Smartphones, Apps und Social Media: Damit ließe sich ein komplett neues journalistisches Storytelling definieren. Bisher aber kommt nicht sehr viel mehr raus als langweiliges Posing und ein paar Kommunikationsattrappen. Kein Wunder, dass die Polarisierung ganzer Gesellschaften immer schneller vorwärts geht. Read More
Inzwischen gibt es solche Leute allerorten: Social-Media-Manager oder, noch hipper, Heads of Engagement. Leute also, die etwas befördern sollen, was Journalisten über Jahrzehnte hinweg für eher überfüssig gehalten haben: Diskussion, Dialog, Interaktion. Das ist immerhin schon mal ein Fortschritt. Aber keiner, über den wir uns allzu lange freuen werden. Weil die eigentlichen Storyteller, die Journalisten, bei einem solchen Konstrukt per se immer noch ausgelagert sind. Irgendwo auf der eigenen Plattform wird eine Geschichte erzählt und der Social-Media-Manager bringt dann die Leute zusammen. Das ist im jetzigen Konstrukt oftmals eine eher trostlose Angelegenheit. Man schaut, dass sich die Leute nicht allzu übel beschimpfen, die eigene Facebook-Seite halbwegs sauber bleibt und dass man ansonsten, wenn dann noch Zeit ist, ein paar Impulse findet, die dazu anregen sollen, eine Geschichte zu teilen.
Tatsächlich müssen aber auch die eigentlichen Storyteller, die Journalisten also, rein in die sozialen Netzwerke (und dabei die komfortable Deckung durch Social-Media-Manager gleich mit aufgeben). Das ist spätestens seit der Entwicklung hochwertiger Smartphone-Kameras nicht nur möglich, sondern verpflichtend geworden.
Die Kamera ist viel mehr als nur ein Werkzeug
Die Smartphone-Kamera? Das klingt erst einmal merkwürdig. So eine Kamera ist ja erst mal nichts anderes als ein weiteres Werkzeug im vielzitierten Schweizer Taschenmesser namens Smartphone. Wirklich interessant wird die Sache auch erst dadurch, dass diese Kamera in den verschiedensten Apps, auf den unterschiedlichsten Kanälen unmittelbar eingesetzt wird. Sie ist also, wenn man so will, eine Art dazwischengeschaltetes Auge. Ein Gerät, mit dem plötzlich nicht mehr einfach nur Fotos und Videos gemacht werden. Sondern eines, das buchstäblich Zeit und Raum überwindet.
Das wiederum versetzt Journalisten plötzlich in eine ganz andere Lage. Sie sind eben nicht mehr nur die Berichterstatter, die mit einer Kamera etwas aufnehmen und die Resultate irgendwann publizieren. Sondern Storyteller, die ihre User jederzeit in des Wortes Sinne an ihren Eindrücken teilhaben lassen können. Was Journalisten daraus machen, wird die spannende Frage der nächsten Jahre sein. Man kann ein paar Schnipsel bei Snapchat online stellen, klar. Man könnte sich aber auch mal ein paar Gedanken machen, wie ein journalistisch getriebenes Storytelling mit diesen Möglichkeiten und auf den passenden Kanälen aussehen wird.
Journalismus, das müsste auch in den Tagen der sozialen Netzwerke, der Algorithmen und der Geschichten, die man schon vergessen hat, mehr sein als ein paar Schnipsel, die man online stellt. Ein paar Live-Fetzen. Oder Selfies und Postings, die in erster Linie auf Likes aus sind.
Pseudo-Journalismus, der in Wahrheit Posing ist
Das vor allem deswegen, weil genau dieses Art des Pseudo-Journalismus zu vielem geführt hat, über was wir uns inzwischen lautstark beklagen. Journalismus wird zunehmend oft mit Präsentismus verwechselt: Seht her, hier bin ich, das mache ich, das kann ich (und das alles am besten:live). Das kann man dann schon Echtzeit-Journalismus nennen, tatsächlich ist es zunehmend mehr die Pose als der Inhalt, was zählt.
