Es könnte ja eigentlich alles ganz einfach sein: Man strukturiert Redaktionen zu Newsrooms um, packt ein paar Schulungen dazu und vergattert die neue Truppe fortan zum strikten crossmedialen Arbeiten. Die Produktion eines Videos ist schließlich kein Hexenwerk und bei einem Text ist es ja schon direkt egal. Geschrieben werden musste er schon vor 50 Jahren auch erst einmal. Und niemand würde abstreiten wollen, dass schreiben in einem guten Editor weitaus angenehmer ist als auf einer klappernden Schreibmaschine.
Soweit die gängige und gern gebrauchte Theorie. Dass es aber doch nicht so einfach ist, liegt spätestens dann auf der Hand, wenn man sich den essenziellen Unterschied zwischen Multimedia bzw. Online-Journalismus und wirklich crossmedialem Arbeiten verdeutlicht. Das eine, nämlich der Onlinejournalismus, ist in erster Linie eine neue Spielart, eine neue Variante des Journalismus. Er erfordert neues handwerkliches Können und zusätzliche Kompetenzen, wie beispielsweise Grundkenntnisse in der Produktion von audiovisuellen Inhalten. Daneben gibt es zwar noch das eine oder andere Online-Spezifikum, alles in allem aber ändert sich Journalismus auf Onlineplattformen nicht so derart gravierend, wie man das möglicherweise befürchten könnte. Kurzum: Online-Journalismus erfordert vor allem Erweiterungen der handwerklichen Kompetenz, möglicherweise auch schnelleres Umsteigen auf neue Entwicklungen, sowohl inhaltlicher als auch technischer Art. Ansonsten aber ist es vermutlich nicht sonderlich gewagt zu behaupten, dass man auch als Journalist, der noch in den analogen Welten groß geworden ist, ganz passabel online über die Runden kommen kann.
Spricht man hingegen von crossmedialem Arbeiten, sind die Dinge anders gelagert. Das liegt nicht nur an den deutlich anspruchsvollen Anforderungen, sondern vor allem daran, dass Crossmedia eben etwas ganz anderes ist als Multimedia. Das wird gerne mal in einen Topf geworfen und eher indifferent betrachtet. Tatsächlich bedeutet wirklich crossmediales Arbeiten in erster Linie das Publizieren, die Kommunikation über mehrere Plattformen hinweg. Das ist ein ganz erheblicher Unterschied zum rein multimedialen Arbeiten auf einer Webseite. Zwei Dinge sind es, auf die es dort ankommt – und die crossmedialen Arbeiten zu einer anspruchsvollen Angelegenheit machen:
- Grundkenntnisse mehrerer Medienarten: Crossmedia erfordert Arbeiten über mindestens zwei Plattformen hinweg, nimmt man mobile Medien und soziale Netzwerke noch hinzu, dann sind es schon drei oder vier. Das ist viel weniger ein quantitatives als ein qualitatives Problem.
- Strategisches Denken: Im Regelfall ist Journalisten früher in ihrem Berufsleben keinerlei strategisches Denken und Arbeiten abverlangt worden. Ihr Job war das Erstellen guter Inhalte. Wer sich heute auf crossmediale Anforderungen einlassen muss, steht automatisch vor einigen bedeutenden Fragen des richtiges Vorgehens.
Beide Kernprobleme des crossmedialen Journalismus haben in der Praxis eines gemeinsam: Sie erfordern eine intensive Beschäftigung nicht nur mit dem technischen Handwerkszeug, sondern vor allem mit allen Änderungen, die eine digitalisierte Medienwelt mit sich bringt. Sehr häufig lässt sich also die Beobachtung machen, dass crossmediales Arbeiten nicht an klassischen handwerklichen Problemen scheitert, sondern es in der Tat das falsche oder auch einfach nur unflexible Denken ist, dass die ganze Sache so schwer macht. Zugute halten muss man den Betroffenen dabei allerdings, dass es ja nun wirklich nicht so ganz einfach ist mit der digitalisierten Welt: Die Änderungen kommen manchmal im Wochenturnus – und das, wovon man eben noch geglaubt hatte, es sei die Zukunft unserer Medienwelt, ist im nächsten Moment schon wieder Schnee von gestern. Es braucht also – neben klassischen journalistischen Fähigkeiten – unbedingt auch die Bereitschaft, sich permanent auf Neues einzulassen. Dass dies nicht überall auf grenzenlose Begeisterung stößt, ist übrigens gar nicht mal so sehr ein originäres Journalisten-Problem, sondern vielleicht nur allzu menschlich.
Dabei sind es aber gar nicht mal die Journalisten selber, an denen manches hakt. Nicht selten zeigt sich schnell in den ersten Praxistests, dass viele Redaktionen rein infrastrukturell gar nicht in der Lage sind, wirklich crossmedial zu arbeiten. Immer wiederkehrende Probleme sind vor allem:
- Content Management: Immer noch sind unterschiedliche Systeme, die nicht miteinander korrespondieren eher die Regel als die Ausnahme. Dabei stört nicht nur jede Verschiebung von Inhalten in ein anderes System empfindlich die Arbeitsabläufe, sondern sorgt auch für ein deutlich erhöhtes Fehlerrisiko.
