Hier und an vielen anderen Stellen hat man sich in den letzten Wochen wahlweise echauffiert oder auch einfach nur lustig gemacht über den Versuch von sueddeutsche.de, alles, was auch nur halbwegs nach Foto aussieht, zu Bildergalerien aufzuplustern. Der Hintergrund ist klar: Klicks sollen her, egal wie. Klicks sind die Währung, um die sich die Online-Welt dreht und die, so meint man weitverbreitet, das einzige sind, was man zähl- und spürbar vermarkten kann. Etwas anderes kann (bei den anderen natürlich auch nicht) kaum dahinter stecken, wenn die Onlineausgabe der SZ inzwischen sogar Witze, Werbeslogans und Bierflaschen zu ausgedehnten Bilderstrecken macht. Wirklich zwingende, journalistische Gründe habe ich bei den Bilderstrecken der SZ in den allerwenigsten Fällen ausmachen können. Fabian Mohr schreibt denn auch korrekterweise bei onlinjournalismus.de: „Hans-Jürgen Jakobs will Klicks, um jeden Preis. Klappt auch. Wenn man von mittelschweren Kollateralschäden für die Online-Marke SZ absieht – die steht seit Jakobs für eine rapide und bisweilen erstaunlich krude Verflachung.“
Korrekt – aber nur zum Teil. Denn Fabians Schlussfolgerung, das mit den Klicks würde auch klappen, stimmt nur sehr eingeschränkt, wenn man die letzten vier Monate, die durchaus von Bilderstrecken-Orgien gepflastert waren, anschaut. Laut IVW-Jahresvergleich zwischen September 2006 und September 2007 sind die Zahl der Visits und der PI´s (wie bei den meisten anderen Angeboten auch) moderat gewachsen. Das Verhältnis zwischen PI´s und Visits ist aber in diesem Zeitraum nahezu unverändert geblieben: 7,75 im September 2006, 7,70 im September 2007. De facto haben also die exzessiven Galerien überhaupt nichts gebracht, außer reichlich Spott – und der Erkenntnis, dass User möglicherweise doch nicht jeder Klickmaschine auf den Leim gehen.
Und noch eines spricht gegen eine nur zu leicht durchschaubare Klick-Strategie: Im letzten halben Jahr hat sich die SZ weder bei den Visits noch den PI´s spürbar bewegt. Man befindet sich auf dem selben Stand wie im März 2007. Nur zum Vergleich: Welt online hingegen hat im selben Zeitraum von 36 Millionen PI´s auf 78 Millionen PI´s zugelegt. Ebenso stiegen die Visits von 5,9 auf 8,5 Millionen. Und schließlich noch ein Blick auf das Verhältnis PI pro Visit: 6,16 im März. 9,16 im September.
Möglicherweise also hat man dann doch ein paar Argumente bei den nächsten Diskussionen zur Hand, wenn es mal wieder heißt, ohne Bilderstrecken um jeden Preis seien Onlineangebote ökonomisch quasi nicht tragbar.
Wenn das Visit/PI-Verhältnis durchsackt, kommt schon mal Hektik auf. „Nichts gebracht“ ist deshalb nicht ganz richtig, es ist eine Frage der Perspektive. sueddeutsche.de sieht sich – hier jetzt meine völlig unsubstanzielle Vermutung – wahrscheinlich sogar bestätigt in ihrer Bildergalerie-Strategie. Weil es ihnen geholfen hat, Visit/PI halbwegs stabil zu halten. Wie hätte sich dieser Wert in den vergangenen Monaten entwickelt, wenn sie auf ihre Klickmaschinen ganz verzichtet hätten? Nicht zum besten, right? Ob diese Strategie andererseits so richtig weitblickend ist und der SZ als Marke nur gut tut – andere Frage.
