Schiffeversenken zwischen Theorie und Wirklichkeit

Mittlerweile ist man ja wenigstens so weit, dass es kein Zeitungshaus und keinen Verlag mehr gibt, der ernsthaft noch die Notwendigkeit eines mehr oder weniger schnellen Wechsels in die digitale Welt bestreitet. Erstaunlich ist eines aber dann doch: Fast nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen theoretischem Schein und praktischem Sein so groß wie in den deutschen Verlagen.

„Burn the boats“ empfiehlt beispielsweise Marc Andreessen den Verlagen: Trennt euch von euren althergebrachten Geschäftsmodellen. Seht endlich nicht nur ein, dass die Tage des bedruckten Papiers zu Ende gehen, sondern handelt auch danach. Und handelt schnell, weil ihr sonst untergeht. „In particular, he was talking about print media such as newspapers and magazines, and his longstanding recommendation that they should shut down their print editions and embrace the Web wholeheartedly“, heißt es bei „Techcrunch“ — und genau davon kann bei uns leider immer noch keine Rede sein. Weder mit vollem noch mit halbem Herzen: Für die meisten ist die Digitalisierung immer noch ein Albtraum, von dem sie möglichst schnell aufzuwachen hoffen.

Eine sehr exemplarisches Verhalten habe ich unlängst beobachtet: ein Verlag, der von sich selbst behauptete (O-Ton) „ziemlich weit“ auf dem Weg in die digitale Zukunft zu sein. Theoretisch klang das, was man mir erzählte, dann auch gar nicht mal so abwegig. Dann aber kam der Praxischeck: ein vernünftiges, crossmediataugliches CMS? Fehlanzeige.  Eine stringente mehrkanalige Strategie? Nicht die Spur. Onlinetaugliche, onlinegebriefte, onlineaffine Redakteure? So etwas Bizarres wie eine App? Man denke drüber nach, ja (spannende Idee, nachdem es die Dinger ja inzwischen gerade mal erst ein gutes Jahr als Massenprodukt gibt). Eine Strategie für freie und womöglich bezahlte Inhalte? Nichts, rien, nada. Die Idee, man sei „ziemlich weit“ in Sachen digitale Zukunft, muss sich also demnach aus der Tatsache gespeist haben, dass man eine Webseite und schon mal entfernt davon gehört hat, was „social media“ ist (was „Twitter“ ist, wussten dann aber von 20 doch nur 2).

Es ist diese fabelhafte Ignoranz, die immer wieder erstaunt. Es ist ja nicht nur dieser eine erwähnte Verlag, bei dem die Eigenwahrnehmung und die Realität in Sachen Onlinemedien meilenweit auseinanderklaffen. Die meisten Webseiten deutscher Verlage sind immer noch in einem Zustand, der ihren Besuch eher wenig verlockend macht. Man legt sich eine Fan-Seite bei Facebook zu und meint dann, man sei im Zeitalter neuartiger Kommunikation angekommen. Einen Grund, warum man von irgendetwas Fan sein sollte, liefern sie leider nicht mit. Die Online-Abteilungen sind sehr häufig Feigenblätter, ein absurdes Missverhältnis in der personellen Besetzung zwischen Print und Online immer noch eher die Regel denn die Ausnahme.  Ich weiß aus dem Stand fünf Tageszeitungen, bei denen 100 Leute in der Printredaktion arbeiten — und drei online. Und immer noch gibt diese weit verbreitete und merkwürdige Grundhaltung, das „Kerngeschäft“ seien die gedruckten Werke, weil man das ja zum einen richtig gut könne und zum anderen in diesem elenden Web kein wirkliches Geld zu verdienen sei („Wir verschenken nichts“, hat mir jetzt jemand mal im Brustton der Überzeugung und der ehrlichen Entrüstung gesagt).

Sie versenken ihre Boote nicht, weil sie nicht wollen. Die meisten versenken sie nicht, weil sie es immer noch nicht verstanden haben.

Wollen wir 2015 nochmal schauen, was von ihnen übrig geblieben ist?

Dieser Beitrag hat 12 Kommentare

  1. Bezirkskantor

    Ich will hier keine Lanze für die Verleger brechen – sie gehen zu zaghaft an das Booteverbrennen heran.

    Aber eines dürfte auch klar sein: Die Kernkompetenz liegt tatsächlich im Printbereich, das ist kein Blabla. Und Geld verdienen immer noch die wenigsten im Internet.

    Nun habe ich also einen Riesenapparat mit Redaktionen, eingeschliffener Druckvorstufe, Druckerei und vor allem mit Personal, dass für den Printbereich ausgebildet wurde.

