Um jemanden so richtig abgrundtief zu verabscheuen — muss vorher vermutlich das genaue Gegenteil der Fall gewesen sein. Kein Hass ohne enttäuschte Liebe. Wenn diese Theorie stimmt, dann muss die Liebe zwischen dem gewesenen Minister und Doktor zu Guttenberg und vielen politischen Journalisten in Deutschland ziemlich groß und innig gewesen sein. Das, was man über Guttenberg in den letzten Tagen beispielsweise in „Spiegel“, SZ oder FAZ zu lesen bekam, liest man ansonsten eher über Figuren wie Berlusconi oder Drittweltdiktatoren. Der letzte, der sich in Deutschland über so viele freundliche Worte auf einen Schlag freuen durfte, war Richter gnadenlos Schill, aber den liebten sie auch vorher schon nicht so.
Die Brachialgewalt, mit der jetzt auf den Ex-Darling der deutschen Politik (und ja, auch der Medien) eingeprügelt wird, sagt eine Menge darüber aus, wie der Berliner Politikjournalismus funktioniert. Es ist eine Geschichte von gegenseitigen Abhängigkeiten, von Grauzonen und von einem ständigen Balancieren am Rand. Sie ist aber auch ein Beleg dafür, wie viel Macht Journalisten dann doch zukommt. Und wie sehr sie Aufstiege inszenieren können, genauso gut wie Abstürze. Im Falle Guttenberg haben sie das eine im vergangenen Jahr gemacht, um ihm jetzt zu zeigen, wie es abwärts auch gehen kann.
Guttenberg (und nein, vorab, ich bin keiner seiner Fans) musste in den vergangenen Tagen das folgende über sich lesen: Dass er ein Gaukler sei, ein gefährlicher Politiker, ein Blender. Einer, der auch politisch keinerlei Substanz gehabt habe. Einer, der immer nur betrogen hat, ein Windei sozusagen. Das ist insofern erstaunlich, als dass sich das vor ziemlich genau einem Jahr noch ganz anders las: Da sahen exemplarisch die Kollegen des „Spiegel“ die famosen Guttenbergs beim „Paarlauf ins Kanzleramt“ und auch SZ und FAZ und viele andere äußerten sich überaus freundlich über den Baron. Was seinen Charakter angeht, dürfte sich Guttenberg im vergangenen Jahr kaum dramatisch verändert haben, es ist also wenigstens erstaunlich, wenn Journalisten jetzt, nachdem sie lange Zeit sehr nahe an ihm dran waren, schrei(b)en: Der Kaiser ist ja nackt!
Zudem: Es wäre nicht möglich gewesen, Guttenberg auch nur ansatzweise in die Nähe des Kanzleramts zu rücken, wenn nicht irgendwann mal Journalisten angefangen hätten zu schreiben, dass sich da einer warmlaufe für die Kandidatur und selbstverständlich dafür geeignet sei. Von Guttenberg fordern sie jetzt echte Demut, Reue, Widerruf – in den Staub mit ihm! Von den Journalisten selber habe ich nur ziemlich dürre Worte darüber gelesen, warum sie dem Gaukler und Blender so sehr auf den Leim gegangen sind. In der SZ stand ein Halbsatz („auch der Autor dieser Zeilen…“), die FAZ gefiel sich in einer raunenden Andeutung, Redaktionen seien da irgendwie auf Linie gebracht worden. Das ist eine einigermaßen interessante Theorie, über die man gerne mehr wüsste. Schließlich stellt die FAZ da in einem Satz die Integrität des politischen Journalismus in Frage. Was, bitte, soll man Redaktionen noch abnehmen, wenn man über sie leichthin sagen kann, sie ließen sich mühelos instrumentalisieren und auf Linie bringen? Und auf wessen Linie überhaupt — und von wem? Schade, dass sich politische Journalisten so gerne mit anderen auseinandersetzen, mit sich selbst aber dann doch eher nur ungern. Mindestens so spannend wie die Frage danach, wie alle auf Guttenberg reinfallen konnten, wäre also auch die Frage, was eigentlich den Politjournalistenbetrieb in den vergangenen Jahren bewogen hat, Guttenberg zur Lichtgestalt zu stilisieren.
Zumal auch das jetzige Verhalten inkonsequent ist: Man wirft Guttenberg vor, ein Comeback zu inszenieren, betätigt sich aber schon wieder als Teil der Inszenierung. Ohne die „Zeit“, die ihn wohlwollend interviewt und sein Buch vorabgedruckt hat, wäre das Comeback nicht möglich gewesen. Ohne die intensive Berichterstattung über einen Fernsehauftritt in Kanada (!) wäre das Comeback nicht möglich gewesen. Hätte sich irgendein Ex-Minister nach seiner Dienstzeit aus Kanada gemeldet, niemand würde es interessieren. Macht Guttenberg das, kümmern sich Heerscharen von Journalisten darum. Am Spiel zwischen Guttenberg und den Journalisten hat sich also nichts geändert, außer dass sie jetzt nicht mehr Hosianna schreien.
