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In der Mitte lauert der Tod (und KI kann nicht viel dafür)

Einmal im Quartal weiß ich, was mir blüht: ungefähr eine Woche ein klingelndes Telefon. Der Anrufer ist immer das euphemistisch sogenannte Marketing meiner Lokalzeitung, die genau genommen nichts anderes als eine mit Telefon ausgerüstete Drücker-Kolonne ist. In diesen Abständen jedenfalls läutet das Telefon und obwohl ich es mir abgewöhnt habe, überhaupt noch ranzugehen, weiß ich, was mir der Mensch am anderen Ende der Leitung verkaufen will. Zeitungsabos sind inzwischen so etwas geworden wie die Wurzelbürsten, die Vertreter früher an der Haustür angeboten haben. Man bekommt meistens auch irgendwas Schönes dazu, Kaffeemaschinen waren es früher, heute gibt es schon mal ein iPad.

Als es kurz vor der EM wieder mal so weit war (ich nehme an, irgendeine Sonderaktion zum Turnier), habe ich mal nachgedacht, warum:

  1. Zeitungen inzwischen wie Wurzelbürsten angeboten werden
  2. Ich trotz iPad und anderen Zugaben nicht daran denke, diese Zeitung zu abonnieren.

Ich bin dann auf eine erstaunlich einfache Antwort gestoßen: zu viel Mittelmaß, zu viel „More of the same“.

In der Mitte lauert der Tod. Das ist inzwischen aktueller geworden denn je. Das Angebot an „Content“ (ich hasse dieses Wort ja, aber egal) war schon vor dem Durchbruch der KI viel zu groß. Jetzt ist es endgültig unüberschaubar geworden. Und nicht nur das: Alles, was nicht wirklich besonders ist, kann eine KI inzwischen mindestens genauso gut.

Die Tage beispielsweise habe ich eine Kolumne eines sogenannten Kolumnisten gelesen, der (Clickbait ist immer wichtig!) fünf Gründe ankündigte, warum Kamala Harris die Wahlen in den USA gewinnen könnte. Von der offensichtlichen Idiotie einer solchen Kolumne abgesehen, weil es ja schließlich auch mindestens fünf Gründe gibt, warum ebenso Trump gewinnen könnte: Ich habe dann einfach mal ChatGPT die Frage nach den 5 Gründen für Harris gestellt. Im Ergebnis war das nach 30 Sekunden nicht sehr viel anders als die Kolumne des Kolumnisten.

Nichts gegen den Kolumnisten übrigens, das ist ein ehrenwerter Beruf. Davon abgesehen habe ich solche Listicles in den vergangenen Tagen zuhauf gesehen, mal origineller und mal weniger originell geschrieben. Dumm nur, dass vermutlich jeder Leitartikler und jeder Kolumnist dieser Republik sich in dem bewegte, was die großartige Strategin Lucy Küng die „matschige Mitte“ nennt. Das, was vor ein paar Jahren vielleicht noch als erstaunliche Denkleistung gegolten hätte, aggregiert eine KI inzwischen schneller, präziser und jederzeit verfügbar.

Die matschige Mitte hat als Geschäftsmodell ausgedient

Und damit war ich dann wieder bei meiner Tageszeitung. Die wiederum ist voll mit matschiger Mitte. Alles sehr solide gemacht und im Zweifelsfall auch nicht zu kritisieren, aber auch nach langem Nachdenken fiel mir nichts ein, was mich zu einem im Jahr immerhin rund 600 Euro teuren Abo hätte bewegen können. Nicht mal das gern als Argument genommene Lokale mehr. Wenn ich wissen will, was in meinem Landkreis so alles los ist, finde ich das inzwischen über unzählige Social-Media-Kanäle genauso raus. Und den wöchentlichen Kommentar der Lokalredaktion zur Lokalpolitik, ach herrje: in den meisten Fällen sehr gut verzichtbar.

