Lieber Sascha Lobo, lieber Christian Lindner,
erstmal muss ich Dir und Ihnen gratulieren zu einem wirklich gelungenen Marketing-Coup; man weiß ja zumindest vom Kollegen Lobo, dass er von (Eigen-)Marketing ganz enorm viel versteht. Die Idee also, die „Rhein-Zeitung“ für einen Tag von Sascha Lobo als Chefredakteur machen zu lassen, ist zumindest sehr öffentlichkeitswirksam und letztendlich natürlich auch ein interessantes Experiment — kann es der, der den Dinosauriern immer sagt, was sie alles falsch machen, wirklich besser?
Bevor wir also lange über die Marketing-Aspekte dieser Aktion debattieren (die mir ehrlich gesagt eher gleichgültig sind), ergänzen wir diese fröhliche Runde Lobo-Lindner noch um eine dritte Sache. Eine (öffentliche) Blattkritik dieser Ausgabe, für die sich ungefragt und unentgeltlich Christian Jakubetz zur Verfügung stellt.
Beginnen wir mit dem, mit dem Blatkritiken immer beginnen: mit der ersten Seite. Gelesen und gehört habe ich, dass Sascha Lobos chefredaktionelle Maxime gewesen sein soll, die Redaktion dürfe einen Tag mal schreiben, auf was sie Lust habe. Gewünscht hätte ich mir bei der Aufmachergeschichte, dass amtierender und Eintageschefredakteur vielleicht doch noch mal präzisere Angaben machen von dem, was sie eigentlich wollen. „Schreib mal, worauf du so Lust hast“, lieber Sascha, das funktioniert bei uns Bloggern vielleicht und leidlich; eine Zeitung, noch dazu eine Regionalzeitung für die Region Koblenz, tickt so nicht. Der Leser übrigens auch nicht. Insofern war ich ziemlich über euer Aufmacherstück erstaunt, das sich zwar hübsch liest und in dem auch bestimmt kluge Gedanken stehen.
Um ehrlich zu ein: Dieses Stück und diese Themenauswahl entsprechen ziemlich genau dem, was ich bei vielen Regionalblättern als furchtbar störend empfinde. Diesen Drang nach Wichtigkeit und Bedeutsamkeit, dieser unbedingte Wille, mehr sein zu wollen als „nur“ Lokaljournalist. Nicht falsch verstehen, ich halte Lokaljournalismus für wichtig und für ehrenwert. Aber warum, zur Hölle, müsst ihr dann auf der ersten Seite einer Zeitung für Koblenz ein Essay über das Leid der Vergessenen schreiben? Um zu zeigen, dass ihr es könnt? Ein wenig kleiner hattet ihr es nicht gerade? Ihr könnt es, ich glaube es euch ja. Und jetzt hätte ich wieder gerne Themen meiner Zeitung, meiner Region. Ein wenig habe ich übrigens auch den Verdacht, dass bei der Auswahl dieser Aufmachergeschichte auch ein wenig das urbane Boheme-Dingsdibumms von Sascha Lobo durchgekommen ist. Man liest sowas sicher gerne in Kreuzberg auf dem Mac-Book. In Koblenz würde ich sagen: zielsicher am Leser vorbeigeschrieben, liebe Freunde.
Das alles gilt eingeschränkt auch für den Zumacher auf der Seite. Ein Spitzenökonom des DIW fordert einen Mehrwertsteuersatz von 25 Prozent und weiß genau: Das ist politisch nicht durchsetzbar. Und der Steuerzahlerbund (gut gemeint, dass es der in RLP ist, aber das scheint dann doch ein Alibi zu sein, um die Geschichte machen zu könen) sagt: Das ist politisch nicht durchsetzbar. Darauf kommt ihr dann auch in der Überschrift, die da lautet:
Auch das ist so eine Art Journalismus in Regionalzeitungen, die mir nicht einleuchten mag. Sie ist gleichzeitig archetypisch für das, was in Deutschlands Mittelstandszeitungen passiert. Man muss immer groß und bedeutsam sein. Deswegen also das Steuerthema, das man en passant versucht, „aufs Lokale runterzubrechen“ (Steuerzahlerbund RLP!). Schon mal über die Relevanz dieser Geschichte nachgedacht? Ich habe in der gesamten Nachrichtenagenda des gestrigen Tages niemanden gefunden, der eine Einzelforderung, von der wir wissen, dass sie nicht durchsetzbar ist, so hoch gewichtet hat wie ihr. Böse gesagt: eine Nullmeldung für die Nachrichtenspalte auf Seite 7, unnötig zu einer nicht vorhandenen Bedeutungsschwere aufgeplustert hat. Das wäre in etwa so, als würdet ihr melden, dass Jogi Löw die Forderung einzelner Bayern-Fans zurückgewiesen hat, Franz Beckenbauer als Spieler zu reaktivieren. Und dann fragt ihr noch den Trainer der TuS Koblenz, was der dazu sagt (vermutlich wird auch er das als nicht so gut machbar zurückweisen).
