Die Medienwelt staunt über einen Text des Research-Unternehmens „Morgan Stanley“: Unverblümt stellt er dar, wie und warum sich Jugendliche von konventionellen Medien abwenden. Erstaunlich ist bei dem Text der renommierten Firma vor allem die Methodik: Geschrieben hat ihn ein 15jähriger Praktikant.
Bei Morgan Stanley hat man etwas geschafft, was der Traum jedes Research-Unternehmens ist: Man hat einen Text veröffentlicht, der in aller Munde ist, obwohl er nie richtiggehend beworben worden ist. Bei „Twitter“ wird er inzwischen als „sensationell“ angepriesen – und sogar die „Süddeutsche Zeitung“ widmete dem Text einen ganzen Zweispalter im Wirtschaftsteil. Grob gesagt geht es in den so bejubelten acht DIN A4-Seiten um die Mediennutzung von Teenagern in Großbritannien und die Konsequenzen daraus für Medienunternehmen. Die müssten demnach ziemlich frappierend sein, aber das ist es gar nicht, was die Medienwelt so staunen lässt. Vielmehr wundert man sich über anderes: nämlich dass ihnen ein 15jähriger einigermaßen die Leviten gelesen hat.
Was Matthew Robson schreibt, ist nicht schön. Zumindest dann nicht, wenn man immer noch der Meinung ist, Online sei ein irgendwie ergänzendes Medium. Tatsächlich absorbiert das Internet so ziemlich alles, schreibt Robson, auch wenn er es nicht so formuliert. Stattdessen erzählt er seine Sicht der Dinge in einfachen, aber trotzdem treffenden Worten. Grob zusammengefasst lauten die in etwas so: Fernsehen und Radio sind gelegentlich ganz nett, Zeitung nur dann, wenn es sie irgendwo umsonst gibt – nur auf das Internet könne man keinesfalls verzichten, weder privat noch in der Schule, weder zur Unterhaltung, zur Information oder zur Bildung. Internet ist schlichtweg – alles.
Dabei sind es vor allem die radikalen und dennoch vermutlich authentischen Ansichten des 15jährigen, die insbesondere den Machern analoger Medien ganz und gar nicht gefallen dürften. Mit der gerne zitierten Ansicht, es habe ja noch nie ein neues Medium ein bestehendes Medium ersetzt oder verdrängt, räumt Robson ordentlich auf, ohne vermutlich sich jemals mit dieser Theorie ernsthaft auseinandergesetzt zu haben. Er räumt den etablierten Medien im Regelfall nur eine eher partielle Nutzung ein. Und er bestätigt – ob nun gewollt oder nicht – drastisch Dinge, die Wissenschaftler mit aufwendigen Studien in dieser Klarheit vielleicht noch nicht so deutlich formuliert haben. Vor allem zweierlei: Lineare Nutzung von Radio- und Fernsehprogrammen spielt für die Medienkonsumenten von morgen fast keine Rolle mehr. Und: Zeitungen, insbesondere Tageszeitungen, werden es schwer haben in den kommenden Jahren. Verdammt schwer sogar.
Zeitungen bescheinigt der 15jährige Praktikant sogar eine weitgehende Irrelevanz in seiner Generation: In seinem Bekanntenkreis gebe es keinen einzigen Zeitungsleser, zumindest keinen, der für eine Zeitung bezahlt. Die Gründe sind so einleuchtend und banal zugleich, dass es den Verlagen vermutlich die Tränen in die Augen treibt. Zum einen, so schreibt Robson, seien die Teenager Britanniens nicht bereit, für eine Zeitung Geld auszugeben. Zum anderen – und das ist in der Tat bemerkenswert – würde sie das Zeitunglesen ja vom Surfen (oder gelegentlichem Fernsehschauen) ablenken, was eine weitere Präferenz klarmacht: Information, die von dieser Zielgruppe als attraktiv empfunden wird, muss auf einem Bildschirm stattfinden, bewegte Bilder sind eine Selbstverständlichkeit; ganz egal ob im Internet oder im Fernsehen. Und schließlich: wenn Zeitung, dann klein, kompakt, handlich, praktisch; eben so gehalten, dass man sie auch in der U-Bahn, im Bus, schnell und nebenher konsumieren kann. Von irgendeiner inhaltlichen Relevanz, von einer Bevorzugung der Zeitung, weil sie mehr Qualität oder mehr Hintergründe böte; von all den Gründen, die Medienwissenschaftler gerne als gute Gründe für den Fortbestand der gedruckten Presse anführen – keine Rede davon im Text eines 15jährigen.