Man tut dem guten Hans-Jürgen Jakobs unrecht, wenn man ihn als bloßen Bilderstreckenspezi darstellt. Gestern hatte er zum Beispiel ein sehr langes und substanzreiches Interview mit Hans-Werner Sinn drin. Seine Hintergrundberichte über die Medienszene, ebenfalls auf SZ-online, sind unerreicht. Und dann findet man auf der Seite immer wieder exklusive, spannende, flirrende Geschichten, die es anderswo so nicht gibt. Man muss die Bilderstrecken ja nicht anklicken.
Burschi, Sie haben den Denkfehler bei sueddeutsche.de ganz gut formuliert: Dass die prolligen Inhalte schon irgendwie von den guten Texten nivelliert werden.
Auf Print übertragen: Statt Reportagen dann halt 50 Schülerwitze auf Seite 3. Muss man nicht lesen. Ab Seite 4 dann weiter mit soliden Nachrichten.
Die SZ wird nicht geschätzt, weil sie im Schnitt so lala ist – sondern weil sie m.E. bei all ihren Unvollkommenheiten eine verlässlich gute, gewitzte, lesenswerte Zeitung ist. Daraus leitet sich die Treue ab, mit der die Leute die SZ lesen. Und die Frustration über sueddeutsche.de.
Nichts gegen die Bilderstrecke, ich klick sie manchmal sogar selber an, prollig, wie ich bin.
Mir ist das Argument der Online-Puristen etwas zu prinzipiell. Warum soll es nicht legitim sein, die Klickzahlen per Bilderstrecke zu erhöhen? Wenn es der Markt fordert, dann bekommt er es auch. Und wenn die Anzeigenkunden dereinst merken, dass die Klickzahl keine echte Währung ist, dann wird die Bilderstrecke automatisch zurückgehen. Erledigt alles der Markt, das ist ja das Schöne am Internet.
Übrigens hab ich auch beim so vorbildlichen Spiegel-online schon so manche Bilderstrecke gesehen.
Grundsätzlich hat das Foto seine Berechtigung im Journalismus über Jahrzehnte nachgewiesen. Nicht einmal die FAZ kommt auf ihrer Seite eins mehr daran vorbei.
Danke für die engagierte Diskussion!
>>> Grundsätzlich hat das Foto seine Berechtigung im Journalismus über Jahrzehnte nachgewiesen.
Sicher. Was genau hat das aber mit den Bildergalerien bei sueddeutsche.de zu tun? Sie verwechseln die jetzt nicht mit Fotojournalismus, oder? 🙂
@burschi: Dass SPON und andere diesen Bildergalerien-Kram mitmachen, macht es nicht besser und ist per se kein Argument. Nur ist es mir bei den meisten anderen egal, ich nehme es schulterzuckend hin. Bei „meiner“ SZ nervt es mich aber ungemein. Ich lese doch nicht SZ, um dann sagen zu können: die anderen sind auch nicht besser. Und um nicht falsch verstanden zu werden: Gegen gute Bildergalerien ist nichts einzuwenden, solange sie halbwegs das sind, was Fabian als „Fotojournalismus“ bezeichnet. Wenn man 30 Schülerwitze zur Bildergalerie macht, wird´s albern und lächerlich.
Meine Vermutung wäre, auch wenn das bei Bildergaleriefabrikanten abgestritten wird: Der User „klickt“ und kommt wieder, wenn ihn die Inhalte interessieren.
!
Das spricht nicht gegen Bildstrecken, aber gegen dümmliche, lange Bildstrecken mit SZ-typischen Ladezeiten.
Die angebliche „Stabilisierung“ ist eine Verbrämung für billigst hergestellten Content und hatte den Nachteil, etliche Nutzer zu vergraulen. Die Attraktivität der Bildstrecken wird überschätzt, deren Design und Länge macht deutlich, dass man bei der SZ nicht die allergeringste Ahnung hat, (schlimmer noch: Ahnung haben will!) was die Nutzer von SZ-Online interessieren könnte.
Es bleibt ein Trauerspiel.