Diese Geschichte um das Aus des FAZ-Blogs „Ctrl-Verlust“ war für mich eine der interessantesten Belege dafür, dass das mit der Meinungsführerschaft im Netz und in unserer so wunderbar pluralen digitalen Welt auch nicht sehr viel anders funktioniert als im echten Leben. Und dass es in der Bloggosphäre und im Web 2.0 auch nicht sehr viel anders zugeht als in einem CDU-Ortsverein am Niederrhein. Ein paar geben den Takt vor, die Herde blökt nach. Mario Sixtus verstieg sich sogar via Twitter zu der Auffassung, die FAZ betreibe „Bücherverbrennung“ — weil sie jemandem den Stecker zog, der fortgesetzt und trotz diverser Hinweise der FAZ immer wieder Bilder verwendete, für die er keine Rechte hatte. Trotzdem schrie man weiterhin „Skandal“ im Netz und ich bin mir ziemlich sicher, dass es den Skandal verstärkte, dass das Lieblingsfeindbild der Gemeinde, der Herr Alphonso, seinem Ex-Bloggerkollegen nicht beistand und die Abschaltung ausdrücklich verteidigte. Ursprünglich hatte ich ja mal gehofft, dass das Netz dafür sorgt, dass Meinunsgvielfalt und ernsthafte Debatten entstehen können. Wenn ich mir allerdings ansehe, wie vollkommen kritiklos auch in „unserer“ Szene vielen A-Bloggern/Twitterern/Facebookern nachgeplappert wird, fürchte ich fast, mich getäuscht zu haben. Sehr schön beschrieben ist die Geschichte u.a. in der „Jungle World“, Teile der Debatte gibt es auch hier nachzulesen.
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Es geht ja in diesen Zeiten alles sehr schnell: Alle (Medien-)Welt redet über Flipboard. Christian Stöcker zählt sich selbst (wie ich mich auch) zu den iPad-Skeptikern, beschreibt aber ziemlich gut, was das überhaupt so ist, das Flipboard. Ob ich es haben will, weiß ich danach aber immer noch nicht, leider.
Also, ich hatte vielmehr den Eindruck, dass die Debatte nach Bekanntwerden der Fakten sehr schnell sachlich wurde. Ich war an dem besagten Tag in St. Gallen unterwegs und wurde om Seemann-Umfeld (Ennomane etc.) dann mit den üblichen Unterstellungen, es hätte was mit mir zu tun, konfrontiert. Daraufhin habe ich den Beitrag geschrieben. Und er hat die Diskussion durchaus beeinflusst – nicht umsonst hat Seemann dann bei sich die Kommentaere geschlossen, als die Fragen an ihn kritisch wurden.
Unklug war nur die erste Welle, als Sixtus und andere die Welle machen wollten, um das Blog wieder in die FAZ zu erpressen.
Ich hatte auch den Eindruck, dass sowohl Herr Ctrl-Verlust als auch viele Kommentatoren recht sachlich mit der Angelegenheit umgingen. Natürlich gab es – vor allem von den selbst ernannten Alpha-Tierchen – das kleinkindhafte Fußaufstampfen, vermutlich um der Sache eine entsprechende Höhe zu verleihen. Die üblichen Verdächtigen schreien sehr lauten Unsinn, der andere zu Reaktionen provoziert.
Interessant an der Diskussion waren nicht die üblichen unangenehmen Bettgenossen [auf beiden Seiten], sondern wie sich verschiedene Szenarien über das Warum herausbildeten. Wir versuchten zu ergründen, was denn nun tatsächlich passiert ist, da die offizielle Begründung doch eher suboptimal blieb.
Und wir haben etwas gelernt:
– grenzenlose [Meinungs]Freiheit gibt es nicht
– vielen ist das Label wichtiger als der Inhalt [warum sonst über das Streichen eines Blogs bei der FAZ aufregen?]
– Don Alphonso kann auch anders
– nicht jedes Wasserglas enthält einen Sturm
Ich empfand die Diskussion auch als sehr sachlich. Mal abseits von den Rechteverletzungen, die Michael Seemann begangen hat, zeigte der Verlauf der Diskussion vor allem eines. Das zwei Menschen sehr unterschiedlich in der Öffentlichkeit kommunizieren. Der eine vorsichtig, weil gewohnt mit Hierarchien umzugehen, und der andere sofort unreflektiert öffentlich.
Für mich war es ein beeindruckendes Zeugnis einer missglückten Kommunikation. Ich vermute, dass bei FAZ.net anders reagiert worden wäre, wenn Michael Seemann nicht sofort öffentlich reagiert hätte. Und auch das finde ich beeindruckend, dass jemand, der gewohnt ist, öffentlich zu kommunizieren, nicht bemerkt, dass andere es so wahrnehmen, als hätte er damit eine Öffentlichkeit mobilisiert.
Ach, menno, immer dieser Kulturpessimismus. Das iPad ist euch suspekt, jetzt also auch Flipboard. Zeitungen sowieso! Herrje, hier geht es nicht um Revolution, nicht mal um die Zukunft des Journalismus. Es ist ein Spielzeug. Beides ist für sich: ein schönes Spielzeug. Und zusammen: fast wunderbar. Mehr nicht – aber auch nicht weniger. Warum darf man keinen Spaß mehr haben? Übrigens ist dieses Flipboard ziemlich feminin; das Urteil nach unserer ersten gemeinsamen Nacht: schön anzusehn, aber verdammt zickig!