Indes, wer sich von den anderen Medien jetzt freut, dass es mal wieder das gedruckte Objekt erwischt hat – zu früh gefreut: Was Robson beispielsweise über das Nutzungsverhalten seiner Generation bei Radios schreibt, ist keineswegs erfreulicher, im Gegenteil: Klar schalte man mal das Radio ein, aber nicht etwa, um sich eine Sendung, ein Programm im originären Sinn anzuhören. Der Hauptgrund für die Nutzung von Radio sei Musik – und selbst da bekommt das klassische Radio inzwischen Konkurrenz, die es in den Augen der Kids eher unattraktiv erscheinen lässt. Zahlreiche Webradios, dazu Angebote wie Last.fm, die den persönlichen und personalisierten Vorlieben der Nutzer viel eher entgegenkommen, als das gute alte Wundertüten-Formatradio. Zudem spielt für die Generation Robson die Werbefreiheit eine große Rolle: Statt durch Werbung unterbrochenes Programm, bei dem die bevorzugte Musik eher zufällig kommt, werbefreies Programm mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, das zu hören, was man mag – die Alternative ist klar. Muss man sich wundern, dass Mathew Robson und Altersgenossen das konventionelle Radio als sehr verzichtbar erachten?
Anders sieht es bei der Nutzung von Fernsehen aus. TV spielt auch für diese Kids nach Robsons Schilderungen eine beträchtliche Rolle. Allerdings eine völlig andere als wie noch vor wenigen Jahren. Sie nutzen es manchmal exzessiv – und dann wieder „wochenlang überhaupt nicht“. Wenn man so will, dann ist das die Generation mit dem größten Pragmatismus überhaupt: Kommt etwas, was sie interessiert – Shows oder Sportevents – dann wird das angeschaut. Kommt nichts, bleibt der Fernseher aus. Eine Nutzung, wie sie noch vor wenigen Jahren als selbstverständlich galt, ist dieser Generation fremd: Man schaltet nicht einfach auf gut Glück ein, um zu sehen, ob was kommt. Was klar ist, es gibt ja schließlich das alles absorbierende Netz, in dem immer irgendwas los ist. Kein Mensch also muss mehr darauf hoffen, dass irgendwo im Fernsehen gerade was Nettes läuft…
Womit man schnell zum alles beherrschenden Thema dieser Generation kommt: das Netz. „Jeder hat irgendeinen Zugang zum Netz, sei es zu Hause, sei es in der Schule“, beschreibt Robson den volldigitalen Alltag seiner Generation. Und diese Zugänge nutzen sie auch. Sei es zur Information, zum Lernen, der erste Gedanke, wenn es um Medien geht, ist Internet. Dabei spielen für die 15jährigen vor allem die Netzwerke eine ausschlaggebende Rolle: Matthew Robson beispielsweise kennt eigentlich niemanden, der nicht bei Facebook registriert ist; in Deutschland kommen die VZ-Angebote hinzu. Wäre man also böse (und etwas vereinfachend), man könnte die These aufstellen: Was nicht bei Facebook&Co. stattfindet, existiert für den 15jährigen von heute ganz einfach nicht.
Mit einer Ergänzung: Wenn man ihn auf dem Handy anspricht, den vielbegehrten Jugendlichen, dann hat man dann doch ganz gute Chancen, ihn zu erreichen. Handy ist chic, Handy ist in, Handy (mit möglichst vielen Applikationen) ist cool. Zusammengefasst liest sich das dann -schlicht und ergreifend – so:
What is Hot?
•Anything with a touch screen is desirable.
•Mobile phones with large capacities for music.
•Portable devices that can connect to the internet (iPhones)
•Really big tellies
What Is Not?
•Anything with wires
•Phones with black and white screens
•Clunky ‘brick‘ phones
•Devices with less than ten-hour battery life
Nachtrag, 20.7.: Die in den Kommentaren geäußerte Kritik wegen des fehlendes Links ist natürlich berechtigt. Das sei hiermit nachgeholt.
Sicherlich darf man davon ausgehen, dass Robsons‘ Schilderungen über die Präferenzen „seiner Generation“ einen wahren Kern haben. Ein Stück weit zumindest. Mich verwundert aber, dass vielerorts das, was Robson erzählt, relativ unkritisch als Zukunft der Mediennutzung interpretiert wird.
Nur einige Kritikpunkte, die mir hierzu spontan in den Sinn kommen:
– Die Analyse basiert auf keinen Zahlen, sondern stellt eine Einschätzung dar
– Robson spricht von seinem Umfeld. Möglicherweise hat Robson einen Freundeskreis, indem nicht oft Zeitung gelesen wird. Daraus zu schliessen, dass alle Teenager sich gleich verhalten, kann man nicht.
– Mit 15 Jahren konsumiert man Medien anders als mit bspw. 25 Jahren. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich auch keine Zeitung und keine Bücher gelesen. Wenn also ein 15 Jähriger keine Zeitung liest, kann man nicht sagen, dass er später auch keine Zeitung lesen wird
Stimmt alles! Mit zwei kleinen Einschränkungen. Erstens: An einige Dinge, die ich mit 15 von mir gegeben habe, möchte ich heute auf keinen Fall mehr erinnert werden. Und werde es – Gott sei Dank – wohl auch nicht mehr, Facebook gab’s ja noch nicht. Zweitens: Ein paar Sachen, die mir heute extrem wichtig sind, hatten damals nicht einen Nanomillimeter Bedeutung. Hey, so muss das sein mit 15, das ist ein verdammtes Privileg. Dass die Zukunft „extremly digital“ sein wird und die gedruckte Tageszeitung eine Episode der Mediengeschichte, das ist eine parallele Geschichte. Ich frag mich aber: Was machen die Morgan Stanley Banker eigentlich sonst so?
