Neuerdings, nach Diskussionen mit den Angehörigen der Holzklasse, bekommt man eine leise Ahnung, woher der Begriff „Pfeifen im Walde“ herkommt. Wenn auf der einen Seite wirklich alle Indikatoren anzeigen, dass die Zukunft volldigital und sonst gar nichts ist (neuestes von vielen Beispielen: hier), dann wirkt es auf der anderen Seite schon irgendwie putzig, welche Argumente inzwischen von der Generation A. (und die ist, ich habe es schon mehrfach betont, im Altersschnitt immer noch jünger, als man annehmen mag) in den Ring geworfen werden. Haptik beispielsweise, ein ganz wunderbarer Begriff. Der bedeutet, dass Zeitungspapier raschelt und dass man das schön findet; heimelig irgendwie. Vermutlich aber wird ein heute 15Jähriger diesem Rascheln in zehn Jahren nicht so rasend viel abgewinnen können, weil sein Laptop und sein Handy und seine PSP von anno 2008 auch nicht raschelten. Vergessen wir also bitte diesen ganzen Nostalgiekram, ich mag raschelndes Papier auch, aber ein ernstzunehmendes Argument in der Diskussion um mediale Zukunft ist das nicht. Ich mag übrigens auch gerne den „Kommissar“ mit Erik Ode und bekomme dann glasige Augen, wenn die im VW Käfer und natürlich in schwarzweiß auf Gangsterjagd gehen. Daraus abzuleiten, das Fernsehen wieder schwarzweiß zu machen und den Sendeschluss neu aufzulegen, würde ich deswegen nicht kommen. (Nebenbei bemerkt: Printleute waren schon immer eigenartige Realitätsverweigerer, selbst zu Zeiten, als ich noch selbst Printer war, was schon etwas her ist. Ich erinnere mich an heftige Diskussionen Anfang der 90er ob es nicht mindestens ein Sündenfall sei, wenn man Fotos in Tageszeitungen farbig macht. Kein Mensch brauche das, hieß es damals gerne.)
Trotzdem bleibt leider mein Eindruck, dass sich viele (auch jüngere) Journalisten dieser Realität nicht stellen wollen. Dass sie immer noch glauben, es reiche aus, sich einen gmx-Account zuzulegen und zweimal am Tag nachzuschauen, was Spiegel Online so schreibt. Man muss einfach ein paar Schritte weiterdenken und eventuell mal begreifen, dass die Auswirkungen des Netzes als Medium viel mehr und ganz andere sind, als dass man Texte jetzt auch auf einem Bildschirm lesen kann. Dass man dadurch beispielsweise jetzt ein Stück weit befreit ist von diesen ganzen entsetzlichen Formatzwängen und den grauenvollen Kompromissen, die man vielleicht noch machen musste, als Henri Nannen den „Stern“ gründete und eine „Wundertüte“ auf den Markt brachte, in der gefälligst für jeden etwas drin zu sein hatte. Das braucht heute kein Mensch mehr; Medien müssen nicht mehr in der größtmöglichen Toleranzbreite aufgestellt sein. Im Gegenteil: Die Wundertüten aus Print, Radio und Fernsehen können sich schon heute ihr künftiges Schicksal anschauen – im Einzelhandel, in den Kaufhäusern. Da ist auch für alle was drin, nur dass diese Zeit vorbei ist: Es gibt ausreichend spezialisierte Unternehmen, die mich aus jedem Winkel der Welt beliefern können. Warum also sollte ich meinen Laptop bei Karstadt bestellen, wo er vermutlich von einem nur mittelkompetenten Verköufer direkt neben der Obstabteilung angepriesen wird? Warum soll ich mir auf 70 Zeilen oder 1.30 Minuten herabgebrochene komplexe Sachverhalte antun, wenn ich das viel kompetenter und ausführlicher anderswo bekommen kann?
