist man jedenfalls flexibel.
Mehr kann ich und will ich in dieser Blog-Diskussion nicht sagen. Aber ich lade jeden ein, der so gut über die Verhältnisse in meiner Redaktion Bescheid weiß – um die geht es nämlich in dem Video-Interview – nach Bad Tölz zu kommen und die Kollegen persönlich zu befragen, bezüglich Ausbeutung, Diskriminierung und Erfahrungen in anderen Zeitungshäusern.
Es gibt tatsächlich noch Redaktionen, die wissen, was Schnupperpraktika sind. Praktika, die dafür da sind, dass der Praktikant rausfindet, ob der Job (!) was für ihn ist. Praktika, in denen es nicht darum geht, dass der Praktikant die Zeitung macht. Und weil es glücklicherweise noch Medien gibt, bei denen das funktioniert, konnte ich auch einige ein- bis vierwöchige Praktika während meiner Schulzeit machen – denn ich habe mich wegen des Journalismus für das Abi (und Studium) entschieden und nicht umgekehrt. Übrigens habe ich für alle, für die ich frei arbeiten wollte, auch frei gearbeitet danach. Für einige mache ich das sogar jetzt noch. Volo kam ohne Studium nicht infrage, auch das Angebot hatte ich.
Die „längeren“ Praktika, was bei Ihnen ja Minipraktika sein müssten, von zwei Monaten habe ich des Studiums wegen gemacht und um Erfahrung in verschiedenen Medien zu sammeln: Radio, Fernsehen, PR, Online, Zeitung, Zeitschrift – ich wollte alles ausprobieren und hab das auch gemacht.
Kein einziges Praktika hab ich nach dem Studium gemacht – das würd ich auch nicht tun.
Ich glaube in der Tat, dass es einige gibt, die gern ein Jahr Prakti sind. Das resultiert aber daraus, dass im Journalismus Praktika das Nonplusultra sind (sein sollen) und viele gar nicht mehr nachdenken, worin der Sinn von Praktika besteht – nämlich nicht, ein Jahr unvergütet oder schlecht bezahlt zu arbeiten. Das bezieht sich nicht (nur) auf Bad Tölz, sondern auf die Branche. Daher ist schön, dass es auch noch Zeitungen gibt, bei denen man volontieren kann und sehr gut ausgebildet wird, ohne auch nur eine Woche ein Praktikum dort gemacht zu haben. Und wenn ich mich zwischen einer ausgezeichneten Regionalzeitung ohne monatelangem Praktikum vorher (bei der ich noch dazu im Volo 20 Monate in der Mantelredaktion bin) und einer Lokalzeitung entscheiden muss, bei der ich vorher so lange warten muss – tja, das fällt nicht schwer, oder? Die Nachfrage hat auch immer damit zu tun, was geboten wird. Und wenn ein Angebot nicht attraktiv ist, wills auch keiner haben.
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