Diplom-Korinthenk…

Liebes Bildblog,

normalerweise würde ich ja bei euch kommentieren. Kann man bei euch aber nicht. Nein, keine Sorge, es kommt jetzt nicht die überaus akademische Frage, ob ein Blog nur ein Blog ist, wenn darin kommentieren kann. Sondern eher was anderes. Nämlich, dass ich allmählich den Eindruck nicht los werde, dass ihr ziemlich genau das tut, was ihr der Bild regelmäßig vorwerft: Ihr seit populistisch. Ihr blast Kleinkram zur vermeintlich großen Nummer auf. Und ihr schielt auf Quote (weswegen es von diesem Beitrag aus hier auch keinen Link gibt). Und ihr ruft zur Paparazzi-Jagd auf den Chefredakteur auf.

Franz Josef Wagner, man kann zu ihm stehen wie man mag, hat einen seiner Briefe geschrieben. Diesmal ging es am Rande auch um Winnetou und dessen Ende durch die Kugel eines Bösewichts. Wagner ordnete diese eine, für Winnetou tödliche Kugel, dem „bösen Santer“, respektive also einem festen Schützen zu. Das, so habt ihr investigativ recherchiert und an Langatmigkeit kaum zu übertreffen erklärt, ist wohl so nicht richtig, denn, so schreibt ihr:

Karl May lässt die Identität des Schützen also offen.“

Und dann, weil gerade in Fahrt, erklärt ihr weiter:

Zwar erschoss der „böse Santer“ Winnetous Vater Intschu-tschuna und Winnetous Schwester Nscho-tschi; dafür, dass er sich zur Tatzeit am Hancockberg aufhielt, gibt es jedoch keine Belege.

Liebe Bildblogger, bitte: Sagt mir, dass das nicht euer Ernst ist. Dass ihr allen Ernstes eure Zeit der Frage widmet, dass ein Bild-Kolumnist in einem Nebensatz einer Kolumne, in der es eigentlich um ganz was anderes geht (nämlich Harry Potter) vermutlich einen klitzekleinen und einigermaßen unerheblichen Fehler gemacht habt. Dass ihr das als „Kritische Notizen“ verkaufen wollt. Freunde, mit Verlaub, wenn mir das ein Finanzbeamter erzählt, ok, dann denke ich mir: Der kann nicht anders. Um mich zu outen: Ich bin mir sicher, Fehler dieser Art sind mir in meinem über 20jährigen Journalistenleben zu Hunderten passiert. Ich weiß, ihr werdet sagen, dass das nicht für mich und meine Arbeit spricht, aber wisst ihr was: So ticken wir Menschen nun mal. Wir machen solche Fehler. Wenn ihr die alle auflisten wollt, dann müsst ihr ein neues Blog gründen. Wobei ihr dann aber die Gewähr habt, jeden Tag ca. 200 Beiträge posten zu können, von der SZ bis hin zum Weilheimer Tagblatt.

Was mich besonders nervt bei dieser Debatte: Man muss euch ja gut finden. Wer euch nicht gut findet, steht im Generalverdacht, alles, was Bild schreibt, vorbehaltlos gut zu finden. Dabei finde ich, dass man sich durchaus sehr kritisch und sehr differenziert mit der Bild auseinandersetzen darf/kann/soll/muss. Nur ist das, was ihr tut, das Gegenteil von Differenzierung. Was differenziert ist, könnt ihr beispielsweise im neuen Buch von Wolf von Lojewski nachlesen, der darüber schreibt, dass die Bild in ihrer Geschichte durchaus ihre Scoops landete, allerdings auch einige bittere Pleiten im Portfolio hat. In eurer Sichtweise hat, fürchte ich, nur die eine Seite ihren Platz. Hat allerdings aus meiner Sicht heraus auch was mit Bequemlichkeit zu tun: Nichts ist einfacher, kein publizistischer Erfolg leichter zu haben, als gegen die größte und umstrittenste Tageszeitung in Deutschland zu schießen. Das ist wie mit McDonald´s oder der Deutschen Bahn: Man kann sich des Applauses eines großen Publikums sicher sein, man geht quasi null Risiko.