Ich glaube ziemlich fest daran, dass jemand, der meint, in den letzten vier Jahren sei einfach nur ein neues Medium hinzugekommen (und der dann auch noch die Phrase Nr.1 anbringt, noch nie habe ein Medium ein anderes verdrängt) in seinem Job in den nächsten Jahren in große Schwierigkeiten kommt. Weil er nicht begreift, dass digitale Medien alles anders machen; von der Rezeption über die Nutzung von Inhalten bis hin zu völlig neuen Zielgruppen und vermutlich heftig fragmientierten Märkten. Weil er nicht kapiert, dass die Art von Journalismus, die wir in den letzten 30 Jahren hatten, de facto schon tot ist. Gerade im Moment übrigens ist mir die Samstagsausgabe meiner Lokalzeitung auf den Schreibtisch geflattert. Seit ich dort vor 11 Jahren aufgehört habe, hat sie knapp 20.000 Exemplare Auflage verloren. Ein de-facto-Monopolblatt, ganz ohne jegliche Konkurrenz. Im streng konservativen Niederbayern, wo sich Entwicklungen im Regelfall deutlich später niederschlagen als andernorts. Wäre ich jetzt nochmal 30 und würde dort arbeiten, würde ich schnellstens das Weite suchen. So viel Mathe beherrsche sogar ich, um eine kleine Hochrechnung anzustellen.
Doch, guten und kompetenten Journalismus können wir immer noch gut gebrauchen; selbst in 100 Jahren noch. Das Beharren auf irgendwelchem althergebrachten Kram dagegen sollte eigentlich gar nicht zu uns Journalisten passen. Wenn ich es richtig beobachte, dann sind es doch gerade wir, die regelmäßig in klugen Leitartikeln Bereitschaft zu Reform und zu Veränderung fordern. Nur bei uns selber sind war da eher etwas zurückhaltend.
„Phrase Nr. 1“ ist gut. Es gibt so viele davon, dass man eine ganzes „Lexikon der Print-Apostel“ füllen könnte. Da würde dann „verzahnt“, „verlöngert“ und „integriert“ bis der Arzt kommt….
Wir leiden unter einer massiven Inflation der Information. Sie führt zum Verdruss. Austauschbare dpa-Jauche auf fast jeder Site. In den Zeitungen nur zwei bis drei Stücke, die selbstgeschnitzt sind. Also wenden wir uns gelangweilt von den Mainstream-Medien ab:
„If the news is that important, it will find me.“
— Unbekannter amerikanischer College Student anlässlich einer Studie über das Medienverhalten junger Leute
Ein wirklich guter Artikel, den sich aber nicht nur die Print-Journalisten alter Schule zur Brust nehmen sollten, sondern auch wir Blogger: Denn wir reizen die Möglichkeiten unseres Mediums bei weitem noch nicht aus und folgen bisweilen vorschnell den Stereotypen und gängigen Modi, die sich in der noch jungen Gattung schon gebildet haben. Mich selbst nehme ich von dieser Kritik gar nicht aus.
Zu Ihrem Text: Papier raschelt. Immerhin etwas. (dank an Perlentaucher für die Information diesbezüglich) (zu meiner Anregung: wenn veröffentlicht, bitte nur ohne Name oder mit künstlichem Web-Namen: danke)
Taktik statt Haptik: Da all diese Erkenntnisse nicht neu sind – warum wehrt sich die Zeitungsbranche trotzdem vehement, A die entsprechend visionäre Zielgruppe einzustellen, um B die einhergehende Zielgruppe neu / anders / zurück zu gewinnen. Ist es ein neues Phänomen, dass die Print-Journalisten zuschauen, wie Ihnen die jungen Talente weg brechen und somit Ihre Zielgruppe, und die der Tageszeitung, mit ins Netz, aufs Mobiltelefon oder auf den mp3 Player nehmen. Wenn das Phänomen neu wäre, dann wäre der Print-Journalismus nicht da, wo er heute ist: Also, früher war alles gut?