Leben in den medialen Paralleluniversen

Wenn es um den aktuellen Zustand der Onlinewelt geht, dann kann man gerade jetzt, einen Tag nach dem Ende der re:publica, gerne zwei sehr konträre Meinungen hören. Die re:publica und mit ihr ihre Protagonisten seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen, textete beispielsweise die SZ in dieser Woche.  Unsinn, befand wiederum Springers „Morgenpost“ – da blieben eben dann doch nur die Nerds unter sich, in der Mitte der Gesellschaft seien weder die Themen noch ihre Protagonisten angelangt. (Freundlicher Hinweis: Meine persönliche Meinung dazu, habe ich bei „Cicero“ aufgeschrieben).

Liveblog

Zumindest wenn es um Medien im weiteren und den Journalismus im engeren Sinn geht, dann ist es kein Fehler, sich ab und an zwischen beiden Welten zu bewegen. Ich bin während der re:publica zweimal nach Leipzig gependelt, habe dort am „Medientreffpunkt Mitteldeutschland“ teilgenommen – und war danach erstens müde und zweitens baff erstaunt. Weil mir nicht klar war, wie groß der (digitale) Graben immer noch ist. Womöglich, auch wenn man das kaum für möglich halten soll, ist er sogar größer geworden. Ich habe jedenfalls noch nie so unmittelbar zwei derartig verschiedene Kulturen so heftig aufeinanderprallen gesehen. Nicht man unbedingt nur deshalb, weil die re:publica ein dreitägiges Gewusel im hochkreativen Chaos ist und man beim „Medientreffpunkt“ ganz ordentlich Mittagspausen mit Buffett und Smalltalk macht und man bei den einen Club Mate und bei den anderen stilles Wasser trinkt. Sondern weil man bei Besuch in Leipzig das Gefühl nicht los wird, dass man in der analog lebenden Medienwelt zwar gerne und viele Bekenntnisse abgibt, wie wichtig dieses digitale Zeugs doch sei, ansonsten aber zum einen dann doch lieber weiter machen möchte wie gehabt. Und man zum anderen immer noch in Denkweisen verhaftet ist, von denen selbst Pessimisten denken könnten, sie seien endgültig Vergangenheit. Sind sie aber nicht.

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QWERTZ

Man sitzt dann also auf einem Panel, das sich mit Blogs und Podcasts und solchem Zeug beschäftigt. Und man liest die Ankündigung für dieses Panel, die beinahe so absurd ist wie die wundervolle Formulierung des ARD-Morgenmagazins, die re:publica sei Deutschlands wichtigste „Internet-Messe“:

Podcaster und Blogger widmen sich ihren Produkten oft mit viel Hingabe und Know-how. Dabei verfolgen sie selten das Ziel, reich und berühmt zu werden. Das Motiv liegt irgendwo zwischen Hobby, Reputation und Eitelkeit. Ihre Abonnenten haben einen klaren Mehrwert und sind meistens treue Nutzer.

Für einen Moment lang dachte ich, es handle sich dabei um einen hübschen Ironieversuch. Als ich dann die Eingangsfrage gestellt bekam, welche dieser drei Motive mein wichtigstes sei, war ich leider zu überrumpelt, um wirklich schlagfertig zu sein. Eigentlich hätte ich sagen müssen: Eindeutig die Eitelkeit, ich stehe auch morgens vor dem Spiegel und küsse mein Ebenbild. Tatsächlich ging die Debatte dann leider auf dem Level auch so weiter. Die Rede war dann auch davon, dass im Journalismus und in Blogs immer mehr Meinung statt Information produziert werde, weil das sehr viel billiger sei als harte Recherche. Das alte Lied also: Da schreiben und senden irgendwelche Leute das Internet zu, während unser schöner Qualitätsjournalismus den Bach runtergeht. In dem Moment musste ich an ein Zitat der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ denken, das Sascha Lobo am Montag Abend in seinen Vortrag gepackt hat: Den Weggang Stefan Niggemeiers vom „Spiegel“ schmückte man dort mit der Formulierung aus, bei Niggemeier handle es sich um einen „sehr überschätzten Web-Blogger“. Sieht man von dem sprachlichen Auffahrunfall „Web-Blogger“ ab, zeigt das die ganze Verachtung, die immer noch in vielen Analog-Köpfen steckt. Ob die gleiche Redaktion, sagen wir, Claus Kleber als einen „sehr überschätzten Fernsehansager“ bezeichnet hätte? Ich bin dann übrigens irgendwann man ziemlich bockig geworden und habe gesagt, angesichts der vielen Journalismussimulationen in der analogen Welt sähe ich jetzt keinen Grund für irgendwelche Überheblichkeiten. Und was passiert? Ein Tweet:

Blogger schlagen zurueck: Ein Grossteil der medialen Berichterstattung ist „Journalismussimulation“. Christian Jakubetz gerade beim MTM-Lab.

