Man ahnt das ja jetzt schon etwas länger: Das iPad und seine Epigonen retten die Zeitung. Der BDZV hat deshalb in seiner Jahrespressekonferenz darauf hingewiesen, wie wichtig die Tablets für die Zukunft seien. In der offiziellen Pressemitteilung des Verbands liest sich das dann so:
Die gesamte Branche bewege sich in einer wichtigen Experimentierphase. Es bestehe Konsens, dass die neuen Tablets große Chancen böten, das klassische Geschäftsmodell der Zeitung, nämlich Vertriebserlöse plus Werbeerlöse, in die digitale Welt zu übertragen.
Das klingt so wunderschön einfach: Endlich also gibt es ein Endgerät, bei dem die User bereit sind, zu bezahlen. Was sie ja vorher nicht waren. Damit ist die Zeitung gerettet, man darf sie sogar weiterhin Zeitung nennen, sie ist halt nur nicht mehr auf Papier gedruckt.
Man ahnt, dass das tatsächlich zu schön ist, um wahr zu sein. Und man ahnt, dass die Verlage speziell bei Tageszeitungen immer noch einige Denkfehler begehen. Sie gehen davon aus, dass man ungefähr alles, was zu dieser Misere geführt hat, dem Internet, der Kostenlos-Mentalität, dem rechtsfreien Raum als solchen und dem Geburtsfehler des Web, kein Geld zu verlangen, zuschreiben kann. Doch damit soll jetzt Schluss sein, weil…ja, warum eigentlich?
Man müsste die Logik hinter solchen Überlegungen eigentlich frappierend nennen, wenn es denn überhaupt eine Logik wäre. Und vielleicht ist es ja einfach so: Es gibt gar kein Geschäftsmodell in die digitale Welt hinüberzuretten, weil es nicht der Unterschied zwischen analog und digital ist, der den Tageszeitungen das Leben so schwer macht. Vielleicht ist es die Idee „Tageszeitung“, die an ihr Ende gekommen ist. Und wenn es so wäre: wäre es schlimm? Oder ist es nicht ganz einfach so, dass die Tageszeitung aus vielen ziemlich nostalgischen und in nur sehr wenigen Fällen wirklich nachvollziehbaren Gründen verklärt wird? Einiges spricht für diese These; ich bin beispielsweise mal ernsthaft vom Chefredakteur einer mittelgroßen Tageszeitung gefragt worden, ob nicht die Tageszeitung als einziges Medium glaubhaft und seriös Information und Meinung vermitteln könne. Mir fiel keine gescheite Antwort ein, weil ich mit Staunen beschäftigt war. Vermutlich meinte er es sehr ernst.
Das Problem der Tageszeitung ist nicht, dass sie auf Papier gedruckt ist. Ihr Problem ist, dass sie in vielen Fällen immer noch so strukturiert ist, wie es den Lesegewohnheiten und den Bedürfnissen der Menschen vor 50 Jahren entsprach. Die Tageszeitung will jeden glücklich machen. Sie will Politik, Unterhaltung, Sport, Kultur und meistens noch den örtlichen Kleintierzuchtverein unter einen Hut bringen. Als ich kurz nach dem 2. Weltkrieg volontiert habe, war das ein geflügelter Spruch, den niemand in Abrede stellte: Ihr müsst so schreiben, dass euch die Putzfrau versteht und der Professor immer noch ansprechend findet. Das ist aus heutiger Sicht, in der der Professor irgendwo in einer Akademiker-Community und die Putzfrau auf Facebook ist, ein lächerlicher Anachronismus. Nur die Tageszeitung — und wirklich nur sie — versucht, sie alle in einem abenteuerlichen und letztendlich meistens unbefriedigenden Mix unter einen Hut zu bekommen. Meistens dazu beschränkt auf eine in Zeiten der knappen Budgets häufig sinkenden Seitenzahl.
Und dieses Modell will man jetzt kostenpflichtig aufs iPad retten?
Erst einmal also müsste man die Zeitung verändern. Man müsste sich von dieser Idee verabschieden, dass jeder alles aus einer Quelle wissen will. Man müsste akzeptieren, dass es inzwischen ausreichend Quellen gibt, die in den einzelnen Ressorts wesentlich besser, fundierter, schneller sind als jede Tageszeitungsredaktion. Und dass sie ihre Kompetenz, ihren Anspruch, für die Mediennutzer die erste Wahl für Information und Wissen zu sein, schon lange nicht mehr halten kann. Wer käme schon ernsthaft auf die Idee, bei einem Online-Thema auf der Computerseite einer lokalen Tageszeitung nachzuschauen?