Und dann dachte ich mir (wenn wir schon bei Beckenbauer sind): Schaun mer mal, wo es denn ist, das Lokale auf Seite 1. Lange gesucht, dann gefunden. Hier:
Links unten also quetscht ihr einen Elfzeiler mit einem lokalen Thema rein. Stellt sich mir die Frage: Wie ernst meint ihr es eigentlich mit dem angekündigten Wandel zu einem regionalen und relevanten Medium? Und, lieber Sascha Lobo: Wie intensiv hast du dich eigentlich wirklich mit dem Medium lokale Tageszeitung auseinandergesetzt? Wenn das jedenfalls deine Bewerbungsarbeit für einen Job als Chefredakteur einer solchen Zeitung wäre, würde ich nach dieser Titelseite sagen: Versuchen Sie es doch mal bei der taz, junger Mann. Sie sind bestimmt klug und talentiert, aber für diesen Job vielleicht eher ungeeignet.
Die Tendenz setzt sich dann auf Seite 2 fort. Natürlich liegt es nahe, dass der Chefredakteur für einen Tag auch den Leitartikel schreibt. Und dass der irgendwie was mit der Internet zu tun hat, geschenkt. Aber auch hier wieder der Praxistest: Eine Regionalzeitung für Koblenz schreibt über die Wirkung des Internets? Warum? Wer soll das lesen, wen soll das interessieren?
Und: Wie groß, glaubst Du, lieber Sascha, ist die Bereitschaft des durchschnittlichen RZ-Lesers, sich nach einem ewig langen Essay auf Seite 1 noch ein ewig langes Essay auf Seite 2 anzutun, wenn beide Essays für ihn tendenziell eher abstrakt und nichtssagend sind? Da scheint es mir doch einen erheblichen Realitätsverlust zu geben. Um es deutlich zu sagen: Die Bedeutung von Sascha Lobo in der realen Koblenzer Welt ist deutlich unterhalb von der bei Twitter anzusiedeln, das Interesse für deine Ausführungen und das Thema Internet sind dort wahrscheinlich ebenfalls nicht mal im Ansatz so ausgeprägt wie in irgendwelchen sozialen Netzwerken. Welchen Stellenwert hat das Netz eigentlich in der Region Koblenz? Wie ist die Durchdringung mit Breitbandanschlüssen, wie nutzen Firmen und Privatmenschen das Netz dort? Das hätte mich interessiert als Koblenzer. Und aus all diesen Gründen decken wir über den Rest der Seite 2 ebenfalls den Mantel des Schweigens.
Seite 3, die ist prima, wirklich. Wie fühlt sich das Lebens um 12 Uhr mittags in der Region an, schönes Thema, schön umgesetzt, spannend, relevant regional. Ebenso die Geschichte der „Wein-Favoriten“ regionaler Blogger. Ganz wunderbar, alles richtig gemacht — und nach Lektüre dieser Seite drängt sich mir der Gedanke auf: Warum nicht gleich so? Warum diese mutlosen und fuchtbar konventionellen ersten beiden Seiten? Ich glaube, man müsste den Mut haben, die eigene Region und die Themen aus ihr noch viel prominenter auf der ersten Seite zu platzieren. Hört doch auf, mich mit irgendwelchen absurden Forderungen zu so wunderbar lebensnahen Themen wie Steuerpolitik zu langweilen.
Seite 4: Hübsch. Aber abstrakt. Gelegentlich dachte ich, ich sei in der „Zeit“ gelandet.
Seite 5: Nicht hübsch. Quälender Nachrichtenjournalismus aus den 80er Jahren. Ich musste an Karl-Heinz Köpke und die „Tagesschau“ denken. Und der Diskurs über Internet und Zeitung, lieber Sascha, lieber Herr Lindner — lasst es gut sein. Nach dem dritten Lobo-Foto und der gefühlt 58. Erwähnung seines Namens bekam ich langsam leichte Agressionen. Und da heißt es immer, wir Blogger seien selbstrefrentiell.