Das hat auch mit dem rasanten Tempo zu tun, mit denen vor allem die Algorithmen in sozialen Netzwerken Journalismus richtiggehend entwerten. Ein Post, der am Mittag irgendwo bei Facebook kursiert, ist normalerweise am Abend schon wieder verschwunden. Weg, kalter Kaffee. Ein paar Likes, vielleicht auch mal geteilt, das war´s.
Was nebenbei auch dazu führt, dass man sich zunehmend mehr im confirmation bias verliert. Weil nachweislich immer mehr Dinge geliked und geteilt hat, die man nicht mal richtig gelesen hat. Die Kosnequenz daraus kann man sich leicht ausmalen: Man sieht flüchtig eine Geschichte, eine Überschrift, man kennt und vertraut demjenigen, der sie gepostet hat – und fühlt sich so sehr im eigenen Weltbild bestärkt, dass man mal eben teilt, wird schon irgendwie passen.
Schnelligkeit und Tiefe schließen sich aus
Dass man im Netz Perlen finden kann – unbestritten. Ebenso unbestritten ist eben aber auch das: Schnelligkeit, Tempo und gründliches Lesen, womöglich sogar noch über das Gelesene nachdenken, das schließt sich aus. Ich staune immer wieder, wenn Menschen meine Texte nach einer Zeit weiterleiten, in der sie diese Texte noch gar nicht gelesen haben können. Ein paar Mal war ich schon geneigt, nachzufragen: Hast du irgendwas von dem Text überhaupt verstanden? Aber man will sich ja die eigene Klientel nicht vergrätzen, so sehr ist man dann doch wieder Gefangener dieses neuen digitalen Spiels.
Wundert sich eigentlich noch irgendjemand darüber, wie Echokammern entstehen? Und wie sich solche Echokammern schnell mal in Biotope verwandeln, in denen noch so absurde journalistische Nachtschattengewächse Platz zur ungeahnten Entfaltung finden? Journalisten sind daran nicht ganz unschuldig. Zumindest solange sie keine Idee entwickeln, wie man im sozialen Netz wirklich Geschichten erzählt. Geschichten, die haften bleiben.
Dazu müsste man sich als erstes von der viel gepredigten Idee verabschieden, dass jede Geschichte sofort einen Impuls zum teilen auslösen muss. Das mag aus einer kurzfristigen Perspektive heraus richtig sein. Schneller Impuls, schnell geteilt, schnell Likes erzielt. Auf Dauer aber ist das genauso dumm wie diese unsägliche Jagd nach Klicks im klassischen Netz, die lange Zeit die einzige Währung waren. Bis man irgendwann begriff, dass der Klick alleine nicht sehr viel aussagt.
Genauso ist es mit den Likes und Shares. Wenn man nicht gerade einen richtigen viralen Renner hat, dann spielt es kaum eine Rolle, ob man nun 10, 15 oder 50 Likes für irgendwas bekommt. Weil man bei Klicks in diesen Größenordnungen besser davon ausgehen sollte, dass ein beträchtlicher Teil der vermeintlichen Zustimmung eher eine Zustimmung des Users für sich selbst ist. Da machen links, rechts, mitte keinen Unterschied.
Großmeister im Selbstbetrug
Natürlich ist diese Neigung nicht einfach wegzubekommen. Wissenschaftler wissen schon lange, dass wir Großmeister im Selbstbetrug sind. Ob wir wollen oder nicht, wir suchen uns aus jeder Form der Information die Teile heraus, die uns in dem, was wir ohnehin zu wissen glauben, weiter bestärken. Wenn diese Neigung dann allerdings noch durch Algirithmen verstärkt wird und von Journalisten, die wiederum die Algorithmen bestärken, brauchen wir uns über zunehmende Polarisierung nicht mehr weiter wundern.
Das Berufsbild und die Idee des Journalisten verändern sich also gerade massiv. Mal wieder und wie so oft in den letzten 20 Jahren. Wir werden mit unseren Smartphones, mit unseren immer besseren Kameras und mit unseren Social-Media-Apps immer mehr zu Chronisten der Echtzeit. Idealerweise auch zu Moderatoren dieser sozial-digitalen Gesellaschaft.
Besser wir machen das, als dass wir diese Moderation einem Algorithmus überlassen, von dem wir nicht mal genau wissen, wie er tickt.