- Ständige technische Innovationen und Produktupdates: Was im ersten Moment ja durchaus positiv klingt – nämlich fortlaufende Produktverbesserungen- und Vereinfachungen – macht den Alltag im crossmedialen Arbeiten teilweise ungeheuer mühsam. Die Technik überlagert leider manchmal das redaktionelle, inhaltliche Arbeiten einem nur schwer erträglichen Maß. Technische Routinen können sich kaum bilden. Das bedeutet, dass Journalisten häufig sehr viel mehr um technische Aspekte kümmern müssen als ihnen lieb ist.
Beides macht das crossmediale Arbeiten in Redaktion zunächst einmal (unnötig) schwer. Wer für seine redaktionelle Tagesarbeit zwischen vier oder fünf Fenstern umschalten muss, wird über kurz oder lang Fehler machen. Fehler, die nicht sein müssten. Fehler, die meistens nichts mit mangelnden journalistischen Fähigkeiten zu tun haben, sondern Fehler, die einem unzureichenden Handwerkszeug geschuldet sind. Daneben bleiben häufig Kraft und Konzentration auf der Strecke. Wer regelmäßig etwas updaten, installieren oder via copy&paste hin- und herschieben muss, kann in dieser Zeit nicht das tun, was Journalisten eigentlich tun sollten. Verglichen mit dem, was Journalisten heute an technischen Fähigkeiten benötigen und an nicht-journalistischen Tätigkeiten leisten müssen, ist das, was man vor 20 Jahren an Befürchtungen bei der Einführung des Ganzseitenumbruchs an Befürchtungen äußerte, Kinderkram. Der Journalist, der damals den Sprung von der analogen in die digitale Zeitungsproduktion mitmachen musste, hatte das Beherrschen eines vergleichsweise einfachen Computerprogramms und einen Seitenumbruch am Bildschirm zu schultern, später dann auch die digitale Bildbearbeitung. Allerdings stand damals auf der Habenseite ebenfalls eine ganze Menge: Bei Zeitungsmenschen beispielsweise fiel das zeitaufwendige und eher lästige Film- und Bildentwickeln in der Dunkelkammer weg. Er gewann Zeit hinzu, weil das Setzen der Texte und die Mettage der Seiten entfielen. Redaktionen konnten plötzlich vergleichsweise einfach auch am späten Abend noch ihre Seiten aktualisieren. Bei Radio- und Fernsehredaktionen machte die digitale Produktion ebenfalls vieles einfacher und schneller.
Dagegen gewinnt der crossmedial arbeitende Journalist – im Vergleich zu seinem technischen Mehraufwand – nahezu nichts hinzu. Er kann sicher noch einen Tick schneller produzieren, er kann auch von unterwegs aus publizieren, er hat deutlich mehr Stilmittel, Kanäle und Darstellungsformen zur Auswahl – nur, dass es dafür nicht mit dem vergleichsweise schnellen und einmaligen Erlernen eines Programms getan ist, sondern dass er in eine Art produktionstechnisches Perpetuum mobile geraten ist. Wer nicht bereit ist, sich auf womöglich täglich verändernde Produktionsbedingungen einzustellen und sein Arbeiten ständig neu anzupassen, wird in diesen wilden Tagen des Wandels kaum bestehen können.
Und genau das ist das Problem: zu viel der ständigen Anpassung, Neuorientierung und Veränderung ist des Menschen Sache nicht unbedingt. Das ist nicht nur, aber eben auch bei uns Journalisten häufig so. Zumal der Wandel, den wir momentan erleben, bisher einzigartig ist. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher beschreibt das in seinem Buch „Payback“ so:
„Der kognitive Veränderungsdruck, den das Internet-Zeitalter auf die Menschheit ausübt, ist gewaltig und wird am Ende nur vergleichbar mit einer ganzen Kaskade einstürzender Weltbilder, gerade so, als erschienen in kurzen Abständen gleichzeitig Gutenberg plus Marx plus Darwin auf der Bildfläche. Es ist also nicht falsch, sich jetzt schon warm anzuziehen.“
Eine Aussage, die wortgleich für das angewendet werden kann, was uns derzeit in den Redaktionen passiert. Und auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind identisch: Es geht längst nicht mehr um ein paar kleine Ergänzungen mehr. Das ganze Weltbild, das man sich bisher womöglich in Redaktionen von der eigenen Arbeit machte, ist hinfällig. Das beginnt damit, dass es eben einen Redaktionsschluss im herkömmlichen Sinne nicht mehr gibt, weil das gleichbedeutend wäre mit einem „Kommunikationsschluss“. Mit dem Kommunizieren kann man aber im digitalen Zeitalter, in dem ständig irgendwo irgendjemand kommuniziert, nicht so einfach Schluss gemacht werden. Eine Zeitung beispielsweise, die am Freitagabend mal eben die Arbeit einstellt und erst am Sonntag Mittag wieder aufnimmt, wird über kurz oder lang ein massives Problem bekommen. Die User – nicht erst die der Zukunft, sondern zunehmend die im Hier und heute – halten sich nicht mehr an die früher unausgesprochene und dennoch existente Regel, dass Journalismus und Kommunikation nur zu Bürozeiten stattzufinden hätten. Vor allem in Zeitungsredaktionen scheint man dies noch nicht verinnerlicht zu haben; der Fairness halber muss man allerdings zugestehen, dass es auch eine ganze Reihe von Radio- und Fernsehredaktionen gibt, deren Ablauf sich immer noch ziemlich strikt an analogen Gepflogenheiten orientiert. In sehr vielen, so scheint es, hat dies vor allem damit zu tun, dass die Veränderungen in ihrer Gesamtheit, die der Umzug in die digitale Welt erfordern würden, von vielen noch nicht verinnerlicht worden ist.