Daneben gibt es anderes, was die Verlage gerne bei ihrem Tablet-Enthusiamsus vergessen: Mitnehmen kann man nur, was man schon gehabt hat. Speziell bei dem Publikum, dass sich mit iPads eindeckt, handelt es sich vermutlich nur wenig um ein solches, das vorher hohe Affinität zur Zeitung gehabt hat. Der Generationenabriss bei Zeitungen ist keine Drohkulisse mehr, sondern schon lange Realität. Tatsächlich müssten sich Zeitungen um dieses neue, digitale Publikum bemühen, anstatt einfach einen (ohnehin eher eingebildeten) Bestand mitnehmen zu wollen.
Es wird nach wie vor der Inhalt sein, der sich verkauft. Der Hang zur Selbstverklärung, den man leider vielen Zeitungsmachern attestieren muss, wird dabei eher hinderlich sein. Die mangelnde Ursachenforschung allerdings auch. Ich bezweifle massiv, dass es im Netz eine ausgeprägtere Kostenlos-Mentalität als im analogen Leben auch gibt. Viel mehr gilt auch hier: Angebot und Nachfrage. Würde, sagen wir, die FAZ weiterhin Geld kosten und die SZ plötzlich kostenlos erscheinen, man kann sich leicht ausmalen, wie die Geschichte weiterginge. Es hat sich schlichtweg der Markt für das journalistische Produkt Tageszeitung verändert — man darf ruhig auch sagen: verschlechtert. Das müsste man erkennen, als in Bausch und Bogen auf Google, den öffentlichrechtlichen Rundfunk und den User als solchen einzuschlagen und dessen umgehende Reglementierung zu verlangen.
Nur weil es dieses Produkt Tageszeitung jetzt auch auf dem iPad gibt, wird der Markt nicht anders, im Gegenteil: Die kostenlose Konkurrenz in Form hochwertiger Webangebote ist noch näher rangerückt.
Schöner Artikel und in meinen Augen zudem noch sehr richtig.
Seltsamerweise begehen wir, die wir die BWLer der Verlage kritisieren, genau den gleichen Fehler, nur mit umgekehrten Vorzeichen:
ist das Geschäftsmodell der Vorstandsetagen, nicht Inhalt, Journalismus, Recherche, fundierte Meinung. Natürlich ist ein Modell, das darauf fußt, sehr teure Produktions- und Vertriebsmethoden zu haben – nahezu monopolistisch noch dazu – mit dem Internet nicht aufrechtzuerhalten. Keine Materialverschwendung für den Druck, keine abgeholzten Wälder, kein Spritverbrauch für Transporter – und vor allem kein umfangreicher Drückerapparat.
Der Inhalt eines Magazins oder einer Tageszeitung ist den BWLern doch herzlich schnuppe, völlig egal, was in den Blättchen steht, Hauptsache die Leute kaufen es. Mit diesen Käufern – vulgo: Auflagenzahl – werden dann andere BWLer davon überzeugt, dass der rare Raum für Anzeigen bares Geld wert ist. Sehr teures Geld, da halt nur ein begrenzter Platz zur Verfügung steht, um den sich diverse Firmen kabbeln. Oder auch nicht, denn im Internet gibt es keine Platzprobleme, nur noch die Aufgabe, eine qualifizierte Zielgruppe zu erreichen. Das ist selbstverständlich sehr viel billiger, da kein Papier, kein Sprit …
Ja, das Geschäftsmodell der Verleger ist tot. Es riecht nicht nur schon, es ist tot.
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[..] aus heutiger Sicht, in der der Professor irgendwo in einer Akademiker-Community und die Putzfrau auf Facebook ist, ein lächerlicher Anachronismus.
Sie haben mit vielem Recht, aber hier muss ich deutlich widersprechen. Das Journal, das sich an jeden Bürger richtet, ist eben kein Anachronismus, sondern im Gegenteil eine Konstante. Es ist der Tageszeitung ureigener aufklärerischer Auftrag, die Ereignisse, ihre Einordnung und Bewertung sachlich vollständig und korrekt, aber dennoch allgemeinverständlich aufzulegen.
Und das hinzubekommen ist nicht lächerlich, sondern eine wertvolle Befähigung, derer es vielen (und das in allen Branchen) mangelt.