Seite 6: Die vergessenen Kriege. Siehe Seite 1. Schönes Layout und bestimmt eine Arbeit, die man beim nächsten Journalistenpreis einreichen kann. Habe Zweifel an hoher Lesequote. Und das blau auf der Seite gefällt mir nicht, aber das ist jetzt geschmäcklerisch.
Den größten Teil des Mantels habe ich damit jetzt eigentlich abgedeckt, das ist alles schön und recht, aber den Ansatz für die Regionalzeitung der Zukunft habe ich da immer noch nicht entdeckt. Außer, dass es viel um Internet geht und Sascha Lobo wieder mit Foto auftaucht, diesmal mit iPad und Wandertipps aus dem Netz. Er sieht gestresst aus auf dem Foto. Muss ein harter Tag gewesen sein. Und selbst die letzte 85jährige Oma aus der Leserschaft weiß jetzt, wer der Herr mit der eigenwilligen Frisur ist.
Der Sport macht dann auf mit einer Geschichte, dass im Internet Live-Sportübertragungen zu sehen sind. Zumindest als Sport-Ressortleiter würde ich Sascha Lobos Zukunft nicht sehen. Und als ich auf der nächsten Seite auch noch sah, dass man die Geschichte über Ballacks Knöchel pflichtschuldig mit einem Kasten versah, dass „im Internet“ (!!) Hetzjagd auf Boateng gemacht werde, musste ich beinahe schon lachen über so viel Bemühtheit. Hetzjagd auf Boatng macht auch die „Bild“, die Boateng nur noch den „Kaputt-Treter“ nennt. Aber was mir in dem Zusammenhang auffiel: Warum eigentlich keine Interaktion mit den Leuten, keine Debatte auf der eigenen Seite dazu? Das fand ich bei zwei Online-Epigonen wie Lobo und Lindner eh auffällig: Ihre Meinung zieht sich konsequent durchs Blatt (was ok ist), umgekehrt habe ich nicht den Eindruck gehabt, als sei den beiden ernsthaft an Kommunikation und Interaktion mit der geneigten Leserschaft gelegen.
Das Lokale muss ich (leider) weitgehend auslassen. Dazu fehlt es mir an örtlicher Kompetenz. Was ich gesehen habe, hat mir ziemlich gut gefallen, schöne Themen, schöne Optik. Nutzertig, lesenswert, anschauenswert. Ich kann mir vorstellen, dass das ein guter Lokalteil ist — aber, wie gesagt: Da würde ich gerne den Joker ziehen, weil ich von Koblenz ungefähr nichts weiß. Umso mehr drängt sich mir die Frage auf: Warum wird der eigentlich so weit hinten versteckt? Und warum landen solche Themen generell nicht prominenter? Herr Lobo??
Kultur und Panorama machen mit Online-Themen auf. Quelle surprise.
Zusammengefasst also: Erst fand ich den Gedanken, Sascha Lobo das Blatt für einen Tag zu überlassen, ganz interessant. Nach dieser Ausgabe bin ich mir nicht sicher, wer ihn gebremst hat. Er sich selber, die Redaktion, oder etwa doch der „richtige“ Chefredakteur? Die Anzeigenabteilung, die Verleger? Natürlich hat es mich gestört, dass das Resultat so fuchtbar erwartbar war. Aber richtig enttäuscht hat mich, dass es nicht gelungen ist, eine Art Überlebensweg für regionale Blätter aufzuzeigen. Nur weil man im Mantel jetzt mehr Online-Themen fährt, ist das noch kein Beleg für mehr Relevanz. Und speziell von Lobo-Lindner hatte ich mir noch mehr Mut, mehr radikales Umdenken gewünscht. Nein, nicht in Form langer Essays, sondern in Form von mehr Leserhähe und lokalen Themen. Böse gesagt: Diese Lobo-Ausgabe ist nicht sehr viel mehr als die Regionalzeitung der 90er, ein wenig hübscher und frischer angestrichen. Ihr müsst neu denken, wenn ihr überleben wollt.
PS: Das Los des Kritikers ist es ja leider, meistens eher unfreundlich rüberzukommen. Und es ist alles eine Frage der Relation. Die RZ ist sicher viel weiter als viele andere. Ich bezweifle dennoch, dass das schon alles gewesen sein kann.
PPS: Das ganze Blatt zum Nachlesen gibt´s auch als PDF (lobenswert!)
Lieber Christian, danke für diese Blattkritik.
Kleine Korrektur: Wir haben 16 Lokalredaktion, machen folglich eine Regionalzeitung weit über den Raum Koblenz hinaus – wir decken das gesamte nördliche Rheinland-Pfalz ab.
