Online = Boulevard

Es gibt Meinungen, die sind einfach nicht auszurotten. Sozusagen meinungsmäßige Selbstläufer, durch nichts und niemanden so wirklich zu belegen, aber dennoch unausrottbar. Eine von diesen Selbstläufermeinungen aus der Kategorie „Keiner weiß, wo´s herkam“ entsteht gerade. Sie lautet in etwa so: Onlinejournalismus zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er kurz, knapp, boulevardesk, ohne irgendwelchen Tiefgang und denkbar leicht zu konsumieren sei. Sagen – erstaunlicherweise – nicht vor allem diejenigen, deren Geschäft hauptsächlich der Boulevard ist, sondern diejenigen, deren größtes Interesse eigentlich sein müsste, einen Onlinejournalismus zu etablieren, der genau das Gegenteil von platt, reißerisch und oberflächlich ist.

Dreimal ist mir in den vergangenen zwei Wochen diese Auffassung vom naturgegeben boulevardesken Onlinejournalismus begegnet, mit teils erstaunlichen Begründungen. Ein Redakteur beispielsweise einer großen süddeutschen Zeitung begründete das so, es liege „in der Natur der Sache“, dass der Online-Auftritt einer großen süddeutschen Zeitung deutlich mehr Boulevard mache als die Printgausgabe. Ach ja – das liegt in der Natur der Sache? Verstanden habe ich das bis heute nicht, nachdem mir aber wie gesagt kurz darauf nochmal zwei an sich kluge Menschen begegnet sind, die zwar nicht bei dieser großen süddeutschen Zeitung arbeiten, dennoch aber die Gleichung „Online=Boulevard“ aufmachten.

Ob es daran liegt, dass Spiegel Online da eine leider etwas fatale Vorbildfunktion einnimmt (eingedenk der Tatsache, dass für viele Online-Laien SPON der Inbegriff einer Nachrichtenseite ist)? SPON macht Boulevard, keine Frage, vielleicht macht das auch den herausragenden kommerziellen Erfolg der Seite aus. Aber nirgends steht geschrieben, dass Online Boulevard sein müsse, nicht einmal dann, wenn man das Ganze kommerziell erfolgreich betreiben will. Es gibt kein solches Naturgesetz und ich würde sogar bezweifeln, dass es (Achtung, Buzzword) Qualitätsmedien gut tut, ihre Qualitätsmaßstäbe im Web über den Haufen zu werfen. Wie auch immer sich der kommerzielle Erfolg von Angeboten wie SPON oder sueddeutsche.de auswirken mag, dass er zur Reputation der Mutterblätter beiträgt, würde ich ganz erheblich in Zweifel ziehen.

Aber vielleicht wäre es ja schon mal ein Schritt zu einem besseren Onlinejournalismus in Deutschland, würde man erst gar nicht zulassen, dass sich die Gleichung mit dem Boulevard etabliert.

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