Ich bin groß geworden mit Zeitunglesen und mit dem 20-Uhr-Ritual der Tagesschau. Diese beiden Dinge gehörten zu einem Tagesablauf unabänderlich dazu, beide erklärten mir die Welt. Beide waren an bestimmte Uhrzeiten und Situationen gebunden. Die Zeitung habe ich irgendwann morgens aus dem Postkasten geholt, die Tagesschau um 20 Uhr eingeschaltet, weil jetzt eben DIE Nachrichten kamen. DIE und keine anderen. Allenfalls die heute im ZDF, aber die hieß damals ja schon die Tagesschau im Zweiten.
Ich habe in den letzten Zeit viel zu viel zu tun gehabt, um diese Rituale weiter zu pflegen. Eine Tageszeitung habe ich alleine schon deswegen nicht abonniert, weil ich zu oft und zu viel unterwegs bin, als dass es nicht viel sinnvoller wäre, die Zeitung dort zu kaufen und zu lesen, wo ich mich gerade befinde. In der letzten Zeit allerdings nicht mehr das: Mehr und mehr habe ich für mich selbst festgestellt, dass das Lesen einer Zeitung für mich Luxus ist. Ich mache es gelegentlich gerne,es macht mir Spaß – aber ich brauche sie nicht mehr. Der Nachrichtenteil ist komplett überflüssig für mich, die Anzeigenmärkte ebenfalls, bleiben also Leitartikel, Kommentare, Reportagen. Das ist immer noch eine Menge, aber eben nicht das, was mein publizistisches Grundnahrungsmittel ist. Das hole ich mir schon lange woanders. Diese Woche habe ich erst einmal eine SZ in die Hand nehmen können, habe aber irgendwie nicht das Gefühl, mir würde etwas fehlen. Die Tagesschau habe ich diese Woche noch gar nicht gesehen, warum auch? Nachrichten mit bewegtem Bild gibts anytime, anywhere – und wenn ich dann mal noch wirklich die 20-Uhr-Tagesschau sehe, dann hat das eher was Nostalgisches an sich.
Umgekehrt ist es ein Trugschluss zu glauben, man könne bestehende Loyalitäten einfach mal so mitnehmen ins Netz. Wenn ich 30 Jahre Tagesschau gesehen habe, heißt das noch lange nicht, dass tagesschau.de die Nachrichtenseite meines Herzens ist. Wenn ich ein alter Liebhaber der SZ bin, muss ich deswegen noch lange nicht sueddeutsche.de zu meiner Startseite machen. Und umgekehrt mag ich derzeit zwar durchaus welt.de ganz gerne, komme aber dann doch noch nicht auf den Gedanken, die gedruckte Welt zu abonnieren (der Satz funktioniert auch, wenn man „Welt“streicht und durch FAZ ersetzt).
Das also, was ich wirklich haben muss, das findet im Netz statt. Alles andere – schön, wenn es das gibt. Soviel als Wanderpredigt des Tages für diejenigen, deren stärktes Argument für Old Media immer noch der alte Gassenhauer ist, noch nie habe ein neues Medium ein altes…
Manueller Trackback:
„Nur mal so zwischendurch, weil es einer dieser Texte ist, bei dem man sich während des Lesens beim zustimmenden Kopfnicken erwischt:
Abschied von Zeitung und Tagesschau [JakBlog]
Genau so ist das. Das nostalgische Gefühl (…)“
http://www.floriansteglich.de/blog/2007/03/07/so-isses/
Die Weisheit über die neuen und alten Medien trifft auf das Internet in dem Maß nicht zu, weil es nicht nur ein neues Medium, sondern auch ein neuer Verbreitungs- und Vertriebsweg ist. Besonders Fernsehen und Radio werden das zu spüren bekommen, weil hier das Nutzungserlebnis für den Konsumenten vergleichbar ist – und sich noch ähnlicher werden wird. Denn Fernsehen und Radio können über das Internet vertrieben werden und sind Dank der technischen Möglichkeiten sogar flexibler. So kann ich beispielsweise selbst bestimmen, wann ich welche Sendung sehen/hören will. Mein iPod weiß besser, welche Musik mir gefällt, als irgendein Radiosender.
Bei Zeitungen und Zeitschriften sieht es (noch) etwas anders aus, weil das Trägermedium Papier Reize und praktische Vorteile hat, die das Internet nicht nachahmen kann. Aber mit neuen „Internet Devices“ wird sich das in den kommenden Jahren verändern. Dass Zeitungen das nicht verstanden haben, zeigt mir beispielsweise die Imagekampagne „Wer liest, versteht“. Denn lesen kann ich auch im Internet – und das ausführlicher, aktueller und individueller als in jeder Zeitung. Das Umdenken beginnt erst sehr langsam.
Mir geht es jedenfalls ähnlich wie Dir. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass sich solche Erkenntnisse und Erlebnisse von den „Heavy Usern“ auch auf weite Teile der Durchschnittsnutzer ausbreiten. Und dann müssen sich Zeitungen im Mix der Informationsangebote neu positionieren.
Ohja, daran, dass man auch im Internet trefflich lesen kann, hatte ich noch gar nicht so gedacht – aber du hast recht: Ein solcher Claim zeigt, dass man bei den Zeitungen vielerorts alles mögliche verstanden hat, nur nicht das, was gerade passiert. Hab ich mir jedenfalls als Argument für alle denkbaren Panels und sonstige Veramnstaltungen ins Hirn eingebrannt und werde dich aber immer als Quelle nennen 😉
Vielen Dank in jedem Fall