Journalisten unterstützten ein Comeback? Eher läuft wohl das Gegenteil ab. Der Baron hat es fürchterlich eilig und glaubt noch an das ihm von den Medien angeschwindelte Charisma. Die schütteln nur den Kopf über soviel Torheit und bedienen vor allem den Voyeurismus des pornogewöhnten Publikums. Sie ziehen ihn aufs Eis und spielen das Stück, das immer geht: Die Kapelle spielte einen Marsch, Bumms, da lag der Baron auf dem …
Giovanni wirkt lieb und harmlos, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Jetzt hat er es mal wieder übertrieben.
Der nackte Kaiser trifft es schon. Ich bin schon lange überzeugt, dass wir nicht so sehr den Betrug verabscheuen, sondern die Faulheit und Dummheit des Betrügers, der sich erwischen lässt. Denn die erwischten haben uns offensichtlich für noch dümmer gehalten, als sie selbst sind, und sich daher nicht mal angestrengt uns zu betrügen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Journalisten es noch weniger mögen, wenn heraus kommt, dass man sie gelinkt hat. Sie müssen sich wie alle anderen eingestehen, dumm gewesen zu sein – in einem Job, der per Definition der Aufklärung der Dummen dient. Nicht nett. Außerdem sehen halt auch diejenigen, die durch die Journalisten aufgeklärt werden möchten, plötzlich dumme Aufklärer. Noch weniger schön.
Mal ganz ab davon, dass Guttenberg sich nach seinem intellektuellen Bankrott jetzt auch noch als Charakter zweifelhafter Moral herausstellt. Ein Mann, der keinerlei Selbsterkenntnis pflegt, ein Mann, der sogar denen eine stinkenden Haufen vor die Tür setzt, die gegen jede Vernunft zu ihm gehalten haben.
Das ist alles sicher richtig, trotzdem wundert mich zum einen die Vehemenz — und zum anderen die Tatsache, dass man dem Herrn ja jetzt wieder eine riesengroße Plattform gibt. Wenn er wirklich so bedeutungslos und irrelevenat ist wie alle schreiben, warum dann dieses Buch und das Bohei darum?
Das einzige, was ich G. vorwerfe: viel zu früh! Wenn er schon nix anderes kann und will als „Politik“, hätte er sich bis Ende 2012 gedulden müssen. Minimum.
Ich zum Beispiel kann die neuerlichen Myriaden von G-Artikeln nicht mehr sehen. Alles in mir ruft: „nicht der schon wieder!“
Komisch: Taktgefühl und Timing zählten doch stets zu den wenigen Adelstugenden. Naja, auch ein Mythos.
PS.: Schlimmer noch als er ist die Frau Gemahlin. Deutschlands Kamerasuchgerät Nr. 1. Würg.
Ich will den SPIEGEL hier nicht in Schutz nehmen – die Redaktion hat durchaus am positiven Image von zu Guttenberg mitgearbeitet. Ich erinnere mich jedoch auch an einen Artikel, als er noch Wirtschaftsminister in der Großen Koalition war, nach seinem „Nein“ zur Opel-Rettung. Diese hatte ihm ja viele Sympathien in der Bevölkerung eingebracht.
In dem Artikel ging es darum, dass zu Guttenberg gar nicht der große Unbequeme ist, den die Leute in ihm sehen, und als der er sich gerne der Öffentlichkeit präsentiert. Hab ihn sogar noch im Archiv gefunden:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-66803920.html
Zugegeben, Artikel mit kritischer Distanz wurden nach einiger Zeit so rar, dass man sie mit der Lupe suchen musste. Aber vereinzelt gab es sie.
Ich will nun nicht die Redaktionen der Mainstream-Medien und ihre Kampagnen verteidigen, die in ihrer Offensichtlichkeit eine Beleidigung jedes denkenden Menschen sind. Aber ich nehme schon an (ich hoffe es sehr!), dass es in Redaktionen wie der der SZ oder des Spiegels schon früher KollegInnen gegeben hat, die Guttenberg für eine leere Hose gehalten haben (und nicht für ein „politisches Talent“, die hirnloseste Zuschreibung von allen). Die freuen sich natürlich, jetzt draufhauen zu dürfen. Auch dürfte es inzwischen (nach Jahrhunderten erfahrung) nicht mehr wirklich überraschen, dass das Hochschreiben mit anschließendem Vernichten ein probates Mittel der Auflagensteigerung ist. Und die Tatsache, dass wir hier diskutieren zeigt, dass es funktioniert. „Wenn er wirklich so bedeutungslos und irrelevenat ist wie alle schreiben, warum dann dieses Buch und das Bohei darum?“ Diese Frage dürfen wir uns selber stellen. (Soll ich den Kommentar jetzt wieder löschen 😉
Scheint nich nur auf PolitikJournalisten zuzutreffen. Erinnern wir uns etwa an Franziska van Almsick. …
Bitter ist es allemal. Da müssen wir uns nich wundern, wenn Journalisten im Vertrauensranking der Bürger ebenso tief sinken wie so manch‘ zuvor in den Hinmel Gehobene(r).
