Die „Süddeutsche“ will sich auf weniger, aber dafür gehaltvollere Debatten im Netz konzentrieren. Klingt erst einmal paradox – wäre aber eine Tendenz, die dem Onlinejournalismus generell nicht schaden würde.
Möglicherweise also werden wir irgendwann in absehbarer Zukunft alle nach Erfolg bezahlt. Nach Reichweite. Nach Aktivitäten in sozialen Netzwerken und der Resonanz, die wir mit unseren Beiträgen irgendwo erzielen. In den USA ist das schon gar kein so ungewöhnliches Modell mehr – und glaubt man diesem Beitrag hier, dann wird sich die Bezahlung nach Erfolg auch bei uns durchsetzen: Traffic verändert den Journalismus. Je mehr, je besser. Je schneller, je schöner.
Ist das so?
In dem an vielen Stellen leider eher langweiligen Roman „Circle“ wird immer wieder beschrieben, wie der Alltag im digitalen Overkill aussieht: Man ist gefangen in einer Spirale von ewiger und weitgehend nutzloser Kommunikation. In Inhalten, die nurmehr quantitativ gemessen werden, über deren Bedeutung aber damit noch lange nichts gesagt ist. Und tatsächlich ist das ja auch nicht ganz falsch. Man kann schon heute den ganzen Tag im (sozialen) Netz verbringen, ohne auch nur eine einzige Sache von Belang gesehen zu haben. Man kann auch den ganzen Tag Journalismus konsumieren, ohne auch nur das Geringste zu begreifen. Je mehr es also gibt und je schneller der Journalismus im Netz wird, desto mehr kommt es auch auf etwas an, was früher (paradox genug) Journalisten für ihre Nutzer erledigt haben: Selektion. Man kann nicht alles konsumieren und man sollte es auch erst gar nicht probieren.
Es ist auf den ersten Blick verlockend, wenn man Journalisten nach ihrer Resonanz, nach ihrem vermeintlichen „Erfolg“ bezahlen will. Gerade die ausschließlich auf Masse fixierten Zählweisen im Netz tragen dazu bei. Die entscheidende Messgröße ist immer noch der einzelne Klick, auch wenn der über „Erfolg“ ungefähr gar nichts aussagt. Das sehe ich ja an meinem eigenen Blog: Ist ein Beitrag irgendwo prominent verlinkt, geht die Besucherzahl sprunghaft nach oben. Schaue ich mir aber dann speziell an solchen Tagen die Verweildauer an, dann ist das nachgerade paradox: Je höher meine Klickzahlen sind, desto mehr sinkt die Verweildauer. Was mit ein bisschen gesundem Menschenverstand nachvollziehbar ist: Man entdeckt irgendwo einen Link, der interessant aussieht, klickt darauf, liest oder sieht sich kurz mal rein – und ist dann aber ggf. auch schnell wieder weg. Medienkonsum im Netz, das ist so ein bisschen wie eine überdimensionierte Weinprobe: Man kann überall mal reinschmecken.
Ist es dann aber nicht paradox, wenn man versucht, die Flüchtigkeit im Netz durch noch mehr Flüchtigkeit zum Geschäftsmodell machen zu wollen? Würde man Journalisten tatsächlich nach solch vordergründigen Kriterien wie beschrieben bezahlen, man kann sich leicht ausmalen, wie der Journalismus bald aussähe: Heftig (kurz nachdenken bitte – und ja, das war ein Wortspiel!) Er würde noch mehr Teaser-Charakter bekommen, noch mehr Scheinanreize setzen, er würde nicht einfach nur SEO-optimiert, sondern zum Versuch, Aufmerksamkeit um nahezu jeden Preis zu bekommen.
Im Online-Journalismus müsste deshalb eine Entwicklung einsetzen, die auf den ersten Blick paradox erscheint: Weniger ist mehr. Weg von den atemlos dahingehechelten Eilmeldungen, weg vom zum Scheitern verurteilten Versuch, alle erdenklichen Kanäle irgendwie zuzuschütten. Diesen Kampf, falls er denn je einer war, hat der Journalismus, den man ernstnehmen will, verloren. Gegen die Heftigs und Buzzfeeds dieser Welt. Die sind da, die werden bleiben und das ist auch ok so.
Aber wirklicher Journalismus? Selektiv, ausgeruht, entspannt, so würde man ihn sich wünschen. Reduce to the max, dazu kann es sogar gehören, dass man nicht mehr überall teilweise sinnbefreite Debatten zulässt, wie es „süddeutsche.de“ gerade vorexerziert. Oder anders gesagt: Tempo ist kein Wert an sich, Masse auch nicht. Wenn Journalismus seinen Wert behalten will, dann wird er wieder langsamer und weniger hektisch. Dass ausgerechnet das rasend schnelle und gigantisch dimensionierte Netz dazu beitragen könnte, mag man als paradox bewerten. Die schlechteste Entwicklung wäre es dennoch nicht.