Ich stimme Dir zu: Wir sollten mehr eigene Geschichte aus dem Land, die ganz nah an den Menschen sind, auch auf der Seite 1 verkaufen. Die Seite 3 hat mir aus diesem Grund heute besonders gut gefallen. Auch die Lokalteile haben diese kleinen, besonderen Geschichten entdeckt und super mit Fotos unterlegt. Vielleicht war die Aktion für viele Reporter Anlass, den Menschen mal wieder zu begegnen, sich von ihrem bauchgefühl treiben zu lassen und Geschichten zu entdecken, die nicht auf den ersten Blick mit dme Zaunphal winken.
Auch wenn ich Dir in vielen Punkten zustimme, muss ich Dir in einer Sache widersprechen: Ich finde, dass die Mischung in einer Regionalzeitung stimmen sollte. Das bedeutet für mich, dass wir unseren Lesern auch tolle Hintergrundstücke wie das auf der Seite 1 bieten. Ich will nicht nur Lokales, ich will auch ein bisschen die Welt in meiner Tageszeitung finden. Und wenn die Zeitung dann so vergessene Themen wie die vergessenen Kriege der Welt aufgreift, ist das doch toll.
Sicherlich wollen die meisten Mantelredakteure lieber über die Bundes- oder Weltthemen berichten. Das sei ihnen gegönnt. Du hast aber recht, dass der Mantel einer Regionalzeitung viel mehr regional sein sollte, als er es heute ist. Wir bewegen uns da aber in eine gute Richtung. (Die heutige Ausgabe steht dafür nicht beispielhaft, weil die Redakteure darüber schreiben sollten, was sie gerade persönlich interessiert. Lobos Ansatz: Was euch interessiert, könnt ihr so gut schreiben, dass es auch die Leser interessiert. — Bei mir kam dieses Experiment für einen Tag super an.)
Eins noch: Du hast nicht wirklich erwartet, dass Lobo-Lindner an einem einzigen Tag DIE Zeitung der Zukunft hinbekommen? Wenn Du das tatsächlich geglaubt hast, dann ist es wirklich verdammt lange her, dass Du das Blattmachen einer aktuellen Zeitung mitgemacht hast 🙂
@Katrin: Nein, die Zeitung der Zukunft an einem Tag hatte ich natürlich nicht erwartet. Auch nicht auf zwei Tage, eine Woche, einen Monat. Aber wenn man sich schon die Freiheit nimmt, einen Tag mal zu experimentieren, hätte ich mir mehr Experiment erhofft.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass mehr Lokales/Regionales die einzige Zukunft für alle Lokal-/Regionalzeitungen sein kann. Aber ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum sie erwartet haben, dass Sascha Lobo ihre berechtigten Forderungen an seinem Experimenttag umsetzen würde. Hat Herr Lobo sich einen Namen als Erneuerer überholungsbedürftiger Lokalzeitungen gemacht? Ich würde sagen nein. Deshalb finde ich es nur logisch, dass er sein Feld, das Internet beackert. Ob so eine Aktion für eine Lokalzeitung, außer unter Marketing- und Heute-machen-wir-mal-was-anderes-Gesichtspunkten, sinnvoll ist, das ist natürlich eine andere Frage!
Ein Punkt, bei dem ich nicht mit ihnen übereinstimme, ist das Lob für die „Unsere Region um 12“-Aktion. 1. Abgedroschen (macht sogar die PNP in ihrer Pockinger Lokalausgabe), 2. Langweilig. Ich hab’s nur überflogen, aber was machen die Leute unerwarteterweiese Spannendes um 12? Mittagessen, Brotzeit, Kaffetrinken. I could’t care less!!!!! Und nicht nur, weil ich nicht aus Koblenz oder Umgebung stamme.
Vielleicht ist es vermessen, aber ich will nicht nur Lokales, sondern auch Relevantes, in Kombination bitteschön. Und auch mal eine nette Lesegeschichte, aber nichts so etwas an den Haaren herbei Gezogenes wie diese 12-Uhr-Geschichte, die fast zwangsläufig in Knoppers-Frühstücksbildern enden muss.
@Katrin Steinert
Ich würde Ihnen zustimmen, dass die Mischung der Themen einer Regionalzeitung sinnvoll ist, weshalb die Hintergrund-Geschichte auf jeden Fall berechtigt ist. Aber – und da bin ich dann eher bei Christian – eben nicht auf Seite 1. Es heißt doch auch schon HINTERGRUND-Geschichte, auch wenn der Grund dafür ein anderer ist, würde ich das im Falle einer Regionalzeitung mal wörtlich nehmen.
