Zu Beginn des 21. Jahrhunderts geht es dem Journalismus aufgrund der aktuellen kapitalistischen Wende sprichwörtlich an den Kragen: Er verliert das strukturelle und personelle Rückgrat, mit dessen Hilfe er zum unabhängigen Kontrolleur staatlicher Macht und zur gesellschaftlichen Kontrollinstanz der Moderne aufsteigen konnte. Das wachsende Ungleichgewicht von Markt und Macht, ausgelöst durch den Würgegriff der Ökonomisierung fast aller Medienbereiche, rüttelt heute an den Grundfesten des Journalismus – oder anders gesagt: Die Medien unterwerfen sich mehr denn je einer Marktlogik, als ihnen gut tut. Das journalistische System büßt durch den Verlust seiner ökonomischen Autonomie vor allem seine publizistische Unabhängigkeit ein.
Das Komische an den Journalismus-Debatten dieser Tage ist ja: Dass es so wie bisher nicht weitergehen wird, ist schon lange ausgemachte Sache. Nicht mal die größten Digital-Ignoranten würden bestreiten, dass es nicht um ein bisschen Internet und ebenfalls ein bisschen Social Media geht. Sondern dass der Journalismus in einem radikalen, strukturellen Umbruch steckt. Stephan Weichert benennt dies vor der Akademie für politische Bildung in Tutzing mehr als deutlich. Vermutlich wird er dafür nicht einmal sonderlich großen Widerspruch ernten.
Trotzdem staunt man dann immer wieder, wenn man sich aus den akdemischen Höhen in die Ebenen des Alltags begibt. Man staunt, wie wenig dieser radikale Wandel immer noch wahrgenommen wird, wie wenig Konsequenzen es dafür für die Zukunft gibt. Tatsächlich fühlten sich beispielweise die Impressionisten der „Süddeutschen Zeitung“ bemüht, ihrer neuen Chefredaktion als Wunsch für die Zukunft mitzugeben, Onlineredakteure nicht länger als Redakteure 2. Klasse zu behandeln. Verständlich ist dieser Wunsch allemal, umso merkwürdiger und irgendwie auch bezeichnend) ist es, dass ein Qualitätsblatt wie die SZ allen Ernstes überhaupt noch solche Forderungen stellen muss.
Leider ist die SZ dabei allerdings keine Ausnahme. Ich vermisse in vielen Redaktionen ganz Grundlegendes: nämlich ein echtes Verständnis für das, was da gerade passiert. Es ist immer noch häufig so, dass ein eigener Facebook-Account schon als der Gipfel der Innovation gefeiert wird. Von dem, was Weichert in Tutzung erzählt (und dabei auch Wolfgang Blau und dessen Idee von einem vernetzten, moderierenden Journalismus erwähnt hat), sind die meisten in der Praxis weit entfernt.
Das allerdings nicht mal so sehr, weil sie nicht in der Lage wären, diese neuen Idee zu begreifen. Sondern weil sie schlichtweg nicht mögen, weil ihnen der Gedanke, ihre Gatekeeper-Position aufzugeben, ein ziemlicher Graus ist. Weil sie immer noch darauf hoffen, dass sich das mit den mündigen Usern und den halbwegs gleichberechtigten Inhaltelieferanten irgendwann wieder legen wird und die Leute dann reumütig in den Schoß der Journalisten zurückkehren werden.
Könnte aber gut sein, dass sie vergeblich warten.
Der Journalismus sollte sich von der Contenthetze und den Dauerklickstrecken verabschieden. Nach dem Motto „conversation is King not (only) content“ könnten sich doch auch für Journalisten interessante Ansätze zur Interaktion ergeben, die den Journalismus in der öffentlichen Meinung intensiver verankern. Aber dazu muss auch wirklich ein Umdenken in Redaktionen beginnen. Selbst Qualitätsblätter wie SZ nerven mit Klickstrecken und die FAZ hat im Print sicher nicht so viele Rechtschreibfehler wie online. Ich weiß nicht, ob man auf die Wissenschaft zählen kann in Sachen Innovation. Da muss das Umdenken wohl eher aus der Praxis kommen. Ich bin gespannt…
Es gibt ja Hardy Prothmanns Blogs, Anfänge bei der Rheinzeitung, den Guardian, Wikileaks, zunehmend Versuche mit Datenvisualisierungen – laßt uns doch mal ein bißchen zuversichtlich sein.
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