Anders als in den USA seien die Zeitungen in Deutschland sehr gut aufgestellt. Ein Grund sei die enge Bindung zu ihrem Publikum, die im Lokalen besonders ausgeprägt sei. Dazu gehöre außerdem ein Vertriebssystem, das mit der Zeitungszustellung bis zur Haustür weltweit beispielhaft sei. In Deutschland würden die besten Zeitungen der Welt gemacht und im Unterschied zu den USA und vielen anderen Ländern gelte hier nicht der ausschließlich renditeorientierte Shareholder value. Die deutsche Zeitungsbranche sei mittelständisch geprägt. An der Spitze stünden Verleger mit publizistischem und unternehmerischem Anspruch.
Vermutlich muss man ja befürchten, dass der Zeitungsverlegerverband diese Pressemitteilung (via) ziemlich ernst meint. Dass er wirklich denkt, die Blätter hätten gerade im Lokalen eine „ausgeprägte“ Bindung zu ihrem Publikum. Ich habe ja nun doch einige Lokalredaktion erlebt in meinem Journalistenleben — und meistens bestand diese Bindung daraus, dass mir meine Leser freundlich mitteilten, sie würden den Schmarrn ja nur lesen, weil es sonst nichts anderes gebe in der Region oder weil man sonst nicht über die Sonderangebote der Woche Bescheid wisse. Ältere Leser verwiesen gerne auch mal auf die Todesanzeigen. Im Ernst: Kaum jemand beherrscht die Kunst, am Leser gezielt vorbeizuschreiben, so gut wie etliche Lokalredaktionen. Das liegt vermutlich auch daran, dass ihre Konkurrenzsituation im Vergleich zu vielen anderen Medien immer noch himmlisch ist. Als Quasimonopolisten müssen sie am Markt meistens nicht wirklich bestehen. Müssten Sie es, es sähe in vielen Fällen zappenduster aus.
„In Deutschland würden die besten Zeitungen der Welt gemacht“ — zumindest die vor meiner Haustür können damit nicht wirklich gemeint sein. Ab und an schreiben Redakteure Geschichten über Themen, die mich eher selten berühren, in Hochform geraten die klassischen Epigonen des Lokaljournalismus meistens nur bei Themen wie beispielsweise dem Haushalt der Gemeinde oder epischen Auseinandersetzungen im Stadtrat. Ab und zu wird auch mal ein Volo auf die Straße geschickt, der dann Umfragen machen muss in der Qualität von: Ist Frank-Walter Steinmeier ein guter Außenminister? Ansonsten sind (kein Witz) Hausfrauen oder pensionierte Oberstudienräte als miserabel bezahlte Hobbyreporter unterwegs, die es schon mal fertig bringen, in einem einzigen Artikel den Namen eines Protagonisten nicht ein einziges Mal richtig, dafür aber konsequent jedesmal anders zu schreiben. Würde man eine Art „Bildblog“ für Lokalzeitungen machen, man käme aus dem Korrigieren fast nicht mehr heraus. Indes: Kann man mehr erwarten von Mitarbeitern, die, wenn es dumm läuft, sich einen Abend lang auf einem Termin um die Ohren schlagen, danach noch zwei Stunden schreiben, die also für fünf oder sechs Stunden Arbeit vielleicht mal 30 Euro bekommen und somit ein wirklich gutes Argument für die Einführung von Mindestlöhnen darstellen? Die besten Zeitungen der Welt? Hat den deutschen Verlegern eigentlich schon mal jemand ein Blatt wie die „St.Petersburg Times“, ein Regionalblatt aus den USA, um die Ohren gehauen? Dann müsste ihnen die Röte eigentlich jetzt noch im Gesicht stehen.
Und Renditeerwartungen würden hier nicht im Vordergrund stehen? Wie anders kann man es denn erklären, dass man auf der einen Seite freiberufliche Journalisten mit Honoraren abspeist, die weit von dem entfernt sind, dass man davon auch nur bescheiden leben könnte, auf der anderen Seite aber für ein Produkt, das mit entsprechend qulitätvollem Inhalt gefüllt wird, Preise zwischen 30 und 40 Euro pro Monat verlangt?
Was wird die Pressemitteilung der Verleger wohl mit „sehr gut aufgestellt“ meinen? Dass man in den digitalen Medien in vielen Fällen eine klägliche Rolle spielt, dennoch aber vorsorglich den verbesserten Schutz des geistigen Eigentums auch im Internet anmahnt? Dass es viele Lokalredaktionen gibt, in denen schon mal auch Volontäre eine Ausgabe de facto alleine stemmen müssen? Dass Ausbildung in vielen Redaktionen immer noch ein anderer Begriff für „billige Arbeitskraft“ ist? Dass man gerade massiv sowohl an Lesern, an Anzeigen und auch letztendlich an Relevanz verliert, darauf aber keine sehr viel bessere Antwort hat als die, dass das doofe Internet irgendwie daran schuld sei?
Natürlich, Zeitungen haben es schwer auf dem Markt, schon alleine, weil sie Zeitungen und gedruckt sind. Aber das Gefühl, viele Blätter machten es sich und der digitalen Konkurrenz verdammt leicht, das wird man trotzdem nicht los.