„Fallstudie organisierter Unverantwortlichkeit“ – so hat Stephan Russ-Mohl unlängst die Journalistenausbildung in Deutschland genannt. Ein bitterer und leider wahrer Befund. Dabei müsste man sich gerade jetzt, am Beginn des digitalen Zeitalters, mehr Gedanken denn je zu diesem Thema machen.
Vorweg: Ich habe mitterweile ein gutes Dutzend Semester als Lehrbeauftragter an diversen Unis hinter mir, die meisten davon in Passau. Im April beginnt mein letztes, was am allerwenigsten mit den wirklich wunderbaren und manchmal sogar inspirierenden Menschen am dortigen Lehrstuhl zu tun hat. Und mit der Stadt auch nicht. Passau ist vielleicht verschlafen und irgendwie im besten Sinne auch provinziell, aber trotzdem schön. Ich weiß jetzt schon, was mir fehlen wird, wenn ich im Sommer meine letzte Stunde dort gemacht habe. Und wenn es in Passau eine halbwegs erträgliche Zeitung gäbe, ich wüsste, wo ich gerne meine letzten Berufsjahre verbringen würde.
Trotzdem: Im Sommer ist Schluss.
Journalistenausbildung ist ja ohnehin schon so eine Sache, ich kenne keinen Berufsstand, der vor so großen Umbrüchen steht und bei der Aus- und Weiterbildung seiner personellen Zukunft derart salopp vorgeht (der Begriff „salopp“ steht da nur, weil ich ein gut erzogener Mensch bin. Sonst stünde da was anderes). Aber an Hochschulen, mit Verlaub, das ist albern. „Journalistenausbildung taugt inzwischen als Fallstudie organisierter Unverantwortlichkeit“, schreibt Stefan Russ-Mohl – und weiter:
„Die ‚Crème de la crème‘ der Bewerber wird ohnehin von den privaten, konzernnahen Journalistenschulen abgeschöpft, die ihren Trainees eine Ausbildungsbeihilfe zahlen, eine Berufsperspektive bieten und obendrein die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen weitgehend ersparen. Dort gibt es allerdings auch keine Dozenten mit Professorentitel, die noch nie einen Zweispalter geschrieben haben und dennoch meinen, dem Nachwuchs Journalismus beibringen zu können.“
Das klingt erst einmal nach einem veritablen Rant – und ist doch leider so furchtbar wahr. Wenn man ein bisschen aus der Praxis kommt, wenn man weiß, was gerade da draußen außerhalb der abgeschiedenen akademischen Welt passiert und wenn man dann manchmal zuhört, was manche Profs ihren Studenten erzählen, dann ist man versucht, sofort in einen Hörsaal zu stürmen und unter Vortäuschung eines dringenden Feueralarms die Studierenden zum sofortigen Verlassen des Gebäudes aufzufordern. Ich habe Entwürfe für Curricula von Professoren gelesen, bei denen ich mir nicht sicher war, ob ich lachen oder weinen soll. Und ich habe Berufungen erlebt, bei denen mir für einen Moment echt die Sprache weggeblieben ist. (Liebe ausgeglichene Korrektheitsfanatiker, ich weiß natürlich, dass es auch ganz wunderbare und fähige Professoren und Dozenten gibt; wenn es nicht so wäre, wäre ich nicht sieben Jahre in Passau geblieben). Im übrigen darf man natürlich auch von Lehrbeauftragten nicht allzu viel erwarten: Die Rahmenbedingungen dort sind so, dass man sich einen Lehrauftrag leisten können muss. Und dass man am besten auch noch Idealismus mitbringen sollte. Als Quell des Lebensunterhalts sind solche Jobs wirklich nicht geeignet.
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Aber, protestieren jetzt möglicherweise manche, es gibt doch: DJS, Nannen-Schule und noch ein paar andere, die für hochwertige Ausbildung stehen. Stimmt, man lernt dort einiges. Nur sind diese privaten Journalistenschulen alles andere als ein Querschnitt für unsere Journalistenausbildung. Sie sind kleine elitäre Zirkel, die für kleine elitäre Zirkel ausbilden – und wenn man sich die Lebensläufe dieser Absolventen ansieht, dann stellt man sehr schnell fest, dass dort Namen wie die SZ und der BR (im Süden) und der Spiegel, die Zeit und der Stern (im Norden) überproportional oft vorkommen. Das ist natürlich völlig in Ordnung, aber eben alles andere als ein Beleg dafür, dass die Journalistenausbildung in Deutschland doch eigentlich ganz töffte ist.
Die Realität in den Niederungen der Ebene sieht anders aus. Und alle Beteiligten, Ausbilder wie Auszubildende, wissen das auch. Man arbeitet zwei oder drei Jahre als eine vergleichsweise billige Kraft, man bekommt ab und an vielleicht mal ein externes Seminar und wurstelt sich halt so durch, bis man dann irgendwann mal Redakteur heißt und mit sehr, sehr viel Glück auch einen entsprechenden Anschlussvertrag bekommt. Ich sitze immer wieder in Seminaren mit frustrierten Volos, die nur zu genau wissen, dass das, was ihnen da als „Ausbildung“ verkauft wird, ein lauer Witz ist. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass die Auszubildenden vor allem von Zukunftskram deutlich mehr Ahnung haben als die eigentlichen Ausbilder. Und ich habe deutlich mehr als einmal von Volos unter der Hand den Satz gehört, sie wüssten schon, dass sie gerade nur eher untaugliches Zeug vorgesetzt bekommen.
Das alles ist wirklich nicht neu. Und es löst bei den allermeisten Betroffenen nach wie vor nur Schulterzucken aus. Man sollte halt besser nicht irgendwas mit Journalismus an der Uni (oder auch: FH) studieren – den Rat geben Praktiker schon lange. Man muss sich die Dinge halt irgendwie selbst beibringen – auch das hört man seit Jahrzehnten immer wieder so (ich habe das 1986 auch nicht anders gemacht).
Einen überfälligen Ruck im Fach fordert Stephan Russ-Mohl. Eine schöne Forderung und ein wohlfeiler Glaube. Kommen, da bin ich mir sicher, wird er nicht. Die Realität ist schneller als jede Universität, als jedes Volontariat.
Das scheint mir ein wenig so wie die zig Hochschulen, die jungen Leuten „Jazz & Rock“ beibringen wollen. Die Ergebnisse sind demnach: langweiliger Einheitsbrei, wenn nicht gar daneben bis doof.
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