Wenn Robson von seinem Umfeld spricht, ist das nicht zwangsläufig nicht repräsentativ. Ich bin 20. Ich lese jeden Tag eine Zeitung – weil meine Mutter eine im Abo hat. Würde ich selbst einen einzigen Cent für ein Abo ausgeben? Nein. Ich würde gelegentlich den SPIEGEL kaufen (den ich momentan auch kostenlos mitlese), hin und wieder mal eine NEON oder so. Aber die für mich relevanten Zeitungsinhalte bekomme ich entweder umsonst auf deren Homepage oder anderswo im Netz (wetter.de, bundesliga.de etc.).
Wenn ich für Inhalte im Netz bezahlen würde, dann nicht für die heimische Berliner Zeitung. Ich finde die gut gemacht, informativ etc. – aber ihre Inhalte sind eben schon lange nicht mehr exklusiv. Da würde ich schon eher für Inhalte von nytimes.com, der US-Vanity Fair oder Magazinen wie The Atlantic oder The New Republic bezahlen. Das sind wirklich spannende Inhalte, da können deutsche Medien in der Regel nicht mithalten.
Das ist sicherlich eine sehr spezielle Auswahl, aber andere aus meinem Umfeld würden für „ihre“ relevanten Inhalte bezahlen – PC-Zeitungen, Musikmagazine etc. Aber für eine Zeitung…? Beim besten Willen, da kenne ich niemanden aus meinem Alter.
@Felix: Robson hat wahrscheinlich mit seiner Aussage tendenziell schon Recht, es ging mir bloss um die nichtvorhandene Wissenschaftlichkeit des Berichts. Mit 20 Jahren (das war vor 3 Jahren) habe ich mir ein Abo einer Wochenzeitung für gut 200.- oder so geleistet. Du siehst also, es gibt auch abweichende Fälle. Und das ist das, was ich meine mit Representativität – ohne Zahlen kann man nicht sagen, wie sehr sich eine Aussage verallgemeinern lässt.
Ferner stellt sich mir einfach noch die, ob 15-Jährige schon jemals in irgendeiner Phase der Geschichte Zeitungen abonniert haben?! Ich vermute nicht, denn mit 15 fehlt dir auch schlichtwegs das Geld hierzu.
Ich bin Mitte 20 und Student. Selbst in meinem Umfeld kenne ich kaum jemanden der noch gedruckte (Tages-)Zeitungen liest.
Meiner Meinung sind die Verlage selbst schuld an dieser Entwicklung. Ich hatte eine Zeitlang eine große Deutsche Tageszeitung abonniert. Bis ich nachmittags/abends zum lesen gekommen bin, konnte ich die meisten Artikel schon online in der Uni oder auf der Arbeit lesen. Warum soll ich dann noch für die Zeitung bezahlen?
Bin jetzt zur Zeit gewechselt, obwohl da auch ab Freitag nach und nach die Artikel online gestellt werden. Beim Spiegel genau das gleiche. Ich habe die Papierausgabe nur aus Bequemlichkeitsgründen abonniert, um nicht auch noch in meiner Freizeit auf einen Monitor schauen zu müssen. Wirtschaftlicher Quatsch, da ich auch (fast) alles kostenlos lesen könnte. Das sich diesen Luxus nicht jeder leisten will/kann ist doch klar.
Davon abgesehen muss man sich evtl. auch die Frage stellen ob Zeitungen als Medium noch zeitgemäß sind. Für aktuelle Nachrichten ist das Netz einfach der bessere Ort. Diese Entwicklung schließt Qualitätsjournalismus ja auch gar nicht aus!
Allerdings liest man Texte am Bildschirm auch ganz anders – langsamer, mehr Ablenkung usw.
@Pascal: Mit 15 hätte ich mangels DSL wohl eher eine Zeitung abonniert als heute. 😉
Natürlich fehlt dem Artikel die Wissenschaftlichkeit, aber die grundsätzlichen Aussagen dürften doch stimmen. Zumal drei Jahre mit Blick auf die Entwicklung der Medien im Internet (und ihrer Nutzung) eine lange Zeit sind: Inzwischen kann man sich im Büro oder im Club beinahe darauf verlassen, dass die Spiegel-Online-Artikel der Startseite allen so vertraut sind, dass man sich darüber unterhalten kann. Das ist natürlich als Erfahrung so subjektiv wie Robsons Bericht, aber es dürfte zumindest für die große Mehrheit der jugendlichen Medienkonsumenten zutreffen. Darauf haben die Verleger nach meiner Erfahrung (und den Berichten in diesem Blog) noch keine Antwort gefunden.
Das niemand auf das Paper verlinkt, weder analoge noch online Medien noch dieses Blog: okay. Aber warum alle schreiben es seien acht Seiten eines 15-jährigen, wo es doch nur –sehr luftig gesetzte– drei sind, ist mir schleierhaft.
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