Das zeigt sich sehr häufig an (man wäre fast geneigt zu schreiben: sehr deutschen) Diskussionen um die richtigen Formate, die richtigen Darstellungsformen im Netz. Ganz so, als seien die wichtigsten Fragen, die nach der idealen Länge eines Videos oder der Zeichenbegrenzung für Texte. Dabei sind das so ziemlich die letzten Themen, die man im Zeitalter der Digitalisierung besprechen müsste. Wer mit derartiger Leidenschaft solche Fragen stellt, belegt letztendlich, dass er die Wucht der Veränderung, die gerade auf ihn zukommt, noch nicht begriffen hat. Und doch hört man die Thematik immer und immer wieder: Wie lang darf ein Text im Netz sein und wie schreibt man einen richtigen Teaser? Muss man sich dann wundern, dass in vielen Redaktionen Crossmedia als die Fortsetzung bisherigen Medienschaffens mit digitalen Mitteln begriffen wird?
Und so banal es klingen mag: Die Erfahrung zeigt auch ein strukturelles Problem in vielen Redaktionen auf (leider muss man auch hier dazu sagen: Besonders betroffen sind viele Regionalzeitungen). In vielen Redaktionen liegt der Altersschnitt der Mitarbeiter jenseits derer Jahrgänge, denen man mit gutem Gewissen eine hohe Online-Affinität attestieren kann. Es ist nun mal einfach so: Wer mit dem Rechner und dem Internet groß geworden ist, hat dazu nun mal einen anderen Zugang als jemand, dessen Mediennutzung sich über viele Jahre auf eine Tageszeitung und ein paar wenige Fernseh- und Radiosender beschränkte.
Es gibt aber auch andere, deutlich bessere Beispiele. Redaktionen, deren Selbstverständnis sich massiv gewandelt, Redakteure, die sich inzwischen gleichermaßen als Kommunikatoren und Moderatoren verstehen. Und die mit Redaktionssystemen arbeiten können, die ihnen die Möglichkeit bieten, die alles aus einer Hand heraus zu tun. Ihnen allen gemein sind auffälligerweise einige Prozesse, die anscheinend unabdingbar sind. In den meisten positiven Fällen begann die Bewegung von oben nach unten; waren es sehr häufig Chefredakteure, CvD´s oder Ressortleiter, die den Anstoß zum Umbau gaben. Umgekehrt zeigt sich dieses Phänomen übrigens auch: Überall da, wo die Entscheider sich zurückhalten-zögerlich zeigen, werden allenfalls mal ein paar Volontäre oder Jungredakteure nach Digitalien abgestellt; gerne mit der Begründung: Die sind noch jung und kennen sich mit Computern gut aus.
Wie weit sind also etablierte Redaktionen noch entfernt von crossmedialem Arbeiten? Versucht man sich an einer Art Bestandsaufnahme, zeigt sich ein extrem uneinheitliches Bild. Man erlebt Chefredakteure, die das Thema Crossmedia immer noch für hoffnungslos überschätzt halten und deswegen ihre Redaktionen unverändert das gute alte Kerngeschäft machen lassen. Es gibt Häuser, die schon alleine wegen ihrer technischen und personellen Ausstattung nicht im Ansatz in der Lage wären, multimedial zu arbeiten. Und es gibt andere, die das Netz und seine Möglichkeiten umarmen, die eher die Chancen als die Risiken sehen; denen klar ist: Man muss nicht alles mögen, was derzeit passiert – nur kommt die alte Welt deswegen auch nicht mehr zurück.
(Dieser Text erscheint demnächst in einem Sammelband zum Thema „Crossmediales Publizieren“, der u.a. von Prof. Ralf Hohlfeld von der Universität Passau herausgegeben wird).
Guter Text, ziemlich zutreffende Beschreibung.
Werde ich meinen Reportern und Editoren schicken.
Glückauf,
Philipp Ostrop