Zwei Tage Wien, zwei Tage die Großen und Mittelgroßen und vor allem die Internationalen des Zeitungsgeschäfts auf einem Haufen. Zwei Tage Debatten, die sich früher darin erschöpften, ob als Spaltenbreite 43 mm ausreichend seien oder ob es doch lieber 45 mm sein sollen. Und die ansonsten im Applaus endeten für die, die Wettbewerbe im Stil von „Das schönste Leserfoto“ machten.
Inzwischen merkt die Branche unterschwellig, dass es ihr langsam an den Kragen geht und dass man eben mit ein paar kosmetischen Retuschen nicht mehr weiterkommt. Weswegen auf einmal ziemlich viel die Rede davon ist, wie man die Leser an das auf einmal so erstaunlich unsexy wirkende Medium Tageszeitung binden kann. Sehen wir also mal ab vom Dickschiff Zeit, für dass Herr di Lorenzo verkünden konnte, sein Leser lechze förmlich nach einem 800-Zeiler, stehen die Chefredakteure und Geschäftsführer vor ein paar einfachen Fragen: Wie ersetzen wir die abfließenden Rubrikenanzeigen? Wie werden wir inhaltlich wieder relevanter? Und, das vor allem: Wir erreichen wir wieder eine jüngere Zielgruppe, wie stillen wir deren Bedürfnisse nach schneller, digitaler Information?
Erkenntnis 1: Über eine wirklich stringente Strategie hinweg über viele Plattformen verfügt – fast niemand. Mal hier ein Aufflackern von User-Content, da ein bisschen Online-Strategien. Aber die zündende Idee – nicht dabei. Zumal das, was man stellenweise als gelungene Crossmedia-Idee präsentierte, so klang, als sei sie alles mögliche, nur nicht cool und an der Netzgemeinde orientiert. Der Rentner trägt plötzlich eine zerrissene Jeans. Deswegen ist aber immer noch ein Rentner. Leser können per SMS oder Internet Themenvorschläge melden, Nachrichten schicken, Fotos mailen. Schön – aber ist das schon alles?
Erkenntnis 2: Wenn es irgendwo Ansätze wirklicher Innovation und neuer Denkweise zu sehen gibt, dann an den Rändern. In Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen. Deutschland? Viel Leere.
Erkenntnis 3: Wenn man jemals fürs Fernsehen oder für Onlinemedien gearbeitet hat, findet man die Debatte bizarr, es gibt sie aber trotzdem: Nach dem Einsatz von Reader Scan fürchten die Printer jetzt den Siegeszug der „Quote“. Mag gut sein, dass diese Quoten jetzt eine verstärkte Rolle bei der Debatte über Inhalte spielen werden, aber angesichts der in Wien vorgelegten Ergebnisse muss das keine schlechte Idee sein. Es kann jedenfalls niemanden freuen, keinen Leser, keinen Redakteur, keinen Verleger, wenn das Blatt reihenweise Seiten im Blatt hat, deren Quote sehr regelmäßig und zuverlässig bei 0,0 Prozent (wiederhole: nullnull) liegt. Wer also hat etwas von einem Feuilleton, das niemand (und dieses niemand ist wörtlich zu nehmen) liest? Nebenbei bemerkt sind diese Erkenntnisse (Heimatsport liest in bisheriger Aufmachung übrigens auch keine alte Sau) ein schöner Beleg dafür, wie und warum Journalisten jahrzehntelang konsequent an ihren Lesern vorbei geschrieben haben und dabei auch noch die Grundhaltung verinnerlichten, man könne ja nix dafür, wenn der Leser zu dumm sei, um das zu kapieren. Man ist jedenfalls schon gespannt, wie die nächsten Kommentare von Blätter aus Pforzheim und Osnabrück ausfallen, wenn man sich mal wieder dem Diktat der Quote beim deutschen Fernsehen widmet, wenn man selbst gerade erst schwarz auf weiß bestätigt bekommen hat, dass der gestrige Aufmacher zwar eine großartige Geschichte gewesen ist, ihn aber leider niemand richtig zur Kenntnis genommen hat.
Erkenntnis Nummer 4: Doch, eine Lokalzeitung kann auch richtig gut aussehen. In Deutschland eher selten, aber ein Blättchen wie der „Östersunds Posten“ aus Schweden hat eine derart gut gemachte Aufmachung und eine so klare Leserführung, dass dem durchschnittlichen deutschen Tageszeitungsverleger angst und bange werden müsste. Allerdings: Das hat seinen Preis. Die in Wien anwesenden Kollegen aus Skandinavien arbeiteten zu einem beträchtlichen Teil mit Art-Direktoren. Es gäbe viele Blätter bei uns, denen eine solche Investition ziemlich gut täte.