Auch wenn es vielleicht den einen oder anderen enttäuschen mag: Ich habe heute die vom „Nordkurier“ geforderte Unterlassungserklärung unterschrieben und mich verpflichtet, eine ganz bestimmte Behauptung nicht mehr aufzustellen und sie nicht zu wiederholen, weder wörtlich noch sinngemäß. Den ursprünglichen Beitrag habe ich gelöscht, ebenso natürlich aber auch meine damals am 14. Mai erfolgte Richtigstellung des Sachverhalts. Ebenso habe ich meinen Beitrag, in dem ich über die Abmahnung berichtet habe, soweit verändert, dass nicht mal Lutz Schumacher und die von ihm beauftragte Berliner Anwaltskanzlei daran etwas aussetzen können.
Zugegeben: Im ersten Moment, als die Abmahnung ins Haus kam, hatte mich die Streitlust gepackt. Ich hätte ich gerne gehört, inwieweit Schumacher und sein Anwalt denn begründen hätten wollen, dass eine Wiederholungsgefahr bestanden hätte, wenn ich schon sechs Tage nach der eigentlichen (inkriminierten) Geschichte erklärt habe, dass mir in dieser Geschichte, die sich ja um weit mehr drehte als diesen einen abgemahnten Satz, ein Fehler unterlaufen ist. Und ich hätte mir das alles sehr gerne von einem Haus erklären lassen, dass sich sonst bestimmt für Pressefreiheit und solche Geschichten einsetzt (wenigstens auf dem Papier).
Danach wurde mein Denken ein wenig pragmatischer (und ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei ein paar lieben Ratgebern bedanken, die mir diesen Pragmatismus nahe legten). Soll ich also mich allen Ernstes mit Lutz Schumacher und dem „Nordkurier“ um die rechtliche Interpretation eines einzigen, aus elf Wörtern bestehenden Satzes streiten, womöglich in einer über Monate währenden Auseinandersetzung? Mir ging (und geht) es in der Debatte um Methoden von Blättern wie dem „Nordkurier“ doch nur am äußersten Rand um diese eine inkriminierte Behauptung (die ich, bevor sich jemand aufregt, ja ausdrücklich NICHT aufrecht erhalte). Mir geht und ging es um andere Sachen.
Und schließlich kam noch etwas anderes hinzu: die Motivation des „Nordkurier“ für diese Abmahnung. Mir war ziemlich schnell klar, dass es hier keineswegs um die inhaltliche Korrektur eines Sachverhalts ging, das hätte man anders machen können. Lutz Schumacher und der „Nordkurier“ wollen Kritiker schlichtweg mundtot machen – oder wie es mir jemand in einem Vier-Augen-Gespräch gesagt hat: Die wollen dich hängen sehen. Die sind es leid, sich von dir (und anderen) ans Bein pinkeln zu lassen. Und für dieses – mit Verlaub – kindische Spielchen sollte ich viel Zeit und ggf. Geld investieren? Das schien mir ziemlich absurd zu sein, weswegen ich die Unterlassungserklärung heute unterschrieben und zurückgefaxt habe. Meine Zeit möchte ich ungern mit einem Rechtsstreit um des Kaisers Bart führen, davon abgesehen hat man Schumachers Handlungsschema ja schon oft genug erlebt: Wer nicht in seine Weltsicht passt, wird weggeklagt oder kurzerhand rausgeworfen.
Dennoch halte ich es für interessant, das zu beobachten, was da gerade bei „Nordkurier“ passiert – weil es, ebenso wie das Beispiel der Freunde in Passau, ziemlich gut zeigt, was mit Regionalzeitungen passiert, wie fatal sie reagieren, wie sie ihre Daseinsberechtigung mehr und mehr verspielen und wie sie keine wirklich probaten Antworten auf etwas finden, von dem sie glauben, es sei lediglich eine „Krise“. Dabei ist es ihr Todeskampf und sie verhalten sich dabei (ein wunderbares Zitat aus der „Süddeutschen“) wie die weiße Frau, die sich in den Fängen King Kongs befindet und sich dabei in allererster Linie Sorgen um ihre Frisur macht.
Die „Zeit“ hat sich in ihrem letzten Dossier über den Zustand des Journalismus ausgiebig u.a. mit dem „Nordkurier“ beschäftigt. Und sie beschreibt dort auch, welchen Stellenwert Journalisten noch in diesem Verlag haben:
„Sie betreuen nebenher das Lesertelefon, die Abonnenten, das Gewinnspiel. Seitdem der neue Geschäftsführer da ist, heißen sie in Hausmitteilungen nicht mehr Redakteure, sondern Content-Manager.“
Weiter schreibt die „Zeit“:
Wer den Chefredakteur Seidel besucht, betritt das Museum eines aussterbenden Handwerks. (…) Seidel war zehn Jahre lang Gewerkschaftsfunktionär, jetzt führt er »Strukturanpassungsmaßnahmen« durch. Er macht nun mit. Seidels Chef, der Geschäftsführer, heißt Lutz Schumacher, Spitzname Zumacher. Er hat vor zwei Jahren bei der Münsterschen Zeitung über Nacht eine ganze Redaktion entlassen. (…) Seidel und Schumacher haben den Nordkurier im vergangenen Jahr in 15 Einzelfirmen zerschlagen, von denen viele aus dem Tarifvertrag ausgestiegen sind, sodass sie geringere Löhne zahlen können. Jede dieser Firmen ist jetzt ein eigenes Profitcenter, jede muss Gewinn abwerfen, denn die Auflage sinkt. Der überregionale Teil der Zeitung wird von einer externen Firma in Schwerin produziert, die auch die Schweriner Volkszeitung beliefert. In Zukunft sollen weniger »teure Redakteure« angestellt werden, sagt Seidel, dafür mehr Content-Manager, die dann auch filmen, twittern, bloggen, podcasten.
Das scheint mir der frappierendste Aspekt in der momentanen „Medienkrise“ zu sein: dass es so unglaublich schwer fällt, Macher zu entdecken, denen etwas anderes einfällt als kürzen, streichen, sparen (und lamentieren). Dabei – um diesem Argument ein wenig die Kraft zu nehmen – geht es doch in dieser Debatte überhaupt nicht darum, dass Zeitungen nicht auch Wirtschaftsunternehmen sind; natürlich sollen sie, müssen sie Geld verdienen. Natürlich ist es legitim, über Kosten nachzudenken und sie ggf. auch zu senke, täte ein Management das nicht, es wäre ein ziemlich schlechtes Management. Nur: Mit immer weniger Leuten immer weniger Zeitung zu machen, ist insofern eine eher schlechte Idee, weil selbst der unbedarfteste Leser irgendwann bemerkt, dass er für immer mehr Geld immer weniger bekommt. Wenn also der Nordkurier, wie es die Zeit beschreibt, über große lokale/regionale Ereignisse teilweise nur noch in Form von Agenturmeldungen berichten kann, weil ihm schlichtweg das Personal fehlt, dann verliert er seine Existenzberichtigung. Und wer, bitteschön, soll denn irgendwelche Tweets lesen, wenn es gar nichts mehr zum twittern gibt? Was in der Kantine des Nordkurier oder der PNP passiert, interessiert zurecht niemanden.
Hochwertiger, relevanter Journalismus ist es, was letztendlich zählt – und das haben Verlage wie der „Nordkurier“ immer noch nicht verstanden. Wie also ausgerechnet Lutz Schumacher darauf kommt, eine Qualitätsdebatte über Journalismus zu fordern, gehört zu den letzten Mysterien des Medienjahres 2009.
Dabei gibt es ausreichend Belege dafür, dass Leser Qualitätsjournalismus (gruseliges Wort, ich weiß…) oder zumindest für sie relevanten Journalismus nach wie vor wollen (manchmal glaube ich auch wirklich, dass wir gar keine Medien- als vielmehr eine Journalismuskrise haben). Die meistverkaufte Einzelausgabe des „Spiegel“ in diesem Jahr war jene, in der sich mehrere Reporter akribisch an der Entstehung der Finanzkrise abgearbeitet hatten und das lieferten, was Journalismus kann (und was er sein soll): Präzise recherchierte Information, Hintergrund, Analyse und meinetwegen auch fundierter Kommentar. Das hat sich seit Kischs Zeiten nicht geändert. Im Gegenteil, in einem Zeitalter, in dem jeder publizieren kann und es sehr viele gottseidank auch tun, gewinnt diese Form von klassischem und hochwertigem Journalismus erheblich an Bedeutung – und wenn man ehrlich ist, muss man einräumen: Es ist seine einzige Daseinsberechtigung. Verlagshäuser, in denen es nur noch „Content Manager“ gibt, die keinen Journalismus, sondern Informationsverhackstückung betreiben, haben eine solche Daseinsberechtigung nicht mehr, selbst wenn sie das neuerdings „crossmediales Arbeiten“ nennen. Sie werden verschwinden über kurz oder lang.
Und ehrlich gesagt: Es ist nicht schade um sie.
Manchmal muss man halt tun, was man tun muss
Schön, wenn es gelingt, eine unaufgeregte Kosten-Nutzen Analyse vorzunehmen. Finde das überhaupt nicht verwerflich.