Ganz unreife Idee: wieso nicht den Regional-/ Lokal-Teil als Mantel und den eigentlichen Mantel (also den mit den Hintergrundgeschichten und bundespolitisch-lokal runtergebrochenen Themen) als Innenleben?
An Grünschnabel: Das geht bei der Rheinzeitung nicht weil die ihre Lokalredakteure nach und nach auf einen Schrumpfbestand entlassen hat und die Freien wohl von Geschichten bei denen Recherche notwendig werden könnte nicht leben können.
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@ein Journalist: das ist etwas, dass auf einem anderen Blatt steht, das man auch (mal wieder oder nicht oft genug) kritisieren sollte, was Christian in seinem Blog ja auch schon oft angemerkt hat. Man kann bessere Qualität nur schwer mit weniger Geld erreichen. Ich kenne (wie Sie auch?) das Problem persönlich und würde die These wagen, dass das nicht nur die RZ nicht könnte. Ich bin zwar selbst Freie und das leidenschaftlich gern, nur mache ich Even meinen Job nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern mehr aus Idealismus. Solange ich mir das leisten kann wird sich daran nichts ändern. Außer der Idealistin bin ich auch noch Optimistin und denke mir, dass man (RZ und alle anderen) trotzdem das Beste daraus machen sollte und es sich doch einfach macht, wenn man sagt ‚dazu fehlt aber das Geld‘. So tritt man langfristig auf der Stelle und das Experiment der RZ war dann nicht nur – um es mit Christians Worten zu sagen – zu ‚erwartbar‘, sondern auch zu einmalig und vielleicht – mit Hinblick auf das Resultat – zu ungenutzt.
Idealismus alleine macht aber nicht satt.
Lieber Kollege Jakubetz,
Danke für die kritische Begleitung unseres Wandels – und für die ausführliche Besprechung unserer Lobo-Ausgabe. Das ist doch schon mal was: Eine Regionalzeitung, die seit 1946 fast in der Region Mittelrhein bekannt ist, kann überregional rezipiert und bewertet werden. Das Web2.0 ist schon ein herrlicher Radius-Erweiterer…
Zu Ihrer Kritik an unserem Aufmacher auf der Titelseite zu den „Vergessenen Kriegen“: Die Rhein-Zeitung kann nur ganz selten wirklich überzeugend mit lokalen Themen auf der 1 aufmachen. Das spiegelt keine falsche Denke unserer Redakteure wider, sondern die Realitäten unseres Verbreitungsgebietes.
Ein paar skizzierende Fakten dazu:
– Das RZ-Land ist knapp vier Mal so groß wie das gesamte Bundesland Saarland.
– Wer das RZ-Verbreitungsgebiet von Nord nach Süd ganz durchfahren würde (was kaum jemand tut!), bräuchte mit dem Auto rund drei Stunden.
– Die RZ deckt unter anderem vier Mitttelgebirge (Westerwald, Eifel, Taunus, Hunsrück) ab, die durch mehrere große Täler (Mosel, Rhein, Nahe, Lahn, Sieg, Ahr) getrennt werden. Folge: Kaum ein Gebiet einer Lokalausgabe hat innerlich schon mit der benachbarten wirklich etwas zu tun, viele Lokalausgaben haben fast nichts miteinander gemein – außer: gehört alles zu Rheinland-Pfalz und überall erscheint die RZ.
– Das RZ-Land gehört zwar komplett zu Rheinland-Pfalz, ist aber historisch inhomogen. Ein (nicht zu unterschätzendes!) Indiz: Das RZ-Land zählt zu vier (!) Bistümern. Welche Regionalzeitung bietet mehr? Ich kenne zumindest keine.
– Es gibt Lokalausgaben, die sind flächenmäßig so groß wie ganz Berlin. Fahrzeit von Nord bis Süd: Eine Stunde. Folge: Schon in vielen Lokalausgaben interessiert die Leser im Norden kaum bis gar nicht, was die Menschen im Süden der selben Ausgabe brennend bewegt.
– Koblenz ist zwar die logistische Mitte des RZ-Landes und der Sitz unseres Verlages, hat aber keine etwa mit Bonn, Trier oder gar Köln verbreitete Strahlkraft. Folge: Selbst Koblenz generiert kaum Themen, die über die eigene Ausgabe hinaus Wirkmacht entfalten.