    Gehe ich also her und investiere Unsummen von Geld in eine neue Infrastruktur, neues Know-how, neue Leute und neue Technik … ohne ein vernünftiges Geschäftsmodell zu haben? Meine Printkunden muss ich schließlich weiterhin bedienen.

    Mich stört dieser ständige, besserwisserische Vorwurf von an die Verleger, sie seien rückständig, Dinosaurier und dem Untergang geweiht. Hinter deren Zurückhaltung steckt doch keine pure Ignoranz, sondern auch die Zwänge des Geschäfts und eine Menge Angst, die Felle auf dem Boot verbrennen zu sehen.

    Ich glaube, ich habe doch eine Lanze gebrochen.

  2. cjakubetz

    Doch ja, das ist eindeutig eine gebrochene Lanze (ist ja auch ok).

    Aber:

    >>Nun habe ich also einen Riesenapparat mit Redaktionen, eingeschliffener Druckvorstufe, Druckerei und vor allem mit Personal, dass für den Printbereich ausgebildet wurde.

    Genau das ist der Punkt. Du willst an einer Struktur festhalten – weil es sie schon gibt? Kein sehr gutes Argument.

    Und das mit dem Geldverdienen wird sich ändern. Wei,l das Geld dorthin geht, wo die Menschen sind. Und die sind immer mehr im Netz.

  3. Bezirkskantor

    Es ging mir nicht darum, an einer Struktur festzuhalten. Es ging mir darum, eine teure, aufwändige Struktur nicht zu zerschmettern, ohne eine rentable Alternative zu haben. Das ist so schlecht nicht als Argument.

    Kann gut sein, dass sich das ändert. Aber im Moment drängt sich eben noch kein Modell auf.

  4. Sascha

    Wenn ich mit Druckmaschine und Zeitungspapier 100 Millionen Euro verdienen würde und mit meinem Online-Auftritt 1 Million Euro, und irgendwo schreibt ein kluger Blogger, der mit seinem klugen Blog vielleicht 1000 Euro verdient, ich solle mich doch bitteschön von meinem 100 Millionen Euro-Geschäftsmodell trennen, weil ich irgendwann keine 100 Millionen mehr damit mache – ich wüsste, was zu tun ist…

  5. cjakubetz

    Wenn ich wüsste, dass es so bliebe, wüsste ich das auch.

  6. Matthias B. Krause

    Naja, ich versteh den Frust schon und er ist auch berechtigt. Solche Verlage sind halt Tanker und es dauert eine ganze Weile, bis man überhaupt merkt, dass sich der Wind gedreht hat. Und mindestens noch einmal genauso lange, bis man endlich einen Ruderausschlag spürt. Der Widerstand kommt im übrigen nicht nur vom Verlag, sondern auch aus der Redaktion. Ich erinnere mich noch gut an eine Redaktionssitzung einer führenden deutschen Regionalzeitung vor gut einem Jahr, in der der CVD forderte, wichtige Texte sollten fortan online gestellt werden, sobald sie fertig sind, nicht erst, wenn die Zeitung gedruckt ist. Reaktion der Redakteure: Da müssen wir erstmal unsere Verträge ansehen und außerdem muss geprüft werden, ob wir dafür extra Geld bekommen. Soviel dazu.
    Aber: to burn your boats schüttet doch das Kind mit dem Bade aus. Solange die Verleger mit Print Geld machen – und das machen die meisten ja noch, wenn auch weniger als zuvor – dann würde ich das ausnutzen bis zuletzt. Viel entscheidender ist die Frage, was ich mit dem Geld mache, das ich da in der Tasche habe. Weiter in das alte Geschäftsmodell stecken oder eben ein neues entwickeln. Da liegt der Hase im Pfeffer, weil so viele sagen, sie nehmen doch nicht ihr gutes Geld und werfen es online zum Fenster raus, weil niemand im Augenblick weiß, wie da Geld zu verdienen ist. Erinnert mich alles einmal mehr an die Musikindustrie, nur dass die unter großen Schmerzen schon ein kleines bisschen weiter gekommen sind.

  7. Bezirkskantor

    Ich möchte nur noch zwei Gedanken in den Ring geworfen haben:
    1. Die Zahl der gescheiterten Onlineprojekte von den hier angesprochenen Verlegern ist Legion. So gut wie alle, die derzeit online sind, werden über Einnahmen aus dem Printsektor finanziert.
    2. Vielleicht sind die meisten Verleger einfach die falschen Ansprechpartner. Es sind womöglich nicht die arrivierten Zeitungen, die später mal den Online-Journlismus gestalten, sondern eine neue Art von Unternehmer mit einem ganz anderen Verständnis seiner Arbeit. Diejenigen, die jetzt am Ruder sind, machen ihr Job weiter, verändern ihr Printprodukt und haben vielleicht auf der Schiene noch einige Erfolge.

