Zugegeben, vielleicht bin ich ja etwas, nun ja, naiv, aber momentan leuchtet mir eine Tendenz bei Verlagen nicht ein: Man will auf der einen Seite mit einem unausgesprochenen „Wir haben (endlich) verstanden!“ in die digitale Zukunft starten (die schon lange begonnen hat) — und auf der anderen Seite fleißig Personal einsparen. Ich stelle mir immer dann, wenn ich von so etwas höre, gerne vor, wie man es als Journalist bewerten würde, wenn, sagen wir, BMW den Start von vielen neuen Produktreihen ankündigt und des Weiteren künftig die Entwicklung von Hybridfahrzeugen massiv vorantreiben will. Und im nächsten Satz der entsprechenden Pressemitteilung stünde dann der Satz: Im Zuge dieser vielen neuen Produkte, die wir an den Start bringen, bauen wir gleichzeitig zehn Prozent unserer Belegschaft ab. Jeder Praktikant in einer Wirtschaftsredation würde über diesen Satz stolpern, sich die Augen verwundert reiben — und sich dann fragen: Wie geht das denn zusammen?
Bei der WAZ beispielsweise will man dieses ökonomische Wunder jetzt vollbringen. 300 Stellen hat man ohnedies schon in der Redaktion abgebaut und weil man gerade dabei ist, auch die Online-Strategie voranzutreiben, fügt es sich prima, dass man dort 6,8 Stellen abbaut. Das wirft erst einmal die Frage auf, was diese 306,8 Menschen vorher gemacht haben: Nase gebohrt? Videospiele gespielt? Das Haus durch pure Anwesenheit bereichert? Man kann sich natürlich die ernsthaftere Frage stellen, ob man dort überhaupt eine Strategie hat und könnte ohne viel Böswilligkeit auf den Gedanken komme, dass sie keine haben. Darauf deutet auch hin, dass man den „Westen“ zunächst zu einem hypermodernen Superportal ausbauen wollte und ihn jetzt anscheinend langsam wieder herunterfahren will, wozu genau, weiß man eigentlich nicht. Dafür sollen jetzt die einzelnen Titel wieder mehr digitale Eigenständigkeit bekommen. Wenn man eine Rolle rückwärts als Strategie bezeichnen will, gut — dann ist das wohl die Strategie.
Die WAZ steht mit solchen Merkwüdigkeiten ja nicht alleine. Der Abbau von Personal und das gleichzeitige Ausbauenwollen gehören mehr oder minder zu verlegerischen Standards momentan. Man beweist eine erstaunliche Unetschlossenheit und Mutlosigkeit auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch ein trotz aller gegenteiligen Bekundungen nicht vorhandenes Verständnis für digitale Medien. Das wäre ja vielleicht noch irgendwie zu verkraften, würde damit allerdings nicht auch bewiesen, dass es mit dem viel gepriesenen Unternehmertum im deutschen Verlagsgewerbe nicht so rasend weit her ist. Mit den Begründungen, die man manchmal so hört, warum man sich online noch nicht weiter aus dem Fenster lehnen könne, könnte man ebenso gut jede unternehmerische Tätigkeit einstellen: Man wisse ja nicht, so hört man das sehr regelmäßig, ob man jemals Geld verdienen werde mit den neuen Angeboten (tja…). Wirklich erstaunlich also, dass man von Onlinemedien erwartet, dass sie sich vom ersten Tag an selbst tragen sollen. Der Eindruck bleibt: Man wirft lieber mal lieber ein paar Millionen in die Entwicklung eines neuen Printobjekts, statt sich auf die Entwicklung digitaler Produkte wirklich ernsthaft zu konzentrieren. Und außerdem: Man stelle sich das Aufjaulen in der Printbranche vor, wenn man statt den „Park Avenues“ und den „Vanity Fairs“ dieser Welt ähnliche Projekte und Produkte online versenkt hätte. Vermutlich müsste der Staat sofort wieder eingreifen und vor diesem bösen Markt schützen (manchmal haben sie schon wirklich lustige Anwandlungen in den Verlagen).
Man hört in diesem Zusammenhang ja auch immer wieder gerne Verlegers Lieblingsargument: Geld verdient werde doch wohl immer noch mit den Zeitungen und Zeitschriften, keineswegs mit Netzangeboten. Hubert Burda beispielsweise führt immer wieder gerne an, dass sich „Focus Online“ nur durch Quersubventionierung mit irgendwelchen hübschen Reiseportalen bezahlen lasse. Das mag — betriebswirtschaftlich gerechnet — sogar richtig sein, strategisch ist es dennoch die falsche Rechnung. Denn ohne „Focus Online“ ließe sich der gedruckte „Focus“ nicht verkaufen. Wer´s nicht glaubt, stelle sich doch bitte einfach folgendes vor: Ein Medium ohne Online-Ausgabe? Das geht schlichtweg nicht mehr und hätte sofort Auswirkungen auf das Printgeschäft. Wie also man das Onlineangebot auch immer quersubventioniert, es ist eine falsche und einseitige Sichtweise, das Online-Portal als reinen Kostenverursacher zu betrachten. Richtigerweise müsste man das also beispielsweise im Fall Burda schon davon sprechen, dass das Reiseportal auch den gedruckten „Focus“ irgendwie mitfinanziert. Oder einfacher gesagt: Online ist in einem Verlag nicht einfach ein isoliert zu betrachtendes Produkt (mit dem man blöderweise nichts verdient), sondern unverzichtbarer, lebensnotwendiger Bestandteil des ganzen Hauses.
„Ein Medium ohne Online-Ausgabe? Das geht schlichtweg nicht mehr und hätte sofort Auswirkungen auf das Printgeschäft.“
Gibt es für diese These einen Beleg?