Daraus resultiert:
– Es gibt kaum regionale Themen, die für das gesamte RZ-Land relevant oder interessant sind und somit als Aufmacher auf der Titelseite taugen.
– Unsere Titelseiten jeden Tag über lokale Fenster (die bei uns sehr groß sein können) hinaus konsequent zu regionalisieren (etwa nach dem spannenden HNA-Modell), würde etliche unserer Ausgaben fast jeden Tag in eine Schieflage bringen: Themen, die überall „ticken“, würden hinten laufen – und Themen, die oft nur einen Teil der Lokalausgabe wirklich etwas angehen, wären der Aufmacher auf der 1?
– Wir müssen deshalb ein anderes Konzept für unsere 1 fahren, als es etwa der Trierische Volksfreund oder der Bonner Generalanzeiger mit ihrem kleineren Radius und ihrem stärkeren Zentrum sehr charmant und überzeugend leben können. Dort funktionieren regionale Aufmacher einfach besser – weil sie zum Gebiet passen.
– Wir brauchen Aufmacher auf der Titelseite, die überall funktionieren – sind aber jeden Tag offen dafür, dass Lokalausgaben diesen Aufmacher gegen einen eigenen tauschen. Sie werden aber selbst wissen, dass solche edlen, starken Tausch-Stoffe, die Überregionales schlagen, in Berlin und München, in Osnabrück oder Würzburg häufiger und leichter zu generieren sind als etwa in Betzdorf, Cochem oder Kirn.
Deshalb machen wir mit Themen wie den „Vergessenen Kriegen“ auf – nicht nur, wenn Lobo da ist. Mit Selbstüberschätzung und „mal ein bisschen auf ,Zeit‘ machen“, hat das gar nichts zu tun.
Eins noch: Den Kern Ihrer Kritik an unserer Titelseite haben wir gleichwohl gerne in unserem Online-Auftritt dokumentiert – und heute auch auf unserer dritten Seite in Print gedruckt. Im ganzen RZ-Land lesbar.
Mit besten Grüßen aus Koblenz,
Christian Lindner, @rzchefredakteur
Selbstmitleid und Resignation im Zweifel auch nicht 😉
Lieber Herr Lindner,
diese Ausgabe wäre doch eine tolle Gelegenheit gewesen, den (jüngeren) Lesern mal wieder die lange Geschichte der Online-Affinität der Rhein-Zeitung nahezubringen (oder habe ich was übersehen?).
Immerhin hatte ihr Verlag meiner Erinnerung nach eines der ersten und beliebtesten Nachrichtenangebote beim Bildschirmtext-Versuch in den 1980ern (ich war damals Redakteur bei TeleSüd, einem „Konkurrenz“-Angebot, das immer mal wieder zum Ansporn nach Koblenz geschielt hat) und vor 15 Jahren einer der ersten deutschen Internet-Nachrichtenseiten.
Da waren Sie zweimal in der Online-Geschichte zeitweise sogar auf Bekanntheits-Augenhöhe mit Bild-Online. Weiß das noch jemand Ihrer jüngeren Redakteure? Spannende Geschichten gäbe es da sicher zu erzählen.
Ganz ehrlich? Mir ist die Netzdichte in Buxtehude schnurzpiepegal. Nur weil dir das wichtig ist, heißt da noch lange nicht, dass das generell der Fall ist.
Kann die Kritik in einigen Punkten nachvollziehen, muss aber trotzdem eine Frage stellen: Sind Leute die eine Regionalzeitung lesen wirklich NUR an Lokalem interessiert? Irgendwie kommen die Leser der RZ hier nicht gut weg – ich hatte beim Lesen ihrer Kritik das Gefühl, sie halten RZ-Leser (oder generell Leser von Regionalzeitungen) für Zeitgenossen mit sehr begrenztem geistigen Horizont. (Was sicher nicht der Fall ist)
Ich erwarte doch nicht nur lokale Nachrichten, sondern möchte auch etwas über das Weltgeschehen erfahren. Sonst müsste ich ja zusätzlich noch ein überregionales Blatt abonnieren. Wenn ich im RZ-Bereich wohnen würde, würde ich erwarten, dass sie mir alle relevanten Nachrichten hübsch aufbereitet anbietet und Kontroverses gern auch mal mit einem Kommentar versieht. Dazwischen ab und zu ein Essay über ein Thema zu lesen, dass vielleicht gerade nicht Mainstream ist, fände ich erfrischend. Dazu noch Informationen über „größere“ regionale Themen, wie beispielsweise Streit in der Regierung von RLP oder vergleichbares.