  8. Maschinist

    Ich bin kein Journalist und war nie bei einer Zeitung. Aber ich habe mal in einer Branche gearbeitet, der es ähnlich erging. Ich habe Kataloge für Investitionsgüter gemacht.
    Die Geschäftsführung hielt die Digitalisierung für erfolgreich abgeschlossen weil man ja DTP habe. Als ich Mitte der 90er mal interaktive CDs präsentiert und als Etappe in die Zukunft bezeichnet habe, weil ich der festen Überzeugung war dass es nicht beim elektronischen Produzieren der Papier-Kataloge bleibt und die Möglichkeiten beschwor, wurde ich sehr mitleidig belächelt und galt dann als spinnerter Sonderling.
    Heute sind solche Unternehmen ohne Online-Konzept nicht mehr existent.
    Verleger sollten sich vielleicht, so lange sie es sich noch leisten können, einen Irren anstellen der ihnen permanent zeigt was möglich ist und erklärt. Die Welt wird nicht auf sie warten.

  9. Horst

    Wann hört ihr Onliner endlich mit eurem gebashe der old media auf? Da wird nach wie vor richtig gutes Geld verdient, 10%++ Rendite, ob bei TV, Hörfunk oder Print sind nach wie vor keine Seltenheit.

    Die Frage nach dem „wie lange noch“ stellt sich doch aktuell gar nicht. Solange die schwarze Null steht, brauch ich doch doch kein Geld in sinnlosen Twitteraccounts, Facebookprofilen, sündhafteuren supi-dupi triple-cross-media Redaktionssystemen und Newsrooms verbrennen. Und wenn sich doch die Werbegelder im großen Stil wirklich auf Online verlagern sollten, dann schenkt man eben um….

  10. Hardy Prothmann

    Guten Tag!

    Ich habe den Text mit Genuss gelesen und sage: Bitte, bitte, bitte, liebe Verleger. Bleibt bei Eurer Linie – lasst Euch nicht beirren.

    Und bitte, bitte, bitte, liebe Tageszeitungskollegen, macht weiter so wie bisher.

    Solange die Tanker nämlich vor sich hindampfen, bin ich das einzige Schnellboot.

    Einen schönen Tag wünscht
    Hardy Prothmann

  11. Chat Atkins

    Soso, werte Mitkommentatoren – mit Online-Journalismus könne man also kein Geld verdienen? Die Realität sieht doch längst anders aus. Hört doch endlich mal auf, als erwachsene Menschen noch an den Osterhasen zu glauben. Oder wie kämen solche Statements aus den Tiefen der Newsrooms zustande?

    Alles erstunken und erlogen. Ich arbeite selbst seit mittlerweile 10 Jahren als Online-Redakteur – und nein, ich werde nicht entlassen, ich kenn’ die Regeln. Jeder in dieser Branche kennt nach einem Kantinen-Gespräch mit einem Kollegen aus der Marketing-Abteilung die Anzeigen-Preise, bei gleichzeitig moderaten Gehältern und unglaublich niedrigen Kosten für Pflege und Erstellung der Verlags-Homepages. Das sind, liebe Leute, riesige Gewinnspannen, der Traum (oder Albtraum) jeder Printausgabe. 90% der ehemals journalistischen Recherche-Arbeit besteht heute im Verwursten vorsortierter DPA- oder Pressemeldungen. Dazu ein paar RSS-Feeds diverser Konkurrenten und möglichst schnelles Ab … äh … Umschreiben der Meldungen anderer und schon ist der neue Artikel fertig. Den Rest erledigt das Content-Management-System, gemessen wird der eigene Erfolg an der Position des eigenen Artikels auf der Startseite. Heute etwas ideenlos oder einfach nur schreibfaul? Kein Problem: mittlerweile besitzt fast jedes größere Verlagshaus mehrere Publikationen, also nehm’ ich mir einfach einen Artikel von gestern oder vorgestern aus der Schwesternpublikation. Neue Überschrift, neue Description für die Suchmaschine, gleicher Text, fertig. Schöner Nebeneffekt: so platziere ich die News auch gleich doppelt und dreifach – naaa? – richtig, in den “Google News”, die mir automatisch für das jeweilige Thema die Leser liefern. Zig-Tausendfach. Persönliche Verantwortlichkeit, mein Name über dem Artikel, Themen-Ressorts? Scheiss drauf, ehrlich, nicht für das Gehalt.

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