Ich glaube auch nicht mal mehr, dass ihr einen wirklichen Beitrag zur Debatte über den (Bild-)Journalismus leistet. Ihr seit everbody´s darling (außer natürlich bei Springer) und ich wette, es gibt einen beträchtlichen Teil von Lesern, die nur zu euch kommen, um sich mit ein bisschen Häme und Schadenfreude für den Tag munitionieren zu können. Zuverlässig wissen sie ja inzwischen auch, wo sie das kriegen. Anders kann ich mir jedenfalls kaum erklären, dass man sich mit Bagatellen wie dem Todesschützen Winnetous mit so viel verbissener Ernsthaftigkeit auseinander setzen kann. Oder damit, dass Klatschreporterinnen einen Hollywoodstar zum „Habenwollen-Traummann“ deklarieren, obwohl der „bekanntlich“ schwul ist (ja und…deswegen kann er trotzdem für die holde Weiblichkeit ein „Traummann“ sein, oder ist diese Möglichkeit in eurem Weltbild auch nicht vorgesehen?)

(*Disclaimer: Ich bin gelegentlich an der Springer-Akademie als Dozent zu Gast. Ich habe allerdings, bevor jemand nachzurecherchieren versucht, publizistisch bisher weder print noch online für Bild gearbeitet).

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. holgi

    Ich weiss, ich weiss – oftopic. Aber es interessiert mich. Unter welchen Umständen würdest du für Bild arbeiten?

  2. stefan niggemeier

    okay, die tatsache, dass die „bild“ den winnetou-fehler heute in ihrer korrekturspalte korrigiert hat, ist ein indiz dafür, dass er vielleicht tatsächlich sehr unwichtig war. (andererseits weiß ich nicht, warum du dem eintrag „verbissene ernsthaftigkeit“ unterstellst. ich meine, er trägt die überschrift: „was denn für mehlpappe überhaupt?“ (!) und läuft auf die, wie ich finde, schöne pointe hinaus, dass wagner von sich sagt: „durch märchen wurde ich journalist“.)

    aber natürlich kann man darüber streiten, ob wir das hätten bloggen sollen. ich bestreite gar nicht, dass leute uns auch lesen, weil sie einfach unterhalten werden wollen. und dass wir manchmal sachen aufschreiben, weil wir denken: das wird unseren lesern gefallen. nicht so sehr aus einem schielen nach quote (da könnten wir noch ganz andere sachen aufschreiben), sondern weil das doch ein normaler journalistischer reflex ist: sachen aufzuschreiben, von denen man weiß, dass die leser daran interessiert sind. oft genug widerstehen wir diesem reflex, aber das sieht man dann natürlich nicht.

    was ich aber eigentlich sagen will: deine these, dass man bildblog nicht kritisieren darf, dass wir irgendwie sakrosankt sind, ist absurd. ich könnte dir viele links schicken zu leuten, die uns kritisieren, mal fundamental und massiv, mal detailliert und konstruktiv. immer noch auf bildblog verlinkt ist aktuell ein langer artikel im „freitag“ über „bild“, der unsere arbeit ermüdend und, schlimmer: verharmlosend nennt.

    nein, die zeiten, als wir „everybody’s darling“ waren, sind lange vorbei, und das ist auch gut so. du kannst bildblog kritisieren, ohne dich in diese merkwürdige märtyrer-rolle zu begeben.

  3. Thomas Mrazek

    Man kann die Art der Bildblogger – zumal bei geschildertem Beispiel – als Korinthenkackerei auffassen, man kann es aber auch als akribische und um größtmögliche Genauigkeit bemühte Arbeit sehen – ob das nun das Publikum nervt (wie Dich) oder gar populistisch erscheint, kann dahingestellt bleiben. Ich glaube sogar, dass diese Akribie von einem Großteil der Nutzer eher als unangenehm, weil unspektakulär, empfunden wird. Das Streben um Genauigkeit als Quotenschinderei abzutun, halte ich also für falsch – ich würde es genauso machen.

    Diese Form der „Bild“-Kritik als bequemen, risikofreien publizistischen Weg abzutun, halte ich ebenso für falsch. Nolens volens ensteht dabei natürlich das klischeehafte Bild der aufrechten Einzelkämpfer gegen den übermächtigen Springer-Konzern. Aber zu der Sache gehört einfach mehr.

    Ich bin gespannt, wie es mit dem Bildblog weitergeht, schon vor einem Jahr habe ich mir mal ein paar Gedanken dazu gemacht (aus einem Kommentar bei Onlinejournalismus.de): Jetzt habe ich ausführlich meine Sympathien für dieses Projekt geschildert. So weit, so gut oder auch nicht. Ich habe auch meine Zweifel am Bildblog:
    Wo ist es in ein, zwei Jahren – das kann wohl keiner seriös voraussagen? Wie entwickeln sich die Leserzahlen, wie läuft es mit der Vermarktung, was passiert wenn die Leserzahlen zurückgehen, wie ist es dann um die Motivation der Projektbeteiligten bestellt? Sind viele Leser nach einer gewissen Zeit nicht gelangweilt und wollen was Neues, Spektakuläres sehen? (…) Wird die “Bild” zumindest ihr Qualitätsmanagement entscheidend verbessern und immer weniger Vorlagen liefern? Wo bleibt der große Scoop oder können sich die Bildblogger auf Dauer mit diesen “Nadelstichen” zufrieden geben, wird mancher fragen, welche Relevanz hat das denn noch?

  4. cjakubetz

    @holgi: Unter gar keinen. Ich verstehe nichts von Boulevard, ich kann kein Boulevard und ich will auch keinen Boulevard machen. Ich bestreite nicht die Notwendigkeit und die Existenzberechtigung von Boulevard, aber es ist definitiv nicht mein Metier.

  5. stefan niggemeier

    die fragen von thomas sind sicher berechtigt. ich frage mich aber auch, was so ein „scoop“ wäre.

    ich kann zum beispiel bis heute nicht glauben, dass kein anderes medium diese geschichte aufgegriffen hat: http://www.bildblog.de/2180/im-zweifel-fur-den-rufmord

    oder auch diesen skandal: http://www.bildblog.de/2354/sorglos-und-ohne-erkennbare-recherche

    und folgen hatten unsere recherchen auf jeden fall für trutz hardo: http://www.bildblog.de/index.php?s=trutz+hardo

    war das ein „scoop“? keine ahnung. aber sicher mehr als nadelstiche.

  6. Sebas

    Kann bei den Erklärungsversuchen dieses Textes jemand etwas mit der Vokabel „Humor“ anfangen? Ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert.

  7. cjakubetz

    Stefan, nicht lachen, die Frage ist ernstgemeint: Kann es nicht u.U. sein, dass genau aus diesem Grund – eben weil ihr die sakrosankten Blogger seit, die die Berichterstattungüber Bild monopolisiert habt – also, dass genau aus diesem Grund niemand anderes die von dir genannten Themen aufgegriffen hat?

  8. Horst Müller

    Ich mag Leute – und Blogger, die nicht immer nur mit der Meute jaulen; deshalb mag ich Christian Jakubetz und habe JakBlog ab sofort in die Favoriten-Liste bei blogmedien aufgenommen.

  9. stefan niggemeier

    noch einmal: wir sind nicht sakrosankt, und mit ein ganz bisschen recherche könntest du das auch nachvollziehen. (schade, dass du auf keinen einzigen meiner punkte eingegangen bist.)

    aber ich versteh deine letzte frage schon, und, ehrlich gesagt: ich weiß es nicht. dagegen spricht, dass die zeitungen auch vorher schon fast nicht über die „bild“-skandale berichtet haben. die begründung: „wir müssen ja nicht mehr, macht bildblog ja schon“, kann also nicht stimmen. zeitungen greifen ja manchmal eher die kleinigkeiten von uns auf; wagners 180-grad-wende in sachen tour-de-france-übertragung ist von mehreren medien aufgegriffen worden, unsere widerlegung der mär, dass beim grand-prix der ostblock sich selbst zum sieg gemauschelt hat, war auch sehr populär.

    ich glaube, nicht lachen, dass „bild“ sakrosankt ist. ich weiß von nachrichtenagenturen, dass die gerne mal die ein oder andere meldung von uns aufgreifen würden, es aber nicht können, weil sie sich nicht mit „bild“ anlegen dürfen. der öffentlich-rechtliche rundfunk (abgesehen von „zapp“) traut sich nicht, mit uns zusammenzuarbeiten. faz und spiegel sind auf höchster ebene mit „bild“ verbandelt. und du glaubst nicht, wie oft wir erleben, dass leute sagen: oh, nein, lieber nicht mit „bild“ anlegen.

    ein anderes beispiel: fast alle medien haben vor einem jahr groß über die einrichtung einer korrekturspalte in „bild“ berichtet und sich gefragt, wie das wohl aussehen wird. seitdem hat meines wissens nie wieder eine zeitung oder eine zeitschrift darüber berichtet, um die eigene frage zu beantworten und ein fazit zu ziehen (wie positiv oder negativ auch immer). wir haben ihnen im bildblog zwei tage vor dem jubiläum eine ganze materialsammlung geliefert. hat kein anderes medium interessiert.

    spricht das gegen uns? oder gegen die medien? oder weder noch?

    ich habe eine ahnung, von wievielen leuten, auch einflussreichen leuten, sagen wir: im bundestag wir gelesen werden. vielleicht reicht das. ohne uns hätte niemand je wieder über diese verlogene korrekturspalte geschrieben. oder über den mann, den „bild“ zum „kinderfänger in der unterhose“ gemacht hat.

    eins noch, wo ich gerade in fahrt bin: ich werde immer skeptisch, wenn leute uns nicht nur kritisieren, sondern das verbinden mit einer variation des satzes: „ihr tut genau das, was ihr ‚bild‘ vorwerft“. du meinst, wir würden „bild“ „populismus“ vorwerfen. das tun wir ungefähr nie. wir werfen „bild“ fehler vor, persönlichkeitsrechtsverletzungen, schleichwerbung, übertreibungen, verdrehungen. „populismus“? nein. wenn „bild“ populistisch gegen die diätenerhöhungen schreibt, müssen eigentlich immer bösartige verdrehungen hinzukommen, dass wir das aufgreifen.

    wäre das problem der „bild“-zeitung ihr populismus, würde es bildblog nicht geben.

  10. Horst Müller

    Schön, nachdem nun vermeintlich verletzte Eitelkeiten sachlich ausdiskutiert wurden, können sich gestandene Medienjournalisten wieder den wirklich wichtigen Dingen zuwenden. Ich brauche dringend Unterstützung beim „Windmühlenkampf“ gegen die kleinen und großen Schweinereien in deutschen Radios. Stelle gern Infos, Material und Know how zur Verfügung – verlange dafür weder Honorar noch Links und/oder Erwähnung zu/von blogmedien. Danke an Christian Jakubetz, dass in JakBlog die Frühaufstehübung von Antenne Bayern thematisiert wurde.

  11. Joern

    Ich frage mich gerade was man mehr Auslachen sollte: Leute die lange Absätze über Kleinigkeiten schreiben oder Leute die lange Absätze darüber schreiben das andere Leute lange Absätze über Kleinigkeiten schreiben. Ganz grosses Kino, ehrlich.

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