Und welche Schule einen neuen Anstrich bekommt, das soll mir doch bitte der Lokalteil meiner Stadt/meines Kreises/… sagen.
Ich hätte von so einer Zeitung in dem Fall auch mehr Regionalnähe gewünscht. (Das relativiert sich ein wenig durch die Einwände von Christian Lindner). In allgemeiner Form schrieb ich vor Wochen schon etwas ähnliches zu dem Thema wie cjakubetz in diesem Post speziell zur RZ: http://www.bennesblog.de/?p=128
@ Christian Lindner
tja, stimmt so ziemlich alles was Sie geschrieben haben, nur dass zur Zeit (12:15 Uhr) mal wieder die Online Ausgabe der RZ nicht abrufbar ist.
Leider – oder aus bestimmtem Grunde – nur die gestrige „Sascha Lobo“ Ausgabe.
System?
Systemfehler?
gewollt?
An Rockaxe: Sie müssen schon eine Rheinzeitung im Abo haben um sie auch online lesen zu dürfen. Gestern war wohl eine Ausnahme.
Ich bin wahrlich kein Kenner der Materie, verspüre aber dennoch den Drang, meinen Senf dazuzugeben:
Bezahlmodell:
So wie ich das sehe, liest ein Leser einer regionalen Tageszeitung diese für gewöhnlich nur am Erscheinungstag. Der Genuss eines solchen Blattes entfaltet sich doch am besten in einer Symbiose mit der morgentlichen Tasse Kaffee. Ein Feeling, das einem Internetangebote nur bedingt geben kann. Hier also überhaupt der Hauptknackpunkt, den ich jetzt so auf Anhieb sehe, wegen dem jemand eine Regionalzeitung abonnieren sollte.
Wieso geben Sie nicht einfach alle Ausgaben in dem Moment im Internet als PDF kostenlos frei, in dem die nächste Ausgabe erscheint?
Finanzierung:
Ein solches Online-Archiv in Verbindung mit adäquaten Suchfunktionen wäre nach einer gewissen Zeit ein nützlicher Fundus über die Geschichte der Entwicklung der Region.
Das kann man sicher zu einem interessanten Online-Angebot verwursten. Zum Beispiel in Verbindung mit der Google Maps API. Dinge, die an einem Ort geschehen sind als Overlay. Zusammen mit usermade, geotagged Zeugs.
Gibt es nicht irgend ein Online-Angebot, das sehr von der Region abhängt und das man über eine regionale Tageszeitung gut koordinieren oder bewerben könnte? Die Lokalzeitungen haben, wie Sascha Lobo in seinem Experiment ja am eigenen Leib zu spüren bekam, einen immensen Einfluss darauf, was die Leute aus der Gegend wahrnehmen und mitbekommen. Daraus allein kann man so direkt vielleicht noch kein Geld machen.
Vielleicht sowas wie „koblenz.helfmirmaleiner.de“, wo die Oma von nebenan twitter-artig und spontan um Hilfe beim Verrücken eines Schrankes bitten kann.
Was weiß ich, es gibt doch sicher tausende Möglichkeiten, wie man dieses Privileg des direkten Sprachrohrs zu lokalen Anwohnern nutzen kann.
Das muss doch nicht zwangsläufig über „Gibste mir nen Euro, kriegste ne Zeitung“ laufen.
Viele Finanz-/Steuerberater schaffen sich mittlerweile auch ein zweites Standbein, indem sie das Privileg nutzen, dass man ihnen vertraut und sie in sensible Unternehmensdaten schauen dürfen – und auf Basis dessen zusätzlich die Anfertigung von Wissensbilanzen anbieten.
Aufmachung & Organisation:
Ich fand den Vorschlag weiter oben, die Zeitung einfach umzukrempeln, ganz gut. Man könnte doch die Zentralredaktion(?) abspecken und dafür die Mannschaften der Lokalteile stärken. Diese machen dann jeweils ihren ganz eigenen Zeitungsmantel(?). Die gemeinsamen Inhalte kommen dann einfach in den „Überregionalteil“ der Zeitung, oder so ähnlich (Würde das gar nicht mal mehr so strikt trennen).
Wenn dann doch mal wieder ein Flieger in einen Fluss stürzt, oder ein großer Staatsmann entführt wird, kann der Chefredakteur ja (spontan an diesem Tag) entscheiden die Seite 1 diesem Ereignis zu widmen. An den restlichen Tagen gehört auch die Seite 1 den Lokalredaktionen.