Die Frage ist inzwischen also gar nicht mehr die nach Papier oder doch lieber E-Paper, App oder Webseite. Es ist schlichtweg die Frage nach der Notwendigkeit und nach dem Besonderen. Hast du irgendwas für mich, was ich anderswo nicht auch bekomme? Es gibt gute Gründe für den momentanen Boom der ganzen Briefings, egal ob bei SZ, FAZ, Table, Politico oder dem Tagesspiegel. Für hochwertige Informationen nimmt die Zielgruppe gern auch mal viel Geld in die Hand. Für ein schnell heruntergeschriebenes 5-Gründe-Listicle oder einen mäßig originellen 60-Zeilen-Leitartikel eher nicht.

Kommt man also raus aus dieser Falle mit den bisherigen Strategien? Sie ahnen, das war eine rhetorische Frage.

Was wir gerade erleben, hat also Auswirkungen auf zweierlei Ebenen. Zum einen auf die Geschäftsmodelle. Zum anderen aber auch auf uns, die wir in dieser Branche arbeiten. Im Ergebnis läuft das allerdings auf dasselbe raus: Fürs Mittelmaß war es das. Alles, was Routine ist, kann die Maschine besser, schneller, zuverlässiger (meistens jedenfalls).

Als ich mit dem Journalisten-Beruf angefangen habe, war die Anforderung an mich und auch an das Medium Tageszeitung: Ihr müsst nirgends perfekt sein, aber in (fast) allem wenigstens halbwegs gut. Heute ist das genau umgedreht. Weder brauchen wir Journalisten und Kommunikatoren noch Medien, die mit solidem Halbwissen glänzen.

Sind demnach KI und das, was wir in den kommenden Jahren an Veränderungen (mal wieder) mitmachen dürfen/müssen/können, der Untergang? Natürlich nicht. Ebenso wenig wie es damals das Internet war und das Auto und die Dampfmaschine. Neue Technologien sind nie der Untergang. Sie verändern einfach nur.

Stattdessen gibt es absehbar jetzt schon einiges, was die Zukunft ausmachen wird. Und KI wird uns dabei helfen als schaden, sofern man sich von dem verbreiteten Gedanken verabschiedet, KI beschränke sich auf ChatGPT.

Also schauen wir mal, was geht.

Personalisierung: Es gibt kaum Mühsameres, als sich durch den ganzen Irrsinn an täglichem Content-Output zu ackern. In sozialen Netzwerken hat man das schon lange erkannt. Ohne Filter und Algorithmen würden kein Facebook, kein Insta, kein TikTok funktionieren. Und wenn man sich ein wenig damit beschäftigt, kann man sich seine Filter schon so einstellen, dass es einigermaßen passt. Bevor das Argument kommt: Wer will, der kann sich seine Filter auch so einstellen lassen, dass er mal überrascht wird. Oder er liest gleich wieder die gute, alte Zeitung. Aber wenn wir herauswollen aus der „matschigen Mitte“, dann ist das nicht sehr zukunftsträchtig. Relevantere Inhalte für die Zielgruppe, das wäre schon mal ein Anfang.

Fokussierung auf Kernkompetenzen: Jeder in dieser unserer Branche hat das schon etliche Male gemacht, ganz egal in welchem Ressort: irgendeine ungeliebte Routineaufgabe, die genauso gut eine Maschine … oh, wait! Genau diese Maschinen gibt es jetzt und es wäre fahrlässig, sie nicht einzusetzen. Das muss sich nicht mal mehr auf ein paar simple Standard-Texte beschränken. Man kann, siehe oben, sogar 5 Gründe für und gegen Kamala Harris finden. Man könnte also, anstatt der drölfzigste Kolumnist zu sein, auch ein gutes Interview zum Thema führen.  Das kann eine KI (noch) nicht. Und es könnte spannender sein als ein Listicle, egal in welcher Form auch immer. Tut also das, was nur ihr könnt. Alles andere ist die matschige Mitte.

Bessere Inhalte also, relevantere zudem. Dazu mehr Effizienz bei geringeren Kosten, das alles können, wenn man es richtig anstellt, die Benefits von KI sein.

Und spätestens in ein paar Jahren werden uns die Jüngeren dann ohnehin mal fragen: Wie, das war mal alles anders?

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