Guten Morgen,
habe ich da die letzten Tage was überlesen? Das einzige, was ich über Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. von und zu Guttenberg in den letzten Tagen gelesen habe, waren Huldigungen und Ehrerbietungen. Der Mann ist eine Gottgestalt, war es immer und wird wieder in die Politik zurückkehren. Das ist so sicher wie das Amen und die Liebe zu den Kindern in der katholischen Kirche.
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Den Text der FAZ fand ich auch bemerkenswert. Dass einzelne Journalisten oder von mir aus auch ganze Politredaktionen irgendwie auf die schiefe Bahn geraten, kann ich mir gerade noch vorstellen. Dass es aber niemandem auffällt bzw. kein Chef oder Verleger eingreift, sprich meiner Meinung nach schon für Vorsatz/Manipulation.
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Das Wort Herdentrieb fehlte noch auf dieser Seite. Dem wurde nun Abhilfe geschaffen.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß Guttenberg zerstört werden sollte. (Aber: Wie zerstört man heiße Luft?)
Ich warte noch auf die selbstkritische Analyse, wie das bloß passieren konnte, dass durchaus nagesehene Medien (also: nicht Bild) sich so würdelos zu Fanzines des gegelten Herrn formieren konnten. Aber auf Selbstkritik im deutschen Medienbetrieb, da warte ich wohl noch lange drauf.
Journalisten sind auch nur Menschen; sie schätzen den Hochstapler nicht, dem sie aufgesessen sind.
Dem Herrn von und zu Guttenberg steht unbestätigten Gerüchten zu folge eine steile Karriere bevor: er wird Dieter Bohlen als Jurymitglied bei DSDS ablösen.
Über die „interessante Theorie“ von Zastrow in der FAZ wüssten Sie gern mehr? Durch Lesen und Interpretieren bin ich zu folgendem „Mehr“ gelangt (hier meine folgenden Ausführungen im Kontext):
Zastrow schreibt: „Die Redaktionen wurden auf Linie gebracht, soweit sie sich nicht ganz von selbst drauf brachten, längst vor der Affäre.“ Er spricht – mit anderen Worten – über Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung, die prägenden Phänomene der deutschen Gesellschaft um 1933.
Das Auf-Linie-Bringen der Medien erfolgt nach Zastrows Ansicht durch die Verleger, die das Verhaltens einer Redaktion gegenüber Guttenberg zur „Tendenzfrage“ erklären und so das Vorrecht beanspruchen, den Redakteuren vorzuschreiben, was sie wie berichten dürfen. Und die Verleger, sie sehen Guttenberg als „ihren Mann“ an, weil er die vermutete und gewünschte Zukunft ist, mit der sie sich gut stellen wollen. Seine Zukunftsträchtigkeit entspringt nach Zastrows Beschreibung seiner Begabung für Demagogie. Zastrow nennt es „die Gabe, Menschen zu bezaubern“.
Guttenberg umschmeichle seine Gönner und könne „auch der Masse geben, wonach sie sich sehnt.“
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Auf einen mit „insofern“ eingeleiteten Satz folgt standardsprachlich die Konjunktion „als“ und nicht „als dass“.
Dieser Kommentar darf ruhig gelöscht werden.
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Zu Guttenberg war Ikarus mit den geschmolzenen Flügeln und versucht jetzt wie Phoenix aus der Asche in neuem Glanz zu erstrahlen. Dabei hat er allerdings nicht mitberechnet, dass der Phoenix nur alle paar hundert Jahre erscheint.
Unverständlich ist mir in diesem Zusammenhang, dass sich G. di Lorenzo zu seinem willigen Steigbügelhalter machen lässt.
Und noch unverständlicher ist mir die Tatsache, dass sich das Buch anscheinend wie „geschnitten Brot“ verkauft. Die Buchhändlerin meines Vertrauens (in einer der 3 Buchhandlungen unseres Ortes – ca. 6000 Einwohner) hat das Buch bereits 6x verkauft. Das erinnert an den roten Knaller von Sarrazin, der im letzten Jahr unter vielen Weihnachtsbäumen lag!
Naja, immerhin hat Guttenberg die deutsche Sprache breichern können. Ein Kopiergerät nennt man doch länger nur noch Guttenberger 😛 http://www.paramantus.net/?p=5331
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