So läuft das doch auch im Kopf der Leser ab: An einem Tag, an dem nix los ist, interessiere ich mich schon mal für Nachbar’s Katze, aber wenn was bedeutendes „überregionales“ passiert, oder wenn ein Autor eine interessante Reportage geschrieben hat, würde mich das auch auf Seite 1 interessieren.
Langfristiges Überleben:
Würde mehr auf regionale Berichte & Reportagen gesetzt, die von Journalisten angefertigt werden, welch sich langfristig für die Region interessieren bzw. sich mit ihr verbunden fühlen, würden diese ja auch im Laufe der Zeit zu sehr, sehr guten Kennern der Region und zu gewissen „Hans Dampfs in allen Gassen“ werden – da sie ja ständig am Aufspüren von Regionalstories sind. Dieser Status ist doch sicher wertvoll und kann gut beratend eingesetzt werden, wenn ein Unternehmen, eine Partei oder einzelne Politiker irgendwelche (Werbe-)Aktionen in der Region planen. Denn dieser Journalist weiß, wie „seine“ Leute ticken, was wahrscheinlich ankommt, und was nicht.
Grüße aus Stuttgart
@ Ein Journalist
sehr witzig, so schlau bin ich schon lange, und die gestrige Ausgabe gab es heute für NICHTABONEMENTEN.
Aber zu Ihrer Beruhigung – ich habe ein Abo.
Es ging um den Bereich bis ca. 13 Uhr. Jetzt um 21:54 Uhr ist auch die „aktuelle“ Ausgabe online erreichbar.
Aus dem „mal wieder“ sollten Sie erkennen können, dass dies nicht das erste Mal der Fall ist, dass die Server der RZ-Online hängen.
Von einem „Journalist“en hätte ich eine bessere Lese- und Interpretationsfähigkeit erwartet.
Einen schönen Abend noch
@ leon_ms
liegt vielleicht darin, daß der Geschäftsführer der RZ das Geld noch anderweitig benötigt, Sponsoring bei der Tus Kobelenz etc.
[url]http://www1.rhein-zeitung.de/on/09/05/06/magazin/szeneregional/t/rzo565787.html[/url
[url]http://www.horizont.net/aktuell/leute/pages/protected/Wirbel-bei-der-Rhein-Zeitung_53408.html?openbox=0[/url]
Er soll eben ein Sparfux sein ausser – lt. Hörensagen bei seine(m)(n) KFZ(s) – wie gesagt lt. Hörensagen! nicht verifiziert.
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@leon_ms Der Verleger der Rheinzeitung hat in den letzten Jahren wohl schon so viel eingespart, da ist nichts mehr was im Mantel noch eingespart werden kann, und im lokalen müsste das Personal eigentlich verdoppelt werden.
@rockaxe Vielleicht arbeite ich für ein Boukevarformat? Da ist denken nicht nötig.
@Ein Journalist
Falls das ein Tippfehler ist – „Boukevarformat“ –
und es Boulevardformat heißen sollte, würde ich an Ihrer Stelle doch einmal die Anschaffung eines Wörterbuchs in die Lebensplanung einbeziehen.
Doch ungeachtet dessen, ein schönes sonniges Pfingstfest – auf das der heilige Geist auch Sie erreicht.
😉
@leon_ms
Für die REDAKTION der Rhein-Zeitung arbeiten 189 (einhundertneunundachtzig) Festangestellte.
Wir bilden jährlich acht bis zehn Volontäre aus und übernehmen viele davon – meist in feste und unbefristete Stellen.
Die Mantelredaktion ist personell so gut ausgestattet, dass die Quote an Eigentexten ganz sicher im oberen Viertel der deutschen Regionalzeitungen liegt.
A bisserl mehr Recherche vor solchen Behauptungen bitte!
Generell ist es so: Eine Redaktion hat immer Personalbedarf. Weil gerade gute Journalisten Arbeit generieren und nicht das Pensum an Arbeit reduzieren.
wenn sie lobos RZ kritisieren, dann haben sie die normale RZ zu ihrem glueck noch nicht gelesen. Ein elendes kaeseblatt, dem die beziehungsquerelen irgendwelcher b-promis auf der titelseite wichtiger sind als weltbewegende themen oder lokaljournalismus.
Interessant, diese enorm hohen Erwartungen an Sascha Lobo.
Ein paar spannende Beispiele für Lokaljournalismus online wurden in der NZZ auch gerade aufgeführt und sind es sicherlich ebenfalls wert mal genauer betrachtet zu werden:
http://bit.ly/Vermarktung
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