Wenn man morgens in Zürich an einer ziemlich verschneiten Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs steht, lässt sich dieses Phänomen sehr schön beobachten: Wie selbstverständlich nehmen sich die Leute, die sich in der Rush-hour auf den Weg in die Arbeit machen, eine Zeitung aus einem der vielen Kästen, die die Gratisblätter beinhalten. Manche haben auch drei oder vier unter dem Arm, was den Schluss zulässt, dass es in der Schweiz ein ziemlich selbstverständlicher Teil des morgenlichen Wegs in die Arbeit ist, eine Zeitung zu lesen. Übrigens auch für ein jüngeres Publikum, womit man zumindest teilweise die Befürchtung entkräften könnte, sie würden Papier per se vollständig ablehnen. Direkt neben den Gratisblättern, die es übrigens am Abend auch nochmal gibt, stehen die stummen Verkäufer beispielsweise der NZZ und nach allem, was man bisher so weiß, geht es der NZZ nicht unbedingt schlechter, nur weil es Gratisblätter gibt. Bevor der Reflex kommt, dass dies kein Wunder sei, weil ja in diesen Gratisblätter ohnehin nur Quatsch stehe: ein Trugschluss. Diese Zeitungen sind durchaus ansprechend, legt man zugrunde, was ihre inhaltliche Idee ist: Sie wollen in verhältnismäßig knapper Zeit das Medium für unterwegs sein. Das machen sie erstaunlich gut. Die Kritik jedenfalls, nur Inhalt, für den man bezahlen müsse, könne auch einen gewissen qualitativen Anspruch leisten, erledigt sich ziemlich schnell, wenn man diese Zeitungen liest.
Man kann sich angesichts dessen dann auch vorstellen, wie ein Modell für Tageszeitungen in der Zukunft aussehen müsste. Drei Modelle haben demnach Zukunft. Erstens die Gratiszeitung, das Ding das man auf dem Weg in die Arbeit liest, was natürlich in erster Linie in den Städten funktioniert; auf dem flachen Land ist das weniger ein Modell. Klar kann man aktuelle Nachrichten, den inhaltlichen Start in den Morgen inzwischen auch ganz prima auf dem Smartphone verbringen, aber das Lesen einer gedruckten Seite ist möglicherweise dann doch noch etwas komfortabler als das Scrollen auf einem iPhone-Display. 15 Minuten lesen, hohe Reichweite, danach weg damit.
Zweitens das Qualitätsblatt; für all diejenigen, denen die 15 Minuten am Morgen oder Abend zu wenig sind, die mehr wissen wollen als die pure Nachricht. Die Kommentare, Analysen, Hintergründe zu schätzen wissen und denen das auch ein paar Euro wert ist.
Und schließlich, drittens, die hyperlokale Lokalzeitung; die, die auch mit geringen Reichweiten erscheint und auf jeglichen inhaltlichen Balast verzichtet. Die nicht den Anspruch stellt, in Heribert-Prantl-Manier mal eben mit der Bundesregierung abzurechnen, die keinen Kulturteil baut und die nicht den Anspruch erhebt, auch in Berlin oder Kabul gelesen werden zu wollen. Sondern stattdessen einfach nur berichtet, was ist und was die Menschen in ihrem unmittelbaren engsten Umfeld interessiert.
Zusammengefasst also: die Nische oder das große Ganze. Oder untergehen. Das sind die Alternativen, und das nicht erst seit 2009.
Zum Thema gibt es ein aktuelles Interview mit dem schweizer Publizisten Karl Lüönd in der „Berner Zeitung“: „Wenn die Tageszeitung die Gratiszeitung zu kopieren versucht, liegt sie falsch“.
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