Es ist aber auch ein Elend mit diesen „Web-Bloggern“: Kaum kritisiert man sie ein wenig, schlagen sie auch schon wieder unbarmherzig zurück.

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Meine nächste Veranstaltung am kommenden Tag wiederum trug den schönen Titel „Wie gelingt der Umstieg von gratis auf kostenpflichtig im Netz?“. Nach einer etwas längeren Einleitung dann der gestrenge Hinweis: „Es gilt weiterhin ins Bewusstsein zu rufen: Qualitäts- Journalismus will bezahlt werden.“  Eigentlich war da schon meine Verzweiflung angemessen groß und als die Rede dann auch noch auf die inzwischen totdebattierte „Kostenlos-Mentalität“ im Netz kam, war es vermutlich nur meinem sonnigen Gemüt zu verdanken, dass ich nicht unfreundlich wurde.  Alles wie gehabt also: Eitle und überschätzte Hobbyblogger auf der einen, kostenlose Schnorrer auf der anderen Seite – wie soll das jemals nochmal etwas werden mit diesem Journalismus im Netz? Ich fürchte, in den Vorstellungen von Leipzig (und auch andernorts, wie wir gleich noch sehen werden) hieße die Lösung: Man muss den Jungs im Netz nur mal ordentlich Mores lehren, ihnen ihre Blogs und Podcasts wegnehmen und gleichzeitig eine allgemeine Zahlungspflicht einführen. Und vermutlich findet man dort sogar die Argumentation der Drosselkom schlüssig und stringent.

Die Kollegin Petra Sorge hat unterdessen in Wien den „European Newspaper Congress“ beobachtet – und ist, was Zeitungen angeht, zu einem Ergebnis gekommen, das vermutlich als „typisch für diese Blogger“ bezeichnet würde, wenn es denn einer dieser üblichen verdächtigen Blogger gewesen wäre, der zu diesem Ergebnis gekommen ist: „Eine Branche verharrt im Gestern“, betitelt sie ihren Beitrag. Wäre ich nicht selbst mal wieder in diese analoge Welt geplumpst, ich hätte vermutlich im Stillen gedacht, dass die Kollegin Sorge da aber dann ein bisschen arg dick aufträgt. So aber – glaube ich jedes Wort und wundere mich nicht einmal. Dabei hatten sie sich sogar die Wissenschaftlerin Emily Bell nach Wien geholt, die ihnen Dinge auf den Kopf zusagte, die sehr viel unangenehmer sind als das meiste, was man in Deutschland so zum Thema zu lesen bekommt.

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Wie wandlungsfähig ist diese analoge Medien-Welt also noch? Nach den Erfahrungen und der Lektüre der letzten Tage geht meine Tendenz zu: gar nicht. Dass man im Jahr 2013 die re:publica und einen durchschnittlichen Medienkongress als zwei Paralleluniversen wahrnehmen muss, ist jedenfalls kein wirklich gutes Zeichen.

Dieser Beitrag hat 16 Kommentare

  1. Häufiger Fehler

    *bass erstaunt

  2. Tanja Praske

    Echt krass, aber ganz normal. Im Kultursektor gibt es auch diese analogen Positionen gegenüber der digitalen Kulturvermittlung, wenngleich es glücklicherweise Gegenbestrebungen gibt, wie der virale Auftritt des Internationalen Museumstags mit dem bundesweiten Tweetup am Sonntag (12.5.13) belegt. Lichtblicke sind da, aber der Weg ist noch lang und steinig.
    Ein wunderbarer Ist-Zustand Bericht – danke!

  3. Detlef Borchers

    Ich bin vom Kongress des IT-Planungsrates auf die rp13 und dort gleich in den Vortrag „maschinenlesbare Regierung“ über eben diesen Planungsrat.Genau die gleiche Erfahrung: 2 Welten & man spricht nicht miteinander. Auf der rp wird über die Untertanenkultur des Planungsrates gelästert, beim Planungsrat gibt es diffuses Geraune über die „Netzgemeinde“.

  4. Julian Heck

    Genau so nehme ich die ganze Sache auch wahr. Nach meinem Eindruck wird die #rp immer größer – aber sie wächst nach innen (mehr Blogger, Journaliten, …) und nicht nach außen (Nicht-Netzpolitiker, Nicht-IT-Wirtschaftsleute, Normalos).

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