Vorweg eines: Ich mag den gedruckten „Focus“ nicht. Ich mochte ihn noch nie. Seit seiner ersten Ausgabe vor gefühlten 50 Jahren habe ich vielleicht zwei Geschichten bis zum Ende gelesen. Maximal drei Titelgeschichten hätte ich generell spannend gefunden, der Rest ist für mich die journalistische Pest: Listen, Grafiken, viel leere bunte Hülle und inhaltsleeres Geschwafel. Ich lese den „Spiegel“ nicht aus Überzeugung, sondern um „Focus“ zu entgehen. Dies als Generalabsolution und als Erklärung dafür, warum die kommenden Zeilen nicht den Hauch des Anspruchs auf objektive Betrachtungsweise erheben können.
In dieser Woche war die Neugier dann doch zu groß: eine Titelgeschichte über Web 2.0. Ich war zwar erstaunt, dass das generell so sehr auf Trendsets erpichte Magazin erst jetzt mit diesem Thema des Weges kommt, aber gut – wenn sie sauber recherchiert ist und neue Perspektiven aufzeigt, warum nicht. Rausgekommen ist, dass ich endlich gelernt habe, warum ich mit diesem Magazin nix anfangen kann. Über den entsprechenden Titel des „Spiegel“ vor wenigen Wochen konnte man diskutieren, er bot einigen Stoff, der es Wert war, ihn wenigstens zu lesen. Die „Focus“-Geschichte las sich wie die Magazin-Form des Buchs „Internet für Dummys“. Ausgerechnet in einer Woche, in der (dumm gelaufen) YouTube von Google gekauft wird, erklärt der Focus seinen Lesern, dass YouTube eine Bewegtbildplattform sei, auf der alle mitspielen dürfen. Es wird erklärt was My Space ist und was Open BC ist und was FlickR ist und was…
…lassen wir das.
Zwei Dinge, die mir von dem unsäglichen Titel abgesehen noch aufgefallen sind: Erstens täte dem Blatt ein guter Bildredakteur gut. Die Fotoauswahl besteht in erster Linie aus klinisch-sterilen Lächelbildchen. Mit dem Ergebnis, dass „Focus“ optisch in etwa wirkt wie ein Möbelprospekt mit vielen Grafiken. Und zweitens würde man dem Blatt einen guten Schlussredakteur wünschen, einen, der nicht nur Fakten, Fakten, Fakten checkt, sondern gelegentlich auch so etwas wie Gefühl für die Sprache entwickelt. So liest man beispielsweise in einem der seuchenartig verbreiteten Erklärstückchen, dass die Zahl „360“ bei Web 2.0 nicht etwa der Siedepunkt sei, an dem sich die Idee des Web 2.0 auflöse, sondern…aua. Das tut weh. Verdammt weh. Und wer eine echte Ahnung über journalistischen Altherrenwitz bekommen möchte, lese einfach das „Tendezometer“. Wenn eine Schülerzeitung vor 25 Jahren versucht hat, „Tempo“ zu imitieren, muss sich das ähnlich gelesen haben.
Und irgendwann mal, erschlagen von Kästchen, Grafiken, schlechten Wortwitzen, wenn du dir vorkommst, als hättest du statt eines Dinners eine Pappschachtel gegessen, stößt du dann noch auf eine Geschichte über die potenziellen Nachfolger von Edmund Stoiber, und du liest, dass momentan Joachim Herrmann Favorit sei und dass Huber und Beckstein irgendwie nicht so in Frage kämen, wenn Stoiber erst 2010 oder 2011 Platz macht, weil sie dann schon Mitte bzw. Ende 60 seien und damit nicht wirklich für einen angestrebten Generationenwechsel stünden, und dann überlegst du dir, was du eigentlich mit einem Volontär machen würdest, wenn du Chef der Politikredaktion eines Regionalblättchens wärst und der Volo würde dir diese Geschichte auf den Tisch legen…