Für einen ganz kurzen Moment dachte ich gestern abend: Jetzt ist es soweit, das ist das Ende des Printmediums. Wenige Minuten zuvor hatte ich mir die komplette neue Ausgabe des „Spiegel“ aufs iPhone gezogen, 2,99 Euro das Exemplar, 0,6 MB, in Sekundenschnelle da. Und das am Samstagabend, zwei Tage vor dem Erscheinen des Printexemplars. Natürlich war mir klar, dass das Lesen auf dem iPhone nur bedingt spaßbringend sein würde, ich hatte aber schon im HInterkopf, dass die selbe Geschichte ja demnächst auch auf dem iPad funktionieren sollte – und da wird die Sache schon ganz anders aussehen.
Nach dem ersten intensiveren Durchblättern des iPhone-Spiegel fielen dann aber ein paar ärgerliche Schwächen auf, nach denen man den Kollegen vom „Spiegel“ dringend empfehlen möchte, schnellstmöglich nachzubessern. Die App (genauer gesagt ist das keine App, sondern ein besserer E-Reader) weist dann doch einige erstaunliche handwerkliche und technische Schwächen auf und man wundert sich: Würde ein derart schludrig gemachter gedruckter Spiegel am Wochenende zu den Kiosken gehen, sie hätten ganz schön Ärger an der Brandstiwete.
Da ist erst einmal die Sache mit der Optik: schon klar, dass man auf einem iPhone-Display nur sehr eingeschränkte optische Genüsse bieten kann. Aber eine Titelgeschichte, die über 43 iPhone-Seiten geht, deswegen komplett unbebildert zu lassen, ist nicht nachvollziehbar. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich in die letzten Jahre der 90er-Jahre erinnert, als man lange Textstücke auch als unbebilderte E-Mails in irgendwelchen Clippings bekam. Man muss schon sehr an einem Thema interessiert sein, wenn man 43 Seiten ohne irgendeine optische Auflockerung konsumieren will. Im Demoheft war die Titelgeschichte übrigens mit einer Bildstrecke versehen – im aktuellen, ersten „richtigen“ Heft fehlen sie dagegen, wie bei vielen anderen Geschichten auch. Dafür tauchen irgendwo in der Textstrecke die Bildtexte auf, was dann doch den Eindruck verstärkt, dass hier irgendwas schief gegangen sei.
Ebenso ärgerlich: „abgeschnittene“ Überschriften im Inhaltsverzeichnis oder auch in Artikeln. Zumindest nehme ich nicht an, dass die Überschrift „Präsident“ in einer Geschichte über Horst Köhler wirklich beabsichtigt war.
Erstes Fazit also: Man bekommt ein Produkt, das noch nicht so ganz ausgereift ist, was das ohnehin reduzierte Lesevergnügen auf dem iPhone nochmal ziemlich trübt.
Schade auch: Der „Spiegel“ hat eine Chance verpasst, ein Produkt zu entwickeln, das den Weg in eine iPad-Zukunft weisen könnte. Es ist ein E-Paper, das nicht einmal aussieht wie ein E-Paper, es ist ein komplettes Heft einfach 1:1 (und schludrig) auf ein mobiles Lesegerät übertragen. Vom Marktführer in Sachen Nachrichtenportale hätte man sich ja schon ein wenig Innovation gewünscht – und wenn das schon nicht, dann wenigstens eine präzise technische Umsetzung.
Auf der anderen Seite steht (zumindest für mich) die Erkenntnis, dass es vielleicht ungewohnt sein mag, etwas, was man bisher 25 Jahre als Heft kannte, plötzlich auf einem Bildschirm zu lesen. Ich hatte größere innere Widerstände erwartet, fand es aber dann ganz und gar nicht schlimm. Im Gegenteil, in den ersten Momenten (siehe oben…) hatte ich mich ernsthaft gefreut auf eine angenehmere Form des Spiegel-Lesens. So aber warte ich dann doch lieber erstens auf das iPad und zweitens auf eine App-Version, die mehr ist als eine einfache Reproduktion des Heftes.
Und morgen gehe ich an den Kiosk. Alleine schon